Wie gefährlich sind Joe Biden und Kamela Harris für Israel?
JERUSALEM / WASHINGTON, 08.11.2020 (TM) – Kaum hatten die amerikanischen Medien die Wahl von Joe Biden zum 46. Präsidenten der USA gemeldet, da prasselten Glückwünsche aus aller Welt auf den 77-Jährigen ein. In Israel hüllte sich die Führungsspitze des Landes jedoch in Schweigen: Kein Wort von Regierungschef Netanjahu, seinem Stellvertreter Gantz, Staatspräsident Rivlin und Außenminister Ashkenasi. So wurde Oppositionsführer Lapid zum ersten namhaften Gratulanten aus dem Heiligen Land, gefolgt vom Fraktionsvorsitzenden der Vereinigten Arabischen Liste, Odeh. Währenddessen feierten die Anti-Netanjahu-Demonstranten auf den Straßen Jerusalems lautstark die Abwahl von Trump und wünschten, dem israelischen Regierungschef möge es ebenso ergehen wie seinem Freund im Weißen Haus.
Es dauerte zwölf Stunden, bis sich die israelische Staatsspitze dazu durchrang, dem neuen mächtigsten Mann der Welt zu gratulieren. Benjamin Netanjahu schrieb auf Twitter: „Joe, wir haben eine lange, warme persönliche Beziehung seit fast 40 Jahren. Ich kenne Dich als großen Freund Israels.“ Tatsächlich hatte Netanjahu vor einigen Wochen bei seinem jüngsten Besuch in Washington ein Treffen mit Biden vermieden, um seinen Freund Trump nicht zu verärgern. Netanjahus Sympathien für den bisherigen Präsidenten waren allzu offensichtlich. In einem weiteren Tweet an Trump schrieb Netanjahu heute früh: „Danke für die Freundschaft zum Staat Israel und zu mir persönlich, für die Anerkennung Jerusalems und des Golan, für den Widerstand gegen den Iran und für die historischen Friedensvereinbarungen.“
Neues Iran-Atomabkommen?
Joe Biden war von 2009 bis 2017 Vizepräsident unter Barack Obama. Der war „Bibi“ Netanjahu in herzlicher Abneigung verbunden, bis hin zum offenen Streit. Streit scheint nun erneut vorprogrammiert, vor allem, wenn es um den Iran geht. Biden war einer der Architekten des Atomabkommens mit dem Mullah-Regime in Teheran, das Israel für völlig unzureichend hielt. Es wird erwartet, dass Biden dieses Abkommen wiederbeleben und Sanktionen gegen den Iran aufheben wird. Mit der Wahl Bidens ist auch Trumps „Deal des Jahrhunderts“ vom Tisch, der Israel erlaubt hätte, Teile des sogenannten Westjordanlandes und den Ostteil Jerusalems offiziell in sein Staatsgebiet einzugliedern. Der neue Mann an der Spitze des mächtigsten Verbündeten betrachtet israelische Siedlungen in Judäa und Samaria als illegal. Er setzt auf Kontakte mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, die auf verstärkte finanzielle Unterstützung hoffen darf. Es wird erwartet, dass Biden die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem nicht rückgängig machen wird. Ob er die von Syrien beanspruchten Golanhöhen weiterhin als Teil des Staates Israel anerkennt, ist offen.
Harris: Lob und Kritik für Israel
Die designierte Vizepräsidentin Kamela Harris hatte im Wahlkampf angekündigt, dass sie die Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde verbessern möchte. Die 56-jährige ehemalige Staatsanwältin mit jamaikanischen und indischen Wurzeln ist mit dem jüdischen Rechtsanwalt Douglas Emhoff verheiratet. Als Senatorin hat Harris eine Entscheidung der Obama-Biden-Regierung verurteilt, die im UN-Sicherheitsrat nichts gegen eine Resolution unternommen hatte, die die israelischen Siedlungen brandmarkte. 2017 kritisierte sie die „anti-israelischen Vorurteile der Vereinten Nationen“ und sprach sich gleichzeitig für eine „gerechte Zwei-Staaten-Lösung“ aus. Im Gegensatz zu vielen ihrer demokratischen Parteifreunde hat Harris Netanjahu nie öffentlich als Rassist beschimpft. Aber sie erklärte ihren Widerstand gegen seine Pläne, Teile der von den Palästinensern beanspruchten Gebiete zu israelischem Staatsgebiet zu erklären.
Für Netanjahu wird es schwierig
Joe Biden und Kamela Harris sind weder Israel-Gegner noch sind sie aktive Kämpfer für die Palästinenser. Aber sie sind auch keine vorbehaltlosen Unterstützer der israelischen Politik. Netanjahu wird das noch schmerzlich zu spüren bekommen. Statt einer Männerfreundschaft erwarten ihn in Washington künftig Kritik, politischer Druck und schwierige diplomatische Gespräche.
Foto oben: Joe Biden 2016 bei einem Besuch im Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Die beiden kennen sich seit 40 Jahren. Foto: Amos Ben Gershom/GPO