Israels bestätigt erstmals Bombenangriff in Syrien
von Ulrich W. Sahm
JERUSALEM, 18.10.2017 – Solange die Israelis nach angeblichen Bombenangriffen in Syrien nichts bestätigten, die Syrer sich ausschwiegen und andere Beteiligte wie Iran, Russland und die USA wegschauten, ermöglichte das diplomatische Spiel des gegenseitigen Schweigens allen Seiten, das „Gesicht zu wahren“. Doch nun wurde von Israel erstmals seit Jahrzehnten offiziell eine militärische Intervention bestätigt. Ein außergewöhnlicher Vorgang!
Nördlich von Israel kam es zu einem militärischen Zwischenfall. Israelische Aufklärungsflugzeuge überflogen den Libanon und wurde von einer syrischen Rakete beschossen. Nach der Heimkehr der Aufklärungsmaschinen schickte Israel Kampfflugzeuge. Sie zerstörten mit vier Bomben die syrische Luftabwehrstellung nahe Damaskus, von wo aus eine russische SA5-Rakete auf die israelischen Aufklärungsflugzeuge über dem Libanon abgefeuert worden war. (FJ berichtete, siehe unten).
Derartige Scharmützel sind nichts Neues und wurden in den vergangenen Jahren immer wieder von „ausländischen Quellen“ gemeldet. Doch erstmals hat nun der israelische Militärsprecher diese Kette von Ereignissen höchstoffiziell bestätigt.
Operation Obstgarten
Laut „ausländischen Quellen“ flogen unter dem Decknamen „Operation Obstgarten“ vier F-15 Kampfflugzeuge der israelischen Luftwaffe am 6. September 2007 einen Angriff auf den al-Kibar-Reaktor in Syrien und zerstörten ihn. Angeblich bastelten die Syrer dort mit Hilfe aus Nordkorea an einer Atombombe. Doch Israel hat diesen mächtigen Schlag niemals bestätigt und Syrien schwieg, weil es nicht eingestehen konnte, sich am Bau einer Atombombe zu versuchen. Trotz riesiger Schlagzeilen in aller Welt taten beide direkt betroffenen Seiten so, als sei nichts passiert. In der diplomatischen Welt ist „nichts passiert“, solange keine Seite das Ereignis offiziell bestätigt.
Seit über 40 Jahren hält der Waffenstillstand
Syrien hat mit Israel nach dem letzten echten Krieg in Nahost 1973 ein kompliziertes Entflechtungsabkommen auf den Golanhöhen geschlossen. Trotz einer ganzen Reihe von tatsächlichen oder mutmaßlichen Zwischenfällen herrscht zwischen den beiden Erzfeinden ein geradezu gespenstischer „Frieden“. Die absolut ruhigste Grenze zwischen Israel und einem Nachbarn ist ausgerechnet die Waffenstillstandslinie auf den Golanhöhen, während es aus dem Libanon, Ägypten und sogar Jordanien sowie aus dem Gazastreifen immer wieder zu Raketenbeschuss oder Terrorattacken gekommen ist.
Vorteil des Schweigens
Die eigentümliche Methode, in Syrien bestimmte Ziele anzugreifen, wobei die Israelis nichts bestätigten, während die Syrer dazu schwiegen, hatte für beide Seiten Vorteile. Israel schickte so den Syrern „Botschaften“ und unterstrich gewisse „rote Linien“. So hat Israel offiziell erklärt, dass es keine Lieferungen hochqualifizierter Waffensysteme wie Luftabwehrraketen an die Hisbollah im Libanon dulde. Genauso will Israel den Waffenschmuggel von Iran an die libanesische Miliz um jeden Preis verhindern. Die Syrer mussten zwar erniedrigende Attacken und eine Verletzung ihrer Souveränität schlucken, waren durch ihr Schweigen aber nicht gezwungen, gegen Israel in den Krieg zu ziehen.
Funktionierende Abschreckung
Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 funktionierte die gegenseitige Abschreckung. Die Syrer verfügten über ein von den Sowjets geliefertes Raketenarsenal, mit dem sie jeden Punkt in Israel augenblicklich treffen konnten. Damals wurde nicht einmal von Giftgas oder anderen Massenvernichtungswaffen gesprochen. Umgekehrt verfügt Israel über eine Luftwaffe und eine klar überlegene Militärmacht, mit der ebenso jederzeit die wichtigsten Städte in Syrien in Schutt und Asche gelegt werden könnten. 1982, während des ersten Libanonkrieges, kam es zu Luftgefechten über libanesischem Territorium, bei denen die Israelis ein Drittel der syrischen Kampfflugzeuge abschossen. Da sich die Luftkämpfe außerhalb des Territoriums beider Länder abspielten, kam es nicht zu einem direkten Krieg. Damals achteten die Syrer penibel darauf, die israelischen Kampfflugzeuge über Libanon nicht vom eigenen Territorium aus etwa mit Raketen zu beschießen. Sie wollten den Israelis keinen Vorwand liefern, Syrien direkt anzugreifen. Die Syrer hatten jedoch durch ihre Verluste bei den Luftkämpfen eine saftige „Lehre“ erhalten. Sie wirkt bis heute nach.
Israel war auf langen Bürgerkrieg vorbereitet
Heute sind die Beziehungen nicht minder kompliziert. Im Gegensatz zu fast allen „Experten“ in Europa hatte Israel nach Ausbruch des Bürgerkriegs nicht einen baldigen Sturz von Baschar Assad – innerhalb von zwei Wochen – „vorhergesehen“. Gefragt, warum Israel sich nicht mit irgendwelchen Aufständischen gegen den brutalen Diktator im nördlichen Nachbarland verbünde, kam vom israelischen Außenministerium eine diffuse Antwort: Man wisse noch nicht, wer die Oberhand gewinne und wem man wirklich vertrauen sollte. Ohne sich in die internen Zwiste einzumischen, beschränkte sich Israel vor allem auf humanitäre Hilfe. Verwundete und Kranke, Frauen und Kinder, sowie Kämpfer aller Fraktionen, die in Syrien nicht behandelt werden können, wurden an die Grenze gebracht, von israelischen Militärambulanzen übernommen und auf Krankenhäuser in Galiläa verteilt. Dort wurden sie auf israelische Staatskosten gesund gepflegt und anschließend wieder in ihre syrische Heimat zurückgeschickt.
Eine diplomatische Botschaft an den Iran?
Israelische Experten zerbrechen sich den Kopf, welche Auswirkung die ungewöhnliche Bestätigung eines Angriffs durch den israelischen Militärsprecher haben könnte. Ungeachtet des erstaunlichen Verstoßes gegen die bisherigen Spielregeln ist klar, dass die stark geschwächten Syrer sich heute keinen Krieg gegen Israel leisten könnten. Israel hingegen hat mit seiner Ankündigung nicht nur die Syrer angesprochen, sondern auch die Russen und Amerikaner und nicht zuletzt den Iran: Es überschreitet eine rote Linie, wenn von Syrien aus, mit einer russischen Rakete israelische Aufklärungsflugzeuge über dem Libanon ins Visier genommen werden.
Wie sich die Dinge weiter entwickeln, ist nicht abzusehen. Dieser diplomatische Vorstoß ist jedenfalls völlig neu und außerordentlich bemerkenswert.
Bild: ein israelisches F-15-Kampfflugzeug. Foto: Ofer Zidon / Flash 90
Der Bericht von Fokus Jerusalem über den Zwischenfall in Syrien: