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Fragen über Fragen

ein Kommentar von Johannes Gerloff

JERUSALEM, 08.12.2017 – Bevor ich zu einem Urteil der jüngsten Vorgänge um Jerusalem kommen kann, gibt es eine ganze Reihe von Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte.

Muss die Welt eigentlich die Hauptstadt eines souveränen Staates anerkennen? Soll jetzt Israel fairerweise im Gegenzug Washington als Hauptstadt der USA oder Moskau oder Berlin anerkennen? Hat jemals ein anderes Land der Welt die Staatengemeinschaft gebeten, seine Hauptstadt anzuerkennen?

Und: Müsste man nicht eigentlich Trumps Realitätsnähe loben? Immerhin hat er jetzt eine Hauptstadt anerkannt, die das nach geltendem Recht bereits seit fast sieben Jahrzehnten ist. Zudem hat er lediglich, zwar mit sichtbarem Zögern aber immerhin, den ersten Schritt in Richtung der Umsetzung eines rechtlich eigentlich bindenden Beschlusses gemacht, den sein Kongress vor mehr als zwei Jahrzehnten gefasst hat.

Am Rande sei dazu bemerkt: Die Russen haben es nicht nur geschafft, vor den Amerikanern einen Menschen in den Weltraum zu schicken. Sie haben auch ein halbes Jahr vor den USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Wo blieb damals der empörte Aufschrei?

Die Europäer weigern sich, selbst Westjerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Deshalb haben alle Mitgliedsstaaten der EU ihre Botschaften auch in Tel Aviv, das noch nie Hauptstadt des Staates Israel war. Israel ist der einzige Staat weltweit, in dem wir Europäer unsere Botschaften nicht in der Hauptstadt des jeweiligen Landes haben. Ist das nicht der eigentliche Skandal? Zumal niemand ein Problem zu haben scheint, über Ostjerusalem als Hauptstadt eines „Staates Palästina“ zu reden? Dabei gibt es einen „Staat Palästina“ nicht einmal. In den bestehenden, rechtlich bindenden Vertragswerken, wie etwa den Abkommen von Oslo, ist er nicht einmal als Ziel der politischen Prozesses zwischen Israelis und Palästinensern vorgesehen.

Die Begründung europäischer Politiker und Diplomaten für dieses Verhalten ist, dass im Teilungsplan der UNO vom 29. November 1947 Jerusalem als „corpus separatum“ gedacht war. Allerdings hat beim Versuch der Umsetzung dieser UNO-Resolution 181 ein ganzer Staatenbund mit Krieg reagiert – was in der Geschichte der Vereinten Nationen einzigartig ist. Zudem sind Beschlüsse der UNO-Generalversammlung nicht rechtlich bindend, sondern lediglich Empfehlungen. Das gilt, auch wenn die meisten Israelis das nur sehr ungern hören.

Wenn europäische Politiker die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels zum momentanen Zeitpunkt mit dem Verweis auf mögliche gewaltsame Ausschreitungen ablehnen und dann gleichzeitig quasi prophylaktisch Reisewarnungen aussprechen, muss das de facto nicht als Legitimierung des Terrors gesehen werden? Immerhin beugen sie sich einer Gewalt, noch bevor diese überhaupt ausgeübt wurde.

Erste Wirkungen haben die Äußerungen führender westlicher Politiker bereits. Auf der Jaffa-Straße in Jerusalem halten mich drei Touristen an und fragen: „Kann man heute auf den Ölberg gehen?“ Erschreckt fragt ein Freund auf Geschäftsreise in Tel Aviv per E-Mail nach: „Kann man am Wochenende nach Jerusalem fahren?“ Kurze Zeit später klingelt mein Telefon. Ein Reiseagent aus Süddeutschland will wissen: „Was sage ich Gruppenleitern, die jetzt ihre geplante Reise nach Israel absagen wollen?“

Welche Auswirkungen wird das mittel- oder langfristig in der politischen Arena haben, wenn Europa leichter fällt, die Macht des Terrors anzuerkennen, als historische Fakten zu verteidigen? Immerhin gab es keine vergleichbare Empörung, als die UNESCO mehrfach in jüngster Zeit heiligen Stätten im Heiligen Land die eigentlich historisch unstrittige jüdische Verwurzelung streitig machte. Was sollten Kurden oder Katalonier aus diesen Vorgängen lernen, wenn sie ihre politischen Ambitionen effektiv zu Gehör bringen wollen?

Terror wirkt mittlerweile offensichtlich schon bevor er verübt wurde. Er verleitet Politiker nicht nur zu Verlautbarungen, Geschäftsleute und Touristen zu ängstlichen Fragen. Durch die gegenwärtige Lage in Israel und zeitgleich das Geschehen in der arabischen Welt, hatte sich so mancher in der arabischen Gesellschaft gefragt, ob Terror lohnt. Der vorauseilende Gehorsam des Westens lehrt anderes. Auch das wirft Fragen auf, die nach Antworten schreien.

 

Foto: Palästinenser demonstrieren auf dem Tempelberg vor dem Felsendom.

Quelle: Sliman Khader/Flash90

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