zurück zu Aktuelles

Prozessauftakt: Netanjahu inszeniert sich als Verschwörungsopfer

JERUSALEM, 25.05.2020 (DK) – Der Auftakt des Korruptionsprozesses gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu macht weltweit Schlagzeilen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sitzt ein amtierender Regierungschef auf der Anklagebank. Seit dem Beginn des Gerichtsverfahrens hat Netanjahu seine Angriffe auf das Justizsystem noch einmal verstärkt. Das Gericht und die Polizei hätten sich gegen ihn verschworen, so der 70-Jährige. Am Sonntag musste er sich die komplette Anklageschrift vor dem Jerusalemer Bezirksgericht anhören. 

Netanjahu dieses Jahr vermutlich nicht mehr vor Gericht

Vor wenigen Tagen hatte der Ministerpräsident sein Fernbleiben von der gestrigen Gerichtsanhörung beantragt. Die Richter lehnten dies jedoch einstimmig ab, da auch jeder andere Angeklagte bei der ersten Sitzung anwesend sein muss. Es ist unwahrscheinlich, dass Netanjahu sich dieses Jahr noch einmal im Gerichtssaal blicken lässt. Die gegen ihn erhobenen Anklagen seien von der Staatsanwaltschaft “erfunden” worden, argumentiert der Regierungschef. In einem TV-Interview erklärte der Premier, er habe nichts zu verbergen. 

Das Vertrauen zwischen dem rechtskonservativen Block der Knesset und dem israelischen Justizsystem bröckelt schon lange. Die Richter haben es sich laut Netanjahu zu ihrer Aufgabe gemacht “einen starken amtierenden Regierungschef der Rechten zu stürzen”. Es handle sich dabei um den “Versuch eines politischen Coups gegen den Willen des Volkes”. Sein Koalitionspartner Benny Gantz distanzierte sich von diesen Vorwürfen. 

Netanjahu drohen bis zu 10 Jahren Haft

Die Anklageschrift wurde von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit unterzeichnet. In drei voneinander unabhängigen Fällen muss sich Netanjahu verantworten. Zwei davon werfen ihm die unrechtmäßige Beeinflussung seiner Darstellung in den israelischen Medien vor. Der Regierungschef streitet ab, dass eine solche Absicht vorgelegen habe. Sollte Netanjahu schuldig gesprochen werden, droht ihm eine zehnjährige Haftstrafe. In vergleichbaren Fällen gab es jedoch weit geringere Strafen. Zudem muss ein über 70-Jähriger nur selten tatsächlich in eine Haftanstalt. Beobachter vermuten zudem, dass Netanjahu sich zum Staatspräsidenten wählen lassen könnte, wenn Amtsinhaber Reuven Rivlin (80) in Ruhestand geht. Der israelische Präsident ist gesetzlich vor Strafverfolgung geschützt.

Bild: Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz kurz vor Prozessauftakt. Hinter ihm stehen Ministerinnen und Minister seiner Regierung, die ihm demonstrativ den Rücken stärken. Quelle: Yonatan Sindel/Flash90

Weitere News aus dem Heiligen Land