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Philip Steele – Mit Geschichte einen Beitrag für die Zukunft leisten

von Deborah Karrer

JERUSALEM/WARSCHAU, 13.11.2021 – In den Beziehungen zwischen Israel und Polen kriselt es seit Jahren. Der Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges hat einen Keil in die diplomatische Verbindung zwischen den beiden Nationen getrieben. Zuletzt hatte die Änderung eines polnischen Gesetzes zum Verwaltungsrecht von Immobilien, die von der kommunistischen Regierung beschlagnahmt wurden, im jüdischen Staat für Empörung gesorgt. Die Änderung setzt nun auch Nachfahren von Holocaust-Überlebenden eine Frist, ihre Ansprüche geltend zu machen. Präsident Andrzej Duda setzte den Entscheid trotz massiver Kritik aus dem Ausland durch. Während die Spannungen hochkochen, versucht der amerikanische Historiker, Philip Earl Steele, die Wogen zu glätten. Er erklärt gegenüber Fokus Jerusalem, dass Polen und Israel eine neue Sicht auf ihre gemeinsame Geschichte gewinnen können. Im Schatten des Holocaust sind hunderte Jahre jüdisch-polnischer Geschichte so gut wie in Vergessenheit geraten. Aber die Gründung Israels wäre nicht möglich gewesen ohne wichtige Persönlichkeiten, deren zionistische Überzeugungen erstmals in Polen Form annahmen. 

Holocaust überschattet hunderte Jahre polnisch-jüdischer Geschichte

Wenn über jüdisches Leben in Polen gesprochen wird, handelt es sich meist um die drei Millionen Juden, die in den Vernichtungslagern der deutschen Nationalsozialisten ihren Tod fanden. Viele israelische Schulen bieten Studienreisen nach Polen an, in denen die Jugendlichen über die Gräueltaten auf polnischem Grund und Boden unterrichtet werden. Oftmals ist dies die einzige Verbindung der Schüler zu dem osteuropäischen Land. Dass der politische Aktivismus wichtiger Spielfiguren in der Geschichte Israels, wie etwa der ehemaligen Regierungschefs, David Ben-Gurion und Menachem Begin, in Polen seinen Anfang nahm, ist nur wenigen bekannt. Durch Veranstaltungen, Vorträge und Festivals in ganz Polen wurden sie und viele Andere zu Pionieren und Gründern des jüdischen Staates. 

Die Geschichte des Zionismus als verbindendes Glied zwischen den beiden Nationen

Als Steele vor 31 Jahren aus dem US-Staat Idaho nach Polen kam, wurde er an der Universität Warschau angestellt, um Amerikanistik zu lehren. Doch dann nahm seine Forschung eine dramatische Wendung. Der Wissenschaftler lehrte amerikanische Kultur als er begann über das mittelalterliche Polen zu forschen und sein Interesse für die jüdische Geschichte erwachte. Bei einem Interview gab Steele preis, dass es nicht einfach für ihn sei, die Beziehungen zwischen Polen und Israel so im Argen liegen zu sehen. Seine Vision ist es, die Geschichte polnisch-jüdischer Beziehungen in Erinnerung zu rufen, wobei er seinen Fokus auf den Beginn des Zionismus im 19. Jahrhundert legt. Dabei betont er auch, dass nicht überall in Polen der Antisemitismus auf dem Vormarsch war. Persönlichkeiten wie etwa Rabbi Tsevi Hirsch Kalischer und Rabbi Samuel Mohylewer kamen zu ihren zionistischen Überzeugungen nicht aufgrund grassierender Gewalt.

Unter der Oberfläche schwelt bis heute Antisemitismus in Polen

Steeles Vision setzt beim historischen Verständnis der Bevölkerung an. Durch eingängige Analysen soll zuerst die Einstellung von Polen und Israelis zueinander geändert werden. Der Akademiker räumt auch ein, dass heute noch viel antisemitische Vorurteile in Polen herrschen, auch wenn es nicht oft zu Übergriffen kommt. Auch dieses Problem soll durch eine neue Perspektive auf die gemeinsame Geschichte verändert werden. Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie der „European Jewish Association“  hat aufgezeigt, dass Polen mit zu den europäischen Ländern gehört, in denen die Vorbehalte gegen Juden am größten sind. Auch in Israel ist man Polen gegenüber nicht immer freundlich eingestellt. Dank Aktivisten wie Steele muss dies in Zukunft jedoch nicht immer so bleiben. 

Bild: Der amerikanische Historiker Philip Steele. Quelle: Privat

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