Spannende Rennen um Israels Bürgermeister-Posten
von Ulrich W. Sahm
JERUSALEM, 29.10.2018 – Am Dienstag wird in Israel gewählt. Dabei sind die rund 6,6 Millionen Wahlberechtigten aufgerufen, die Stimme für ihre künftige Bürgermeister abzugeben. Nach Angaben des Innenministeriums stehen 3,400 Parteien und eine noch unbekannte und unüberschaubare Anzahl Kandidaten in 291 Städten und Ortschaften zur Wahl.
Bei den letzten Wahlen, 2013, lag die Wahlbeteiligung landesweit bei 51.9 Prozentz, in Tel Aviv nur bei 28.7 Prozent und in Jerusalem bei 36,1 Prozent. Erstmals wird der Kommunalwahltag arbeitsfrei sein, um die Bürger zu den Urnen zu locken.
Bunt sind die Eigenschaften der Kandidaten. Der jüngste ist nur 26 Jahre alt: Ayoub Abu Kaf, in der Beduinenortschaft Sal-Kasom. Die Ältesten sind 82, Kandidaten für Beer Schewa und Jawne. 665 Männer wollen Bürgermeister werden, aber nur 58 Frauen. Die Zahl der sich bewerbenden Frauen liegt immer noch bei weniger als einem Zehntel der Kandidaten.
Grundsätzlich muss der Sieger mindestens 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, um Bürgermeister zu werden. Andernfalls gibt es am 13. November eine zweite Wahlrunde, um zwischen den beiden Erstplazierten zu entscheiden.
Gerichte mischen sich ein
Erwähnenswert sind vor allem die kleinen Skandale und Gerichtsprozesse, die den Wahlkampf begleiten. Im Dorf Arabe hat erstmals ein Gericht dem Kandidaten Aliah Asalah verboten, sich wegen eines Verkehrsdelikts aufzustellen. Er ist in seinem Dorf erwischt worden, wie er zu schnell gefahren war. Ansonsten gab es Ausschlüsse von Kandidaten wegen Korruption oder Vetternwirtschaft. In einigen Orten haben Gerichte eingegriffen und Kandidaten ausgeschaltet. In der frommen Stadt Elad zum Beispiel wurde der Kandidat Yitzhak Pindrus gesperrt, weil er angeblich dort nicht wohnt. Er habe sich in Elad zwar eine Wohnung gemietet, um einen Wohnsitz anzumelden, lebe aber mit seiner Familie weiterhin in Jerusalem. Das Gericht musste entscheiden, wo denn nun sein „Lebensmittelpunkt“ sei.
Signalwirkung haben nur die Bürgermeister der drei großen Städte: Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. Jonah Jahav, Ron Huldai und Nir Barkat sind auch jenseits ihrer Stadtgrenzen bekannt. Und so wird spekuliert, ob sie sich nach den Wahlen in die nationale Politik stürzen wollen, vielleicht gar, um Premierminister Benjamin Netanjahu den Posten als Regierungschef streitig zu machen.
Wann die nächsten landesweiten Wahlen zur Knesset stattfinden ist offen, solange Netanjahus Koalition zwar immer wieder wackelt, aber hält. Der Premier jedenfalls versucht, den Termin so weit wie möglich in die Ferne zu schieben. Das kann sich jederzeit ändern, entweder weil es doch zu einer Anklageschrift gegen ihn kommt, oder weil zum Beispiel die frommen Koalitionspartner plötzlich abspringen, weil es mal wieder einen Verstoß gegen die Sabbatruhe gegeben hat.
Anders als in Deutschland, wo die Wahlen in den Bundesländern eine klare Signalwirkung für den nächsten Bundestag haben, zumal sich die gleichen Parteien bewerben, herrscht in Israel ein kunterbuntes Durcheinander.
Fromme Städte
In frommen Städten wie Bnei Brak nahe Tel Aviv, Elad oder Beitar haben nur fromme oder ultraorthodoxe Parteien eine Chance. Andere bewerben sich da gar nicht erst. Gleiches gilt für arabische Ortschaften, wo nur Mitglieder der arabischen Einheitspartei gegeneinander streiten. In der „vereinten Liste“ haben sich Islamisten, Kommunisten und Nationalisten zu einer gemeinsamen Partei vereint, um die seinerzeit hohe Sperrklausel zu überwinden.
Haifa
In Haifa war die Frau Einat Kalisch Rotem vom Innenministerium ausgeschlossen worden, weil die Arbeitspartei zwei Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters angemeldet hatte. Das widerspreche den Regeln. Das Oberste Gericht überstimmte inzwischen den Beschluss. Jetzt sieht sich der seit 2003 in der Stadt regierende Jonah Jahav mit ernsthaften Konkurrenten konfrontiert, darunter dem Anwalt und früheren Berater des Finanzministers David Etzioni, dem Generaldirektor des Hafens, Mendy Saltzman, dem früheren Direktor der Stadtverwaltung Yisrael Savyon und Avihu Hahn von der Grünen Partei in Haifa. Einige werden sich angeblich mit dem amtierenden Bürgermeister ein Kopf an Kopf rennen leisten.
Jerusalem
Völlig offen ist der Ausgang der Wahlen in Jerusalem. Nir Barkat bewirbt sich nicht mehr. Die meisten Kandidaten stehen der Likud-Partei nahe. Spannend wird es wegen des arabischen Kandidaten Muhammad Ramadan Dabasch aus dem Viertel Zur Bacher.
Doch wegen Morddrohungen ist nicht klar, ob er sich wirklich wählen lassen will. Die Araber in Jerusalem stellen etwa 40 Prozent der wahlberechtigten Stadtbewohner. Doch seit 1967, als Israel den Ostteil der Stadt von Jordanien erobert und sich eingegliedert hat, boykottieren die Araber die Kommunalwahlen. Der Gang zur Urne gilt als „Anerkennung“ der „illegalen Besatzung“. Gleichwohl sagen auch Araber in Jerusalem, dass sie bei einer geschlossenen Wahlbeteiligung durchaus eine Mehrheit im Stadtrat erringen und vielleicht sogar den Bürgermeister stellen könnten. Aus Sicht der Autonomiebehörde kommt die Kandidatur von Dabasch einem „Hochverrat“ am palästinensischen Nationalkampf gegen die Zionisten gleich. Und Hochverrat wird mit dem Tode bestraft.
Sollte Dabasch gewählt werden, wäre es eine Sensation für das politische Gefüge in Israel. Die Araber Jerusalems sind übrigens ausnahmslos Inhaber der jordanischen Staatsbürgerschaft und nicht „Palästinenser“, weil sie nicht in den Autonomiegebieten leben. Bisher klagten sie stets, von der Stadtverwaltung vernachlässigt worden zu sein. Tatsächlich mangelt es an Müllabfuhr. Die Schlaglöcher in den Straßen ihrer Viertel werden kaum jemals repariert. Doch wissen die Araber inzwischen, dass das etwas mit der Demokratie zu tun hat. Denn wenn nur Juden im Stadtrat vertreten sind und kein einziger Araber, wieso sollten die jüdischen Stadträte die knappen Gelder in den arabischen Vierteln für eine vernünftige Müllabfuhr investieren, wenn sie von dort keine einzige Stimme für ihre Wiederwahl erwarten können? Die Araber sind als „ständige Bewohner“ wahlberechtigt, auch ohne die israelische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Bürgermeister kann aber nur werden, wer Israeli ist. Das gilt auch auf den Golanhöhen, wo erstmals in drei drusischen Ortschaften Kommunalwahlen abgehalten werden sollen.
Bild: Nir Barkat, der beliebte und fortschrittliche Bürgermeister von Jerusalem, kandidiert nicht mehr. Er geht für die Likud-Partei in die „große Politik“. Spannend ist, wer morgen zu seinem Nachfolger gewählt wird. Foto: Miriam Alster / Flash90