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Helden ohne Umhang (10): Asaf – der Mann, der seine Exekution überlebte

von Nadine Haim Gani

TEL AVIV, 25.06.2021 – Asaf Bar wurde Opfer des grausamen Massakers auf dem Sarona-Gelände in Tel Aviv, das vier Menschen das Leben kostete. Er war der Erste, der von den beiden palästinensischen Terroristen angeschossen und lebensgefährlich am Kopf verletzt wurde. Er lag bereits blutend da, als einer der Terroristen umkehrte, um die Arbeit zu beenden und Asaf zu exekutieren. Ein zweiter Schuss direkt in den Hinterkopf sollte ihn töten.

Asaf Bar, der damals 26-Jährige, hatte sich am Abend des 8. Juni 2016 zum ersten Mal mit Deborah getroffen. Sie wählten für ihr Date das beliebte Restaurant und Café “Max Brenner” auf dem Sarona-Gelände in Tel Aviv. Es war für das junge Paar Liebe auf den ersten Blick. Deborah wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welchen schweren Kampf Asaf zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich hatte.

Ein romantischer Abend 

Einige Wochen zuvor wurde seiner geliebten Mutter die schwere Nachricht überbracht, dass sie nicht mehr lange zu leben habe. Ihr Krebs hatte das Endstadium erreicht. Asaf entschied, sein Studium und alle seine Freizeitaktivitäten aufzugeben, um sie zu pflegen und ihr in ihrem letzten Lebensabschnitt beizustehen. Vor ihrem Tod hinterließ ihm seine Mama eine wichtige Botschaft, Worte, die schon bald eine besondere Bedeutung bekommen sollten. Sie legte ihrem Sohn an einem ihrer letzten Tage ans Herz, niemals das Leben aufzugeben. Egal was jemals geschehen sollte, das Leben dürfe niemals aufhören.

Ein Monat nach dem Tod seiner Mutter, nachdem er die 30 jüdischen Trauertage beendet hatte, entscheidet er sich, Deborah auf ein romantisches Abendessen in Tel Aviv einzuladen. Das junge Paar genießt die kulinarischen Köstlichkeiten und lernt sich näher kennen. Erstaunt von dem modernen Restaurant schießen die beiden Bilder von sich und den attraktiven Gerichten. Es ist das erste Mal, dass Asaf sich nach dem Tod seiner Mutter eine Auszeit gönnt. 

Terroristen in Anzügen

Nicht weit vom Restaurant entfernt treffen sich zwei gut gekleidete junge Männer. Mit Aktentaschen in den Händen laufen sie zielstrebig auf das Café im Sarona-Komplex zu. Niemand schenkt den vermeintlichen Geschäftsmännern Beachtung.

Deborah bemerkt die beiden jungen Männer, als diese kurz nach 21 Uhr das Restaurant betreten. Sie und Asaf witzeln über das Outfit der beiden Gäste. Asaf sitzt mit dem Rücken zu den Geschäftsmännern, als die beiden auf den Tisch des jungen Paares zu gehen. Deborah fällt auf, dass die Anzüge den beiden um ein paar Größen zu groß sind. Ein No-Go bei klassischen schwarzen Anzügen. Die Herren nehmen am Tisch gegenüber Platz. Mehrfach streifen Deborahs Blicke die des jungen Geschäftsmannes. Deborahs wird stutzig, als die Gäste das bestellte Essen nicht anrühren. Einer der Männer greift nach der Kette unter seinem Hemd, küsst das Amulett und murmelt unverständliche Worte. 

Todesangst bricht aus

Es ist 21:26 Uhr. Asaf und Deborah essen genüsslich ihre Desserts zu Ende und planen, das Restaurant zu verlassen. Doch die Männer am Tisch gegenüber haben andere Pläne. Sie springen plötzlich von ihren Stühlen, ziehen Schusswaffen und beginnen wild um sich zu schießen. Panik bricht aus. Schreie und Schüsse durchschneiden die Luft. Die Terroristen, zwei palästinensische Cousins, rennen von Tisch zu Tisch und feuern auf alles, was sich bewegt. Asaf wird aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Der Terrorist geht einen weiteren Schritt auf ihn zu und feuert eine weitere Kugel auf Asafs Hinterkopf ab, um ihn zu töten.

Deborah versteht erst einige Sekunden später, dass sich vor ihren Augen ein Terroranschlag abspielt, und sucht instinktiv die Flucht. In Todesangst rennt sie aus dem Café und versteckt sich mit zwei weiteren Frauen auf den Toiletten. Nur ein einziger Gedanke geht der jungen Frau durch den Kopf „Warum habe ich nicht gekämpft? Warum habe ich Asaf zurückgelassen?“

Asaf schließt mit seinem Leben ab

Zur gleichen Zeit liegt Asaf noch immer in seinem Stuhl, unbeweglich und ohne jegliche motorischen Gefühle. Die Terroristen, die bei dem grausamen Attentat vier Menschen kaltblütig getötet haben, stehen nicht weit von ihm entfernt. Sie ergreifen erst die Flucht, als Patronen in ihrem Magazin stecken bleiben und sie nicht weiter schießen können. Asaf hört das Chaos, das sich im Café abspielt, ist jedoch vor Schmerzen gelähmt. Er erkennt nur Blitze von den Geschehnissen um ihn herum. Eine plötzliche kalte Stille erfüllt den Raum. Asaf ist sich sicher, dass dies seine letzten Momente sind.

Auch Deborah und die anderen Frauen hören, wie die Schüsse und Schreie verstummen. Sie ist sich sicher, dass Asaf die Schüsse in den Kopf nicht überlebt hat, und will die Toilette nicht verlassen. Sie hat Angst vor den schrecklichen Bildern, die sie erwarten. Erst nach langen Momenten findet sie den Mut, an den Tisch zurückzukehren. Doch Asaf liegt nicht mehr dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Asaf sitzt auf einem Stuhl zwischen Sanitätern. Ihre glücklichen Schreie „Er lebt, er lebt!“, kann sogar der benommene Asaf hören.

In der Zwischenzeit werden andere schwer verletzte Gäste behandelt und zur Versorgung in die anliegenden Krankenhäuser gebracht. Wie schwer die Kopfverletzungen von Asaf sind, erkennen die Sanitäter in diesem Moment nicht. Trotz der beiden Geschosse, die in Asafs Kopf stecken, ist er bei Bewusstsein. Die Situation verwirrt die Helfer und niemand ist klar, dass Asaf in akuter Lebensgefahr schwebt. Er verlässt den Tatort erst in einem der letzten Krankenwagen. Deborah weicht nicht von seiner Seite und fleht ihn an, nicht einzuschlafen. Zwar hat sie keine Kurse zur Sanitätsausbildung belegt, doch sagt ihr innerer Instinkt, sie müsse darauf achten, dass Asaf wach bleibt.

Lebensgefährliche Hirnblutung

Doktor Ido Strauss sitzt an diesem Abend mit seiner Ehefrau bei einem gemütlichen Fernsehabend auf dem Sofa, als ihn die Nachricht des Terroranschlages erreicht. Der Neurochirurg eilt sofort in das Ichilov-Krankenhaus. Schon unterwegs bekommt er die Nachricht, dass einer der Verwundeten mit zwei Patronen im Kopf in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Nach kurzen Tests erkennen die Ärzte, dass die Kugeln im Schädelknochen des Patienten feststecken und sich darunter eine lebensgefährliche Hirnblutung bildet. Das Ärzteteam ist sich im Klaren darüber, dass die Überlebenschancen von Asaf gering sind.

Doch Dr. Strauss nimmt den Kampf auf. In einer komplexen Operation können die beiden Kugeln aus Asafs Kopf entfernt und die Blutungen gestoppt werden. Zwar ist das Team glücklich, den jungen Patienten gerettet zu haben, doch befürchten die behandelnden Ärzte, dass Asaf einen schweren irreparablen Hirnschaden davon getragen hat.

Ein Wunder für die behandelnden Ärzte

Nach langen, nervenaufreibenden Stunden öffnet Asaf die Augen. Sein Vater versucht seinem Sohn zu erklären, dass er einen barbarischen Terroranschlag überlebt hat. Asaf ist zwar sehr schwach, aber überglücklich, am Leben zu sein. Für die Ärzte ist sein Fall ein Wunder. Als Asaf erwacht, ist er im Stande, sich seiner Umwelt mitzuteilen und jedes seiner Familienmitglieder zu erkennen. Selbst Dr. Strauss findet keine logische Erklärung für die wundersame Genesung seines Patienten, der gegen alle Prognosen ohne bleibende Schäden erwacht. 

Asaf kämpft sich zurück ins Leben

Asaf, der in ganz Israel als Wunder gefeiert wird, beginnt seinen eigenen Kampf. Eines seiner Beine ist gelähmt, er leidet unter schweren Konzentrationsstörungen und posttraumatischen Attacken. Der junge Mann droht an den grausamen Erlebnissen zu zerbrechen. Er isoliert sich völlig von seiner Außenwelt. Doch Deborah ist nicht bereit aufzugeben und entscheidet sich, für die junge Liebe zu kämpfen. Sie hat Erfolg und führt Asaf zurück ins Leben. Er erklärt unter Tränen in einem Fernsehinterview: „Alles, was verwelkt, kann wieder wachsen. Was zerbrochen ist, kann repariert werden. Wenn Du das erst einmal begriffen hast, bist du unschlagbar!“ Der junge Kämpfer nimmt sein Studium wieder auf und macht sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Doch der eigentliche Hauptgewinn für Asaf ist seine Deborah. Zwei Jahre nach dem brutalen Attentat, während einer Reise nach Paris, hält er um ihre Hand an. Die Kraft des jungen Paares, gemeinsam weiter zu gehen, auch wenn dies unmöglich erscheint, beeindruckt und motiviert. Dennoch kreisen die Fragen und Gedanken des jungen Ehepaares oft um die Geschehnisse an dem schicksalhaften Abend. Doch die Frage „Warum und Wie“ wird durch den Blick in die gemeinsame Zukunft und Träume ersetzt. 

Asaf und Deborah an ihrem Hochzeitstag. Asaf trägt unter seinem Hemd ein Superhelden T-Shirt. Quelle: Mit freundlicher Erlaubnis von Asaf. Foto: Yaniv Biton

Asaf und Deborah sind heute stolze Eltern einer kleinen, bezaubernden Tochter und hoffen mit ihrer Geschichte Menschen zu berühren, die sich, wie einst sie selbst, ungewollt in finstere Täler verirrt haben. Den Satz seiner Mutter möchte Asaf seinen Mitmenschen weitergeben: „Das Leben darf niemals aufhören. Egal was passiert, lebe weiter!“

Titelbild: Asaf überlebte seine eigene Exekution. Quelle: Mit freundlicher Erlaubnis von Asaf. Foto: Yaniv Biton

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