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Junger Autist erschossen: Neue Beweise in der Tragödie um Eyad al Hallaq

JERUSALEM, 10.06.2021 (NH) – Er hält einen verdächtigen Gegenstand in seiner Hand, versteckt sich in den Gassen der Jerusalemer Altstadt und beobachtet den Stützpunkt der israelischen Sicherheitskräfte. Die letzten Momente von Eyad al-Hallaq sind nun im israelischen Fernsehen zu sehen.

Verfolgungsjagd auf der Via Dolorosa

Ein Jahr, nachdem der autistische Eyad al-Hallaq fälschlicherweise für einen Terroristen gehalten und von der Grenzpolizei erschossen wurde, tauchte nun das Sicherheitsvideo der Verfolgungsjagd auf. Der israelische Nachrichtensender N13 strahlte es aus. Der junge Araber, der unter einer Autismus-Störung litt, war auf seinem täglichen Weg zum Zentrum für geistig behinderte Jugendliche in der Altstadt Jerusalems. Im Video ist zu sehen, wie er am Löwentor ankommt und in seiner rechten Hand ein verdächtiges Objekt hält. Er versteckt sich in einer schmalen Gasse und beobachtet einen Grenzpolizei-Posten. Israelische Sicherheitskräfte erkennen über dort positionierte Sicherheitskameras, wie die verdächtige Person sich langsam in ihre Richtung bewegt. Sie nehmen fälschlicherweise an, es handele sich bei dem verdächtigen Objekt um eine Waffe, und schlagen über Funk Alarm. Es beginnt eine Verfolgungsjagd von Polizei und Grenzpolizei, die sich nicht darüber bewusst ist, dass es sich bei der verdächtigen Person um einen geistig behinderten Mann handelt. Die Grenzpolizisten sind sich sicher, dass sie  es mit einem bewaffneten Terroristen zu tun haben, und erschießen ihn.

Sicherheitskräfte hielten ihn für einen Terroristen

Während der Vernehmung in der Abteilung für interne polizeiliche Ermittlungen behauptete einer der Polizisten: „Der Verdächtige hielt eine schwarze Handfeuerwaffe in der rechten Hand und versuchte, sich der Tür des Grenzpostens zu nähern. Seine Bewegungen waren sehr verdächtig und er schien nervös zu sein. In diesem Augenblick kam mir der Gedanke, dass er plane, die dort positionierten Polizisten zu erschießen.“. Ein weiterer Offizier erzählte während seiner Anhörung: „Sein ganzes Verhalten war sehr verdächtig. Er lief die ganze Zeit hin und her und der schwarze Gegenstand in seiner Hand sah aus wie eine Schusswaffe.“

Grenzpolizist muss sich verantworten

Anfang der Woche fand die Anhörung des Beamten statt, der al-Hallaq erschoss. Efrat Nachmani-Bar, die Anwältin des angeklagten Grenzpolizisten, erklärte dem Nachrichtensender N13: „Es ist eine Tragödie. Wir haben erst im Nachhinein herausgefunden, dass es sich nicht um einen Terroristen handelte, sondern um eine Person mit speziellen Bedürfnissen. Aber nicht der angeklagte Grenzpolizist ist schuld am Tod des jungen Mannes, sondern die Sicherheitskräfte und deren falsche Einschätzung der Situation.“

Während der Verhöre wiesen die Anwälte des Grenzpolizisten mehrfach darauf hin, dass al-Hallaq  als Terrorist identifiziert wurde und daraufhin die „Neutralisierung“ der verdächtigen Person vorgenommen wurde. Der Grenzpolizist habe sich nicht strafbar gemacht. Seine Anwälte übergaben  die Gutachten von sieben Polizeikommissaren, die die Einschätzung und den Handlungsablauf des angeklagten Grenzpolizisten bestärken. In den kommenden Wochen wird  entschieden, ob der Grenzpolizist sich vor Gericht wegen Mordes verantworten muss. Man hofft in der Zwischenzeit herauszufinden, was Al-Halaq damals in der Hand hielt und von den Polizisten für eine Schusswaffe gehalten wurde. Bis heute konnte der verdächtige schwarze Gegenstand nicht ausfindig gemacht werden.

Foto: Eyad al-Hallaq wurde fälschlicherweise für einen Terroristen gehalten. Quelle: Privat.

„Erst Floyd dann al-Hallaq“

Der Vorfall ereignete sich nach einer Reihe von Terroranschlägen in Judäa und Samaria vor dem Hintergrund palästinensischer Warnungen, das Land mit einer blutigen Gewaltwelle zu überfluten. Die Drohung, die Terrorattacken auch auf Jerusalem auszuweiten, hatte die Polizei in Alarmbereitschaft versetzt. Ein Tag vor dem Tod al-Hallaqs vereitelten israelische Soldaten eine Autoattacke in der Nähe von Ramallah, als ein palästinensisches Fahrzeug versuchte, eine Gruppe von jungen Soldaten zu überfahren. Der Autoattacke gingen Messerattacken auf Grenzpolizisten im Jerusalemer Stadtteil Armon Hanatziv voraus sowie Terrorattacken von zwei Palästinensern auf israelische Soldaten in der Region Binyamin. Dort versuchten die Terroristen Nähe der jüdischen Amichai-Siedlung mit landwirtschaftlichen Geräten auf die Soldaten einzustechen, konnten jedoch überwältigt werden.

Der Fall des getöteten Autisten sorgte in Israel für Kontroversen. Man zog Parallelen zur Polizeibrutalität in den USA und der Ermordung von George Floyd. Floyd wurde in Minneapolis von Polizisten ermordet,  nur fünf Tage vor der Tragödie in der Jerusalemer Altstadt. Israelische Politiker sprachen der Familie ihr Beileid aus und versprachen eine rasche Untersuchung des Falles.

Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas verurteilte das Handeln der israelischen Polizei und nannte den Fall ein „Kriegsverbrechen“. Die palästinensische Terrororganisation Hamas kündigte an, als Rache eine neue Intifada auszurufen.

Titelbild: Das Löwentor und die dort positionierten Sicherheitskräfte wurde bereits mehrfach Ziel palästinischer Terrorattacken. Foto: Olivier Fitoussi/Flash90

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