Richter verpflichten Netanjahu zur Anwesenheit am Prozessauftakt
JERUSALEM, 21.05.2020 (DK) – Die Richter des Jerusalemer Bezirkgerichts haben Ministerpräsident Benjamin Netanjahus persönliche Anwesenheit am Prozessauftakt gefordert. Dieser wollte dem Verlesen seiner Anklageschrift fernbleiben. Die Justiz begründete ihren Schritt damit, dass der Premier bei einem fairen Prozess dieselbe Behandlung wie alle anderen Staatsbürger erfahren müsse. Nächsten Montag wird sich demnach zum ersten Mal in Israels Geschichte ein amtierender Premierminister vor Gericht verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 70-Jährigen Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vor.
Netanjahus Gerichtsprozess hätte eigentlich schon vor zwei Monaten seinen Anfang nehmen sollen. Aufgrund der Coronakrise erklärte Justizminister Amir Ohana jedoch den Ausnahmezustand für das Gerichtssystem. In den vergangenen Wochen wurden nur noch dringende Strafverfahren unter Beachtung der Auflagen des Gesundheitsministeriums durchgeführt. Der Aufschub kam den Anwälten des Premiers gelegen, da diese nur kurze Zeit zuvor eine Verlängerung der Frist beantragt hatten.
Netanjahu muss nicht regelmäßig vor Gericht erscheinen
Obwohl die Richter diesmal auf die Anwesenheit des Ministerpräsidenten bestanden, bedeutet dies nicht, dass dieser regelmäßig vor Gericht erscheinen wird. Der Kampf gegen die Staatsanwaltschaft wird letztendlich von Netanjahus teuer bezahlten Anwälten geführt. Der Premier selbst hat derzeit nämlich alle Hände voll zu tun. Am Sonntag bekam Israel nach eineinhalb Jahren politischer Lähmung endlich eine Regierung. Bei der Vereidigung am Sonntag versprach Netanjahu sein Amt im November 2021 an den ehemaligen Rivalen Benny Gantz abzutreten.
Korruptionsanklage führt zu politischer Polarisierung in Israel
Die Korruptionsanklage gegen Netanjahu hat in Israel zu einer zunehmenden politischen Polarisierung geführt. Trotz der Pandemie protestierten Tausende in Tel Aviv in den vergangenen Monaten gegen den Einzug Netanjahus ins Parlament. Ein unter Anklage stehender Regierungschef sei undenkbar, so die Demonstranten. Auf der anderen Seite stehen die Wähler nach wie vor geschlossen hinter dem Premier. Sie schließen sich der Meinung Netanjahus an, dass es sich bei dem Prozess um einen zu starken Eingriff der Justiz handle. Das Gericht habe kein Recht sich in die Politik einzumischen und ein demokratisches Ergebnis zu widerrufen.
Bild: Die Richter des Obersten Gerichts bei einem Vorprozess im Falle Netanjahus. Quelle: Olivier Fitoussi/Flash90