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Seit 7:30 Uhr am Dienstag herrscht Krieg

von Ulrich W. Sahm

JERUSALEM, 05.12.2018 – Um Punkt 7:30 Uhr am Dienstagmorgen gab die militärische Pressezensur die Ankündigung des Militärsprechers frei, dass nun „Krieg“ herrsche. Rundfunkreporter erzählen, dass sie über den ausgebrochenen Kriegszustand keine Minute früher berichten durften, obwohl sie schon Bescheid wussten.
Einschränkend muss jedoch erklärt werden, dass Israel entsprechend der UNO-Definitionen nur gegen Staaten Kriege führt. Wenn der Gegner eine politische Partei, ein militärischer Arm oder eine sonstige „Organisation“ ist, dann sind die kriegerischen Ereignisse nicht Krieg, sondern eine „militärische Operation“. Entsprechend redete der Militärsprecher auch nicht von „Krieg“, sondern vom Beginn der Militär-Operation „Nördliches Schutzschild“.

Kriegsgegner können beruhigt sein, denn vorerst wird nicht scharf geschossen und menschliche Opfer gibt es auch keine. Vorerst ist der neue Krieg geografisch beschränkt und spielt sich lediglich auf einem Feld westlich der winzigen Ortschaft Metullah ab, zwischen der „Blauen Linie“ und den nur 50 Meter von der Grenze zum Libanon entfernten Häusern am Rand des Dorfes. Metullah ist die nördlichste israelische Ortschaft und kann nicht einmal als Kleinstadt bezeichnet werden.

Militäroperation zur Zerstörung von Hisbollah-Tunneln

„Blaue Linie“ nennt die UNO diese Grenze zwischen Israel und Libanon, nachdem sie ihren genauen Verlauf im Juni 2000 vermessen hat, um festzustellen, ob Israel sich tatsächlich „vollständig“ aus Südlibanon zurückgezogen habe. Gleichwohl gibt es bis heute Streitigkeiten, weil der Libanon dieser Grenzziehung nicht zustimmt und behauptet, dass Israel an einigen Stellen immer noch libanesisches Territorium besetzt halte. Seit der Aufteilung des Nahen Ostens zwischen Briten und Franzosen 1916, nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches, ist nicht nur diese Grenze umstritten. Das kann jederzeit von der einen oder anderen Seite als Anlass genommen werden, in den Krieg zu ziehen. Diesmal hat die UNO jedoch so exakte Arbeit geleistet, dass die „Blaue Linie“ an einer Stelle sogar quer durch das Grab eines „Heiligen“ führt. Auf der libanesischen Seite wird der muslimische Heilige Scheich Abad verehrt. Auf der israelischen Seite liegt da Rabbi Aschi. Zwischen zwei Dritteln der Leiche des libanesischen Scheich Abad und einem Drittel des israelischen Rabbi Aschi trennt nun ein hoher Zaun.

Die dramatische Militäroperation begann damit, dass ein Feld an der Grenze zum „militärischen Sperrgebiet“ erklärt wurde. Die Bauern, die dort Apfelbäume pflegen, durften nicht mehr ihre Felder bestellen. Dem folgte gemäß Medienberichten ein „gewaltiger Truppenaufmarsch“. Am Vormarsch waren Bulldozer, Bohrmaschinen und anderes Baugerät beteiligt. Im ganzen Norden Israels wurde Israels Armee wegen der Militäroperation in den höchsten „Alarmzustand“ versetzt. Einige wenige Reservisten sind eingezogen worden, vor allem Bauingenieure.
Der „Feind“ waren weder schießende Soldaten noch Panzer oder Abschussrampen der rund hunderttausend im Libanon bei der Hisbollah eingelagerten Raketen. Mit genauer Zieltechnik können sie angeblich jeden Punkt in Israel treffen.

Der Feind bestand zunächst aus „Gerüchten“ von Einwohnern Metullahs, die unter ihren Häusern unklare Erschütterungen bemerkt und gewisse Geräusche gehört hätten. Seit mindestens 4 Jahren prüfen Experten des Militärs diese Behauptungen, aber erst jetzt kamen sie ihnen auf die Spur: im Felsen tief unter den Häusern von Metullah entdeckten sie einen Tunnel, den die Hisbollah angeblich unter der Grenze hinweg nach Israel hinein grabe.
Die Hisbollah-Miliz hatte vor einigen Tagen selber einen Hinweis zu dem Projekt geliefert. Sie behauptete, nach Ausbruch des nächsten Krieges sogar Teile von Galiläa im Norden Israels erobern zu können. Dazu müssten freilich Kämpfer nach Israel eindringen. Da die Grenze oberirdisch bewacht und befestigt ist, kann das aber nur unterirdisch geschehen, also durch Angriffstunnel, wie sie die Hamas im Gazastreifen durch den Sand bis tief in israelisches Gebiet gegraben hat. Entlang der Grenze zum Libanon gibt es jedoch keinen Sand, sondern hartes Gestein.

„Kritische Bedrohungssituation“

Auch ohne die Warnungen der Hisbollah anhand von Videofilmchen waren Israels Militär- und Regierungsspitze offenbar schon seit einiger Zeit umfassend informiert.
Nach dem plötzlichen Rücktritt von Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und den nachfolgenden Drohungen von Ministern, die Regierung stürzen zu wollen, hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu über eine „kritische Bedrohungssituation“ gesprochen. In einer solchen Zeit sei es „unverantwortlich“, eine Regierungskrise auf die Spitze zu treiben oder Neuwahlen auszurufen. Niemand verstand, worum es ging. Denn gerade erst war doch eine akute Krise im Gazastreifen entschärft worden. Nach einem gescheiterten tödlichen Kommandounternehmen der Israelis und 400 auf Israel abgeschossenen Raketen der Hamas war wieder Ruhe eingekehrt.

Erster Terrortunnel entdeckt

Rätselraten löste auch der überstürzte Flug des Ministerpräsidenten nach Brüssel aus, um sich dort drei Stunden lang zu einem Gespräch mit dem US-Verteidigungsminister Mike Pompeo zu treffen.
Erst nach der Rückkehr Netanjahus kam die überraschende Mitteilung des Militärsprechers, dass „Krieg ausgebrochen“ sei, freilich mit der Betonung darauf, dass sich das Kriegsgeschehen allein auf der israelischen Seite der Grenze abspiele, mit Bohrmaschinen und anderem Werkzeug, um dort vermutete Tunnel zu entdecken. Gleichzeitig hieß es, dass sich die angekündigte Militäroperation noch dutzende Kilometer ausweiten werde, nämlich entlang der ganzen Grenze zum Libanon.
Am Mittag wurde bekannt, dass man nahe dem libanesischen Dorf Kafr Kila einen etwa zwei Meter hohen Tunnel entdeckt habe, der in der Tiefe von 20 Metern etwa 40 Meter weit in israelisches Gebiet hineinreiche.
Derweil zieht der Libanon Truppen an der Grenze zusammen und wirft Israel vor, nach „eingebildeten Tunnel“ zu suchen. Eine entsprechende Beschwerde sei schon bei der UNO eingereicht worden, um eine Entschärfung der „Krise“ mit dem Einsatz von UNO-Truppen herbeizuführen. Denn die israelische Suche nach Tunnel nahe der Grenze verstoße eindeutig gegen die während des „Libanon-Krieges“ von 2006 verabschiedeten UNO-Resolution 1701. Umgekehrt wirft Israel der Hisbollah vor, mit dem Bau der Tunnel Israels Souveränität verletzt zu haben. Ähnlich sieht es das Weiße Haus in Washington. Die Amerikaner unterstützen Israels „Recht auf Selbstverteidigung“.

Foto: Israelische Soldaten bewachen in Metulla im Norden Israels eine schwere Maschine. Bild vom Dienstag, den 4. Dezember 2018. Quelle: Basel Awidat / Flash90.

Video: Ein Team von Fokus Jerusalem hat mit den Bewohnern des Kibbutz Misgav Am gesprochen, der in unmittelbarer Nähe zur Ortschaft Metulla liegt. Sogar eine Fahne der Hisbollah kann man in der Ferne erkennen.

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