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Helden ohne Umhang (16): Dr. Asael Lubotzky – Vom Elitekämpfer zum Kinderarzt und Bestsellerautor

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 17.09.2021 – Es ist ein normaler Arbeitstag im Shaare-Zedek-Krankenhaus in Jerusalem. Für den Kinderarzt Asael Lubotzky ist es nicht selbstverständlich, hier zu sein. Vor zehn Jahren versuchten Hisbollah-Terroristen, das Leben des gläubigen Juden und Armeeoffiziers auszulöschen. Es ist die Geschichte eines jungen Kriegsveteranen, der nicht nur den Krieg gegen die Terroristen, sondern auch gegen sich selbst gewann.

Dr. Asael Lubotzky als Kinderarzt auf Krücken im Shaare-Zedek-Krankenhaus in Jerusalem. Foto: Tommy Mueller / Fokus Jerusalem

Asael Lubotzky wurde am 21. Januar 1983 in Jerusalem geboren. Er wuchs in der jüdischen Siedlung Efrat auf, besuchte die Thora-Schule in Ma’ale Adumim und verpflichtete sich während seines Armeedienstes für die Golani-Brigade. Nach seinem Abschluss an einer Schule für Offiziersanwärter diente Asael als Offizier im Golani-Kampfbataillon. Seine Führungsqualitäten und Pflichtbewusstsein zeichneten den jungen Offizier aus. Asael sorgte sich stets um die Sicherheit seiner Soldaten und widmete seinen Kämpfern viel Zeit, um ihnen zu helfen, ihre Ängste vor Gefechten zu bewältigen.

Mit der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Schalit im Jahr 2006 wurde Israel gezwungen, in Gaza einzumarschieren. Lubotzky führte seine Soldaten in heftigen Gefechten während der Militäroperation „Sommerregen“ in dem Küstenstreifen. Wenig später wurde seine Einheit in den Norden Israels verlegt. Die blutigen Kämpfe zwischen israelischen Streitkräften und der Hisbollah eskalierten – der Zweite Libanonkrieges brach über Israel herein.

Die Truppe gerät in einen Hinterhalt

Es war der 9. August 2006 nahe der libanesischen Stadt Bint Jbeil im Süden des Libanon, der das Leben des jungen Kämpfers für immer verändern sollte. Die Schlacht um Bint Jbeil gilt als eines der schlimmsten Gefechte im Zweiten Libanonkrieg.

Asael war mit einem Konvoi gepanzerter Armeefahrzeuge in Richtung der libanesischen Stadt Bint Jbeil unterwegs. Das Gefährt von Lubotzky war das Dritte in der Reihe. Etwa zwei Kilometer, nachdem die Truppe die libanesische Grenze überquert hatte, hörten sie über Funk, dass ihr Einsatzleiter sich nicht sicher war, welcher Weg der beste sei. Da Asael gut navigieren konnte, zögerte er keine Sekunde, seinem Truppführer zu helfen. Der junge Soldat öffnete die Luke seines Panzerfahrzeugs, um sich ein Bild der Situation zu verschaffen. Asaels Oberkörper war nicht mehr im Fahrzeug, nur noch die Beine des jungen Mannes.

Asael im Panzerfahrzeug bei einer Armeeübung. Quelle: privat

Ein brennendes Licht, gefolgt von einem riesigen Feuerball, schoss auf Asael zu. Hisbollah-Terroristen hatten den israelischen Armeekonvoi entdeckt und beschossen ihn mit Panzerabwehrraketen. Ein Geschoss schlug direkt in Asaels Fahrzeug ein. Seine Beine wurden schwer verletzt. Der Soldat glaubte, sein ganzer Körper stehe in Flammen. Er erzählte Fokus Jerusalem: „Ich hatte das große Glück, dass ich in dem Moment stand. Wäre ich damals gesessen, würde ich heute nicht hier sein.“

Schwerverletzt gab Asael die letzten Anweisungen: Er befahl dem Kanonier, das Feuer zu erwidern, und wies seinen Fahrer an, sofort anzuhalten. Der Panzer stand Flammen. Soldaten aus anderen Fahrzeugen rannten unter unaufhörlichem Hisbollah-Beschuss zu dem brennenden Gefährt. Sie schafften es, ihren schwer verletzten Kameraden zu retten. Asaels rechtes Bein war völlig zerfetzt. Für ihn war klar, dass ihm eine Amputation bevorsteht.

Ich hätte mir kein besseres Notfallteam wünschen können“

Eine Rettungsmannschaft machte sich auf den Weg zu dem verletzen Soldaten. Es handelte sich um ein spezielles medizinisches Team, das zum Einsatz kommt, wenn Rettungshubschrauber wegen andauernden Gefechten nicht auf dem Schlachtfeld landen können. Diese Notfallteams setzen sich aus verschiedenen Ärzten sämtlicher medizinischer Bereiche aus ganz Israel zusammen. Asael hatte das unglaubliche Glück, dass sein Notfallteam aus einem orthopädischen Chirurgen und einem Gefäßchirurgen bestand. Er verdankt die Rettung seines verletzen Beines hauptsächlich diesen beiden Medizinern. Dank ihrer schnellen und kompetenten Behandlung, mitten in feindlichem Gebiet und unter unaufhörlichem Beschuss, konnte sein rechtes Bein gerettet werden. Er wurde aus der Kampfzone geholt und mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Der Kampf im Krieg gegen die libanesischen Terroristen war für Asael damit beendet. Doch nun begann für den verletzten Soldaten ein neuer Kampf: Der persönliche und mentale Kampf zurück ins Leben.

Von der Wüste und dem Libanon“

Seinen persönlichen Krieg begann Asael in diesem Sommer 2006 und er dauert bis heute an. Während unzähliger Operationen und langen Rehaeinheiten, in denen Asael das Laufen neu lernen musste, bekam er speziellen Besuch. Ein Militärhistoriker suchte ihn im Krankenhaus auf und bemängelte, dass so wenige Dokumente existieren, die den Krieg aus der Sicht der jungen Offiziere beschreiben. In Lubotskys Herz wuchs der Gedanke, sich dessen anzunehmen. Er fühlte sich nicht nur verpflichtet, seiner Umwelt einen tiefgreifenden Einblick in die Kriege Israels zu geben. Für Asael hatte das Schreiben auch einen therapeutischen Aspekt. Er verarbeitete dadurch schwere Kriegstrauma, die Verluste seiner Bataillonskameraden auf dem Schlachtfeld und auch seine lebensgefährliche Verletzung. Er nutzte die langen Krankenhausaufenthalte, und so entstand sein erstes Buch „Von der Wüste und dem Libanon“. Asael wählte den Titel seiner 190-seitigen Autobiografie mit Bedacht: Zum einen weist er auf die Gebiete hin, in denen er als Soldat kämpfte. So symbolisiert die Wüste den Gazastreifen und den Libanon. Auf der anderen Seite gab er dem Buch auch eine religiöse Bedeutung. Er griff den Bibelvers 5. Mose 11 Vers 24 auf: „Alle Orte, darauf eure Fußsohle tritt, sollen euer sein; von der Wüste an und von dem Berge Libanon und von dem Wasser Euphrat bis ans Meer gegen Abend soll eure Grenze sein.“ Der Autor widmete das Buch, das im Jahr 2008 veröffentlicht wurde, seinem besten Freund Amichai, der während der Schlacht um Bint Jbeil sein Leben verlor und in Asaels Armen starb. Das Buch war schnell ein Bestseller und wurde auch als Hörbuch veröffentlicht. 2016 wurde es ins Englische übersetzt.

Der Autor beim Signieren seines ersten Buches “Von der Wüste und dem Libanon”.
Quelle: privat

Asaels Rehabilitation

Über ein Jahr lang wurde Asael in verschiedenen Krankenhäusern in ganz Israel behandelt. Seine Eltern und Geschwister waren immer bei ihm und unterstützten den jungen Mann, wo sie nur konnten. Er selbst versuchte, zwischen den unzähligen Operationen verletzte Kriegskameraden aufzumuntern und ihnen Mut und Hoffnung zu schenken.

Ein harter Weg liegt hinter dem Kämpferherz. Asael weiß, dass er den Ärzten und Schwestern nicht nur seine Gesundheit zu verdanken hat. Die professionelle und liebevolle Behandlung der medizinischen Teams waren der Grund, warum er während der Rehabilitation beschloss, selbst Medizin zu studieren und Kinderarzt zu werden. Zusätzlich zu seinen persönlichen Erfahrungen machte Asael eine unglaubliche Entdeckung, die sein Schicksal besiegelte: Sein Großvater, Iser Lubotzky, wurde als Partisan im Kampf gegen die Nazis lebensgefährlich verletzt. Damals behandelte eine junge Krankenschwester seine schwere Beinverletzung. Es stellte sich heraus, dass genau diese Krankenschwester die Mutter einer der Ärzte Asaels war, die ihn auf dem Schlachtfeld im Libanon behandelt hatten. Der junge Veteran war sich sicher, dass es seine Bestimmung war, anderen Menschen zu helfen. Im Jahr 2017 schrieb Lubotzky sein zweites Buch „Not My Last Journey“. Darin dokumentiert er in einer faszinierenden historischen Geschichte das Leben seines Großvaters als Partisan und Kriegsheld im europäischen Naziinferno.

Der Kriegsveteran musste viele Operationen an beiden Beinen über sich ergehen lassen. Auch das Laufen musste er neu lernen. Quelle: privat

Der Kinderarzt auf Krücken

Inspiriert von den Ärzten, die ihn während seiner langen Rehabilitations- und Genesungszeit behandelten, wandte sich Lubotzky dem Medizinstudium zu. Er konzentrierte sich auf die Forschung und trat dem Labor von Yuval Dor bei, einem hoch angesehenen Professor in der Abteilung für Entwicklungsbiologie und Krebsforschung an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Lubotzky beendete seine Facharztausbildung in der Kinder-und Jugendmedizin am Shaare-Zedek-Krankenhaus in Jerusalem und spezialisierte sich im Anschluss auf Neurologie und Genetik. Heute teilt sich der Kinderarzt ein Labor mit zehn anderen Forschern. Asael ist einer der vielversprechendsten Krebsforscher Israels. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Epigenetik: Entwicklung neuer Methoden zur Früherkennung und Behandlung von Krebs, basierend auf Bluttests. Lubotzky wurde für seine Studien zur zirkulierenden zellfreien DNA als Krebsdiagnostiker ausgezeichnet, erhielt den Zuschuss der israelischen Krebsforschungs-Stiftung und wurde 2019 von der Hebräischen Universität für seine innovative Arbeit auf dem Gebiet der Krebsforschung mit dem James Sivartsen-Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2020 erhielt sein Forschungsteam einen prestigeträchtigen Zuschuss in Höhe von 500.000 US-Dollar von der Bill & Melinda-Gates-Stiftung und der Alzheimer Medikamentenforschungs-Stifung für die Früherkennung der Alzheimer-Erkrankung.

Ein Symbol der Stärke und Hoffnung

Während Asael sich darauf konzentriert, anderen Menschen zu helfen, kämpft er selbst immer noch mit großen Schmerzen, die von seiner schweren Kriegsverletzung herrühren. Der Raketeneinschlag hinterließ eine Behinderung an beiden Beinen. Asael beginnt seinen Tag mit ausgiebigen Schwimmeinheiten, die die Funktion seiner Beine unterstützen, und dem Morgengebet in der Synagoge. Der Arzt ist dankbar. Er konnte seiner großen Liebe das Ja-Wort geben und bei ihrer Hochzeit mit seinem eigenen Fuß das Glas zertreten, wie es bei jüdischen Hochzeiten üblich ist. Nach seiner Verwundung erschien dies unmöglich. Heute ist Asael stolzer Vater von fünf gesunden Kindern.

Für die Israelis ist Asael Lubotzky ein Symbol für Stärke und Hoffnung. Sein Glaube gab ihm die Kraft, immer weiter zu kämpfen: „Ich bin nicht in den Krieg gezogen, weil ich gerne kämpfen oder Terroristen töten wollte. Das war nicht mein Antrieb. Ich wollte als Offizier meinem Land dienen, damit meine Familie, meine Freunde und die Bürger Israels sicher leben können. Vielleicht gibt es Menschen, die in den Krieg ziehen, weil sie gerne kämpfen. Aber in Israel ist das nicht der Fall. Wir glauben an den Frieden. Aber wenn die Zeit gekommen ist und Feinde das Land angreifen, dann muss man sich verteidigen. Wir wollen hier ruhig und in Frieden leben. Wir glauben daran, dass hier der Ort ist, der uns in der Bibel versprochen wurde. Und wir werden alles dafür tun, damit das jüdische Volk hier in Israel einen sicheren Platz zum Leben hat.“

Asael Lubotzky ist unser Held – ohne Umhang, aber in Armeeuniform und Arztkittel.

Titelbild: Der religiöse Kinderarzt und Buchautor beim Morgengebet mit seinen Gebetsriemen. Quelle: privat

Alle privaten Fotos mit freundlicher Genehmigung von Dr. Asael Lubotzky

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