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Deutschland erklärt Israel das Völkerrecht (mit Anmerkungen)

JERUSALEM/BERLIN, 16.05.2017 (DL) – Israels Siedlungspolitik sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht. So heißt es einstimmig in Berlin. Zuletzt hat das auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel während seines Besuchs in Israel behauptet. Auf eine Anfrage an das Auswärtige Amt in Berlin, doch mal jenes Völkerrecht zu nennen, gegen das Israel angeblich verstoße, erfolgte nun eine ausführliche Erläuterung durch Dr. BS * vom Referat 500 – Völkerrecht. Hier werden Teile der Antwort wiedergegeben. Anmerkungen und Fragen von Ulrich Sahm stehen jeweils kursiv zwischen den Passagen.

 

Antwort von Dr. BS * vom Auswärtigen Amt, Referat 500 – Völkerrecht in Berlin:

Sehr geehrter Herr F*.,
vielen Dank für Ihre Email an Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vom 5. Mai 2017, die mir zur Beantwortung weitergeleitet wurde.
In den Palästinensischen Gebieten gelten die Bestimmungen der IV. Genfer Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten von 1949, da Israel die Palästinensischen Gebiete besetzt hält.

Ulrich Sahm: Was ist hier mit „Palästinensische Gebiete“ gemeint? Den ehemals von Ägypten besetzten oder „verwalteten“ Gazastreifen hat Israel 2005 völlig geräumt. Das Westjordanland mitsamt Ost-Jerusalem war 1949 im Krieg gegen den frisch ausgerufenen Staat Israel von Jordanien erst erobert und später annektiert worden. Die Annexion Ost-Jerusalems ist nur von Pakistan und die des restlichen Westjordanlands auch von den Briten anerkannt worden. Wann hat Israel „palästinensische Gebiete“ erobert? Erst 1968, mit der Zweiten PLO-Charta hat Jassir Arafat den Arabern im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina den Namen „Palästinenser“ verpasst. Bis 1948 bezeichneten sich alle Bewohner des Mandatsgebiets, Juden wie Araber und Andere, als „Palästinenser“.

Das britische Mandatsgebiet „Palästina“ beendete seine Existenz mit dem Abzug der Briten am 15. Mai 1948. Die Araber haben auf den Teilungsplan der UNO vom 29. November 1947 mit Krieg reagiert. Dieser sah die Errichtung eines „jüdischen“ und eines „arabischen“ Staates in Palästina vor. Entstanden sind einerseits Israel und andererseits „besetzte Gebiete“ der Ägypter (Gaza) und der Jordanier. 1967 haben „jüdische Palästinenser“ Gebiete erobert, die von arabischen Palästinensern bewohnt waren.

Festzustellen ist hier auch, dass die zitierte IV. Genfer Konvention von einer Besetzung eines fremden staatlichen Territoriums redet. Weder der Gazastreifen noch das Westjordanland haben seit 1948 einem anerkannten „Souverän“ gehört. Aus diesem Grund zweifeln israelische Rechtsexperten wie Alan Baker, ob die Genfer Konvention überhaupt „greift“, da Israel kein „fremdes“ Territorium erobert hat, wie tatsächlich die syrischen Golanhöhen oder dem ägyptischen Sinai. Das ist auch der Grund, weshalb das offizielle Israel im Falle von Gaza und dem Westjordanland nicht von „besetzten Gebieten“, sondern von „umstrittenen Territorien“ redet.

Die Grenzen zwischen Israel und diesen Gebieten sind übrigens 1949 auf Rhodos zwischen jordanischen und israelischen Offizieren (Mosche Dajan) aufgrund der zufälligen Waffenstillstandslinien festgelegt und mit einem dicken Stift auf eine Landkarte gezeichnet worden. In dem Abkommen heißt es, dass diese „Linien“ keinen Vorgriff auf künftige Verhandlungen bedeuten. Es gibt also keine offizielle und anerkannte Grenzen für die vom Auswärtigen Amt bezeichneten „palästinensischen Gebiete“.

[…]

Dr. BS: Für die Frage des israelischen Siedlungsbaus ist Art. 49 der IV. Genfer Konvention maßgeblich. Hier heißt es in den relevanten Absätzen 1 und 6:

– (1) Einzel- oder Massenzwangsverschickungen sowie Verschleppungen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetzten oder unbesetzten Staates, sind ohne Rücksicht auf deren Beweggrund untersagt.
– (6) Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet verschleppen oder verschicken.

Ulrich Sahm: Relevant für die Siedlungspolitik ist hier nur Abschnitt 6. Dort steht im bindenden englischen Text: „deport or transfer“. Bisher hat sich noch kein einziger der rund 600.000 jüdisch/israelischen oder auch arabisch/israelischen Bewohner Ost-Jerusalems oder des Westjordanlandes gemeldet und von sich behauptet, er sei dorthin deportiert oder zwangs-umgesiedelt worden.

[…]

Dr. BS: Auch der Internationale Gerichtshof hat in dem bereits erwähnten Gutachten zum Bau der israelischen Sperranlage die Ansicht vertreten, dass Art. 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention alle solchen Maßnahmen einer Besatzungsmacht verbietet, die den Transfer von Teilen der eigenen Bevölkerung in das besetzte Gebiet organisieren oder ermutigen.
Unabhängig davon gilt für die Bundesregierung, was auch Bundesaußenminister Gabriel kürzlich in Israel betont hat: Die unverbrüchliche Solidarität mit Israel und das Einstehen für seine Sicherheit sind Richtschnur und Grundpfeiler unserer Außenpolitik.

Ulrich Sahm: Ja natürlich. Ob Israel heute angesichts der Vernichtungsdrohungen durch die Hamas und arabischer Staaten ohne Kontrolle des Westjordanlandes überhaupt seine physische Existenz verteidigen könnte, glaubt Gabriel offensichtlich besser zu wissen als Israel. Solange das Auswärtige Amt mit Begriffen hantiert wie „palästinensische Gebiete“, die niemals als solche deklariert worden sind, dürfte auf die hier zitierte Solidaritätserklärung von Gabriel kein Verlass sein.

Als „palästinensische Gebiete“ sollten bestenfalls die seit 1994 im Rahmen der Osloer Verträge eingerichteten „Autonomiegebiete“ bezeichnet werden, in denen heute kein einziger Jude lebt und wo es auch keine israelische Siedlung gibt. In ihnen leben die Palästinenser gemäß ihren eigenen Vorstellungen und Rechten, während Israel wegen Terrorgefahr zu teuren Kontrollmaßnahmen gezwungen wird (darunter dem Bau der Mauer) und auch noch auf eigene Kosten Strom und Wasser liefert, weil die Palästinenser ihre Rechnungen nicht bezahlen.

Dr. BS: Ich hoffe, Ihre Frage mit dieser Auskunft beantwortet zu haben und verbleibe, Mit freundlichen Grüßen, Im Auftrag. Dr. BS, Referat 500 – Völkerrecht, Auswärtiges Amt, Berlin

* Namen der Redaktion bekannt

 

Den gesamtem Mailverkehr im Wortlaut ungekürzt und weitere Anmerkungen von Ulrich Sahm finden Sie hier:

Deutschland erklärt Israel das Völkerrecht

 

Foto: Auswärtiges Amt in Berlin (Wikimedia Commons, Magnus Bäck)

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