zurück zu Aktuelles

Helden ohne Umhang (23) – Dror Paltin: Der Fallschirmjäger, der vom Himmel fiel

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 19.11.2021 – Oberst Dror Paltin, Kommandant des Zentrums für Transport und Spezialausbildung, zu dem auch die Fallschirmschule der israelischen Armee gehört, stürzte während einer routinemäßigen Fallschirmübung in der Gegend von Palmachim ab. Der Offizier schlug aus unglaublicher Höhe unkontrolliert in den heißen Sanddünen am Mittelmeer auf. Der tragische Unfall kostete ihn fast das Leben. Dass er den Absturz überlebte, ist ein Wunder. Doch Dror hat mit schweren körperlichen Behinderungen zu kämpfen. Mit unglaublicher Willenskraft erobert er sich seine Unabhängigkeit zurück.

Armeekarriere in der Fallschirmjäger-Einheit

Der 57-jährige Offizier im Reservedienst ist mit Orly verheiratet und Vater von drei bezaubernden Kindern. Heute lebt er mit seiner Familie in Modi‘in in Zentralisrael. Sein ältester Sohn dient im 50. Bataillon der Nahal-Brigade. Im selben Bataillon, in dem bereits sein Vater vor über 25 Jahren seine Armee-Karriere begann.

Israelische Soldaten nehmen an einer Übung der Fallschirmjägerbrigade teil. Foto: Abir Sultan / Flash90

Als Dror Paltin am 16. November 1983 seinen Dienst im israelischen Militär antrat, meldete er sich freiwillig zur Fallschirmjäger-Einheit des Nahal-Bataillons. Für den jungen Kämpfer war schnell klar, dass er eine militärische Karriere verfolgen wird. Er absolvierte eine Ausbildung zum Fallschirmjäger und belegte im Anschluss eine Reihe von hochrangigen Offizierskursen. Die berühmte Nahal-Brigade steckte damals noch in den Kinderschuhen. Sie kann mit der heutigen renommierten Infanteriebrigade kaum verglichen werden. Paltin hatte eine lange Liste von Kommandopositionen im Kampfbataillon der Nahal-Brigade inne und führte seine Soldaten nicht nur bei schweren Kämpfen im Südlibanon, sondern befehligte sie auch im Kampf gegen den palästinensischen Terrorismus während der zweiten Intifada bis 2001. Als stellvertretender Kommandeur der Galiläa-Division war er Teil blutiger Schlachten im zweiten Libanonkrieg. Der tapfere Kämpfer wurde im Anschluss zum Bataillonsoffizier der gesamten Nahal-Brigade ernannt.

Die Öffentlichkeit gemieden

In fast 25 Jahren, in denen Dror stolz die grüne Uniform der israelischen Armee trug, trat er nie in die Öffentlichkeit. Er scheute Pressekonferenzen und Kameras. Wäre Dror bei einem routinemäßigen Fallschirmsprung nicht so schwer verletzt worden, würden die meisten Israelis ihn bis heute nicht kennen.

Mehr als einmal schaute Dror bei Kämpfen gegen Hisbollah- und Hamas-Terroristen dem Tod in die Augen. Als Kommandant der militärischen Fallschirmschule jedoch blickte er aus sicherem Abstand auf die Kriegsschauplätze. Sehr zur Freude seiner Ehefrau Orly, die unter den Kriegseinsätzen ihres Mannes litt und stets um sein Leben bangte. Niemand ahnte, dass sich der entscheidende Moment seines Lebens, an dem er dem Tod am nächsten war, ein Monat vor der Entlassung aus der Armee ereignen sollte.

Schicksalhafte Entscheidung 

Dror hatte zum Zeitpunkt der Tragödie bereits 96 Fallschirmsprünge hinter sich. Seinen 97. Sprung zählt er bis heute nicht mit. Er liebte das Adrenalin, die Freiheit und das Gefühl, über allem zu Schweben. Bis heute vermisst Dror wehmütig das Fallschirmspringen.

Ein israelischer Fallschirmspringer der Fallschirmjäger-Brigade faltet einen Schirm nach einer erfolgreichen Trainingseinheit. Foto: Abir Sultan / Flash90

Der 13. Juli 2008 sollte sein Leben für immer verändern. Es war ein Sonntagnachmittag. Einmal die Woche sprang Dror mit seinen Soldaten über dem Militärstützpunkt Palmachim am Mittelmeer ab. Eigentlich sollte auch dieser Sprung routinemäßig verlaufen. Das Besondere an diesem Sonntag war, dass Drors Bruder beim berühmten „Ironman“-Triathlon mitlief. Die ganze Familie fieberte mit und sorgte sich um das Wohlbefinden des Bruders. Den ganzen Tag verbrachten die Angehörigen am Telefon, um über seinen Zustand auf dem Laufenden zu bleiben. 

Kurz bevor Dror auf dem Militärstützpunkt das Hercules-Flugzeug bestieg, rannte ihm sein Fahrer hinterher. Er wollte Dror in letzter Minute sein Handy zustecken. Den Fallschirmspringern ist es verboten, mit Telefonen zu springen. Eine Woche zuvor klagte Dror einen seiner Soldaten vor dem Militärgericht an, weil er mit dem Handy in das Flugzeug gestiegen war und es während seines Sprungs verloren hatte. Ein kleines Handy kann sich zur tödlichen Waffe für die Mitbürger auf dem Erdboden entwickeln. Gegen alle Vorschriften und Militärregeln entschied sich Dror in letzter Sekunde, das Handy mitzunehmen. Er wollte noch einmal nach dem Wohlbefinden seines Bruders fragen. Es war das erste Mal in seiner langjährigen Armeekarriere, in der er sich bewusst gegen die Auflagen des Militärs entschied und beschloss, mit einem Mobiltelefon im Overall zu springen.

Dramatische Verletzungen

Das Flugzeug hebt ab. Die Soldaten erreichen die benötigte Höhe und beginnen das Flugzeug zu verlassen. Dror ist nach seinem langjährigen Fallschirmjägerkollegen Arik an der Reihe und springt um 15:30 Uhr aus der Hercules. Der Kämpfer spürt nicht, dass er sich am Ausgang des Flugzeugs die rechte Schulter auskugelt. Arik und Dror üben gemeinsam. Fallschirmspringer kommunizieren meist über die Augen. Arik kann sehen, dass sein Sprungkollege das Adrenalin genießt und die Übungen zwischen den Wolken wie geplant verlaufen.

Dror versteht zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was geschehen ist. Das Adrenalin und die Flugposition mit beidseitig positionierten Armen lassen ihn keine Schmerzen verspüren. Arik und Dror entfernen sich voneinander, um ihre Fallschirme zu öffnen.

Arik erkennt schockiert, dass sein Kamerad anfängt, sich um sich selbst zu drehen. Dror verliert unglaublich schnell an Höhe. Arik weiß nicht, dass Dror in diesen Augenblicken daran scheitert, den Fallschirm mit seinem ausgekugelten Arm zu öffnen. Der gesamte rechte Arm und die Hand des Springers sind funktionslos.

Dror fängt an, sich am Himmel über dem Mittelmeer zu überschlagen. Er versucht ein weiteres Mal, die Kontrolle zu erlangen und positioniert sich mit beidseitigen Armen im rechten Winkel, um auf der Luft aufzusetzen. Ein weiteres Mal bemüht er sich, seine Hand Richtung Fallschirmleine zu bewegen. Vergeblich. Der Albtraum eines jeden Fallschirmspringers wird in diesen Sekunden zur Wirklichkeit: Dror stürzt mit einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde in Richtung Erdboden. 

Er entscheidet sich, mit der linken Hand den Reserveschirm zu öffnen. Der Schirm öffnet sich. Doch dann unterläuft dem Springer ein katastrophaler Fehler. Dror hat immer noch nicht begriffen, dass er nicht mehr Herr seines rechten Armes ist. Er versucht die Steuerung des Reserveschirms zu ergreifen, um die Landung zu steuern, doch nur die linke Hand greift nach der Lenkung. Die Spring-Vorschriften setzen voraus, den Reserveschirm nicht zu steuern, sollte ein Arm nicht funktionstüchtig sein. Doch Dror überblickt die kritische Situation zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Springer dreht wie eine Spirale im Kreis und stürzt ab. Er schlägt hart auf dem Erdboden auf.

Lebensgefährlicher Blutverlust

In der Stille der Dünen liegt Dror im heißen Sand. Der Aufschlag auf dem Erdboden hat seinen Körper zerschmettert. Er erleidet Dutzende Knochenbrüche, Verletzungen der inneren Organe und schwere äußere Verletzungen. Aus einer offenen Hüft- und Beckenfraktur und zwei gebrochenen Beinen strömt Blut. Es ist bis heute unverständlich, wie Dror diesen Aufprall überleben konnte.

Dror liegt regungslos im Gebüsch. Unglaubliche Schmerzen zerreißen ihn fast. Er befindet sich in akuter Lebensgefahr. Sollte er binnen Minuten keine medizinische Versorgung erhalten, käme jede Hilfe zu spät. Trotz unglaublicher Schmerzen versucht der verletzte Springer einen klaren Kopf zu bewahren. Er erinnert sich an sein Handy. Das Mobiltelefon, das er gegen die Militärvorschriften in seinem Overall mit sich trägt. Dror ruft seinen Fahrer an. Er erklärt ihm, dass er schwer verletzt ist und weist ihn an, einen Rettungshubschrauber zu alarmieren.

Minuten später vernimmt Dror die Rufe seiner Fallschirmjäger-Kollegen. Sie ziehen ihre T-Shirts aus und binden die blutenden Extremitäten des Verletzten ab. Dror bittet einen seiner Kollegen, seine Ehefrau Orly zu informieren.

Als der Rettungshubschrauber am Unfallort eintrifft, verliert Dror das Bewusstsein. Während des Fluges entscheidet sich das Rettungsteam, Dror in ein künstliches Koma zu versetzen. Sie erreichen das Tel HaShomer Krankenhaus. Dort kämpfen die Ärzte in einer stundenlangen Notoperation um das Leben des Offiziers. Sie können der verzweifelten Ehefrau keine großen Hoffnungen machen. Dror hat Unmengen an Blut verloren. Er befindet sich in akuter Lebensgefahr.

Für Orly sind diese Stunden die Hölle. Die Ärzte müssen die Operation mehrfach unterbrechen, um die schweren inneren und äußeren Blutungen des Patienten unter Kontrolle zu bekommen. Nach langer Zeit verlässt einer der behandelnden Ärzte den OP-Saal. Orly hört ihn leise murmeln: „Anscheinend geht es auch ohne!“. Orly fragt den Arzt, was er damit meine. Der antwortet: „Anscheinend kann man auch ohne Fallschirm springen und mit dem Leben davonkommen!“. Dror hatte den grausamen Unfall überlebt. Für die Ärzte und sein Umfeld ist es ein Wunder. 

Bleibende körperliche Behinderungen

Am nächsten Tag erwacht Dror auf der Intensivstation. Sein Umfeld ist überglücklich, dass er die Tragödie überlebt hat. Doch für den Kämpfer ist die Situation schwierig. Der aktive sportliche Oberst, der gewohnt ist zu joggen, zu reiten und zu schwimmen, ist plötzlich bettlägerig und kann sich nicht bewegen. Nur über einen kleinen Lift kann er das Bett verlassen und in seinen Rollstuhl gehoben werden. Er ist von seinem Umfeld abhängig.

Eine Woche später muss Dror eine weitere komplizierte Operation über sich ergehen lassen. Danach beginnt der lange und schwierige Rehabilitationsprozess. Seine Physiotherapeuten gaben dem Schwerverletzten keine großen Chancen. Sie rechnen damit, dass bei Dror schwere körperliche Behinderungen zurückbleiben. Wäre Dror in Zukunft fähig, sich selbst anzukleiden, sei das bereits mehr, als sie ihm versprechen könnten.

Dror während einer Reha-Einheit. Lange Wochen saß der Kämpfer im Rollstuhl. Doch wählte er die „Mission Reha“. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dror Paltin

Der Kämpfer fällt in ein tiefes Loch. Er ist nicht nur körperlich zerschmettert, sondern auch seelisch. Der Brigade-Oberst, der sein ganzes Leben für die Unabhängigkeit des jüdischen Staates kämpfte, hat seine persönliche Unabhängigkeit verloren. Er weint viel und leidet an schweren Depressionen. Die Angst vor der Zukunft setzt dem damals 44-Jährigen schwer zu.

Als Drors Bruder vom „Ironman“-Wettkampf zurück kommt, bringt er zwei T-Shirts mit. Eines für Orly und das Zweite für Dror. Orly versteckte die beiden Shirts in einer Tüte. Sie weiß nicht, ob Dror jemals wieder ein solches Sportshirt tragen wird.

Militäroffensive „Mission Rehabilitation“

Seine Freunde drucken für Dror ein Bild aus, das ihn während eines Triathlons zeigt. Sie hängen es ihrem verletzen Kollegen über das Bett. Drors Psychologin erklärt ihrem Patienten, dass er sich jetzt auf eine neue Militäroffensive vorbereiten müsse. Die Operation heiße „Mission Reha“. Dror entschließt sich, seine Führungsqualitäten an sich selbst anzuwenden. Er wird zum General einer Ein-Mann-Armee.

Die innere Wandlung des Obersts geschah von heute auf morgen. Er gewann seinen Überlebenswillen zurück. Gab ihm seine Therapeutin ein Übung, die er 10 Mal wiederholen sollte, machte Dror 100 Wiederholungseinheiten. Legte man ihm 100 auf, absolvierte der Offizier 1000 Einheiten. Dror war nicht zu stoppen.

Der Offizier, der unter anderem für die körperliche Fitness seiner Soldaten innerhalb des Armeestützpunktes zuständig war, wandte sein Wissen an. Während des Rehabilitationsprozesses hat ihm Tatsache, ein sehr sportlicher Mensch zu sein, mehr geholfen, als er sich je ausmalen konnte. „Ein Fitnesstrainer hat mir einmal gesagt, dass der wichtigste Muskel das Gehirn ist, und die Zeit der Rehabilitation ist wirklich Kopfsache. Du musst dich selbst austricksen. Der Gedanke an den Sport hat mir geholfen“, sagte Dror in einem Interview mit den israelischen Medien. Jetzt war das Training zwar anders, aber er wusste, dass er durchhalten musste, auch wenn es hart war. Drors Familie, seine Freunde, Kollegen aus dem Militär und sogar Fremde, die von dem Schicksal des Reservisten angetan waren, halfen und unterstützten den verletzten Mann, wo sie nur konnten.

Rückkehr zum Sport 

Dror entschloss sich, wieder zu schwimmen. Seine Physiotherapeutin, die selbst an Triathlon-Wettkämpfen teilnahm, war beeindruckt. Sie eröffnete Dror, dass ein Wettschwimmen zum Überqueren des Sees Genezareth angesetzt war. Dror, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im Rollstuhl befand, fing Feuer und begann mit unaufhörlichem Training. Doch nicht nur Dror schwamm in dem Rehabecken der Klinik, sondern auch zwei seiner Soldaten. Die Trainingseinheiten wurden von dem Offizier für 7 Uhr morgens angesetzt. Die Soldaten folgten dem Befehl ihres Vorgesetzten und positionierten sich in den frühen Morgenstunden um das Rehabecken. Gemeinsam schwamm das Team einige Wochen später durch den See Genezareth. 

Das Gefühl, wieder unter Sportlern zu sein, war für den Brigade-Oberst überwältigend.

Vier Monate nach dem Aufsehen erregenden Unfall, der fast mit seinem Tod endete, konnte Dror bereits ohne Krücken laufen. Er ist ein medizinisches Wunder. Er ließ die düsteren Vorhersagen seiner Ärzte und Therapeuten wie eine Blase platzen. Von einem zerschmetterten Fallschirmspringer mutierte Dror zum Ironman.

In seinem Auto hängt zwar ein Behindertenausweis, doch auf der Rückseite des Wagens klebt stolz ein „Ironman“-Sticker. Doch nicht nur Drors Körper machte große Veränderungen durch. Der harte, disziplinierte und tapfere Oberst veränderte sich. Die harte Schale des Offiziers bekam Risse und der weiche Kern kam zum Vorschein. Nicht nur Drors unglaublicher Lebenswille, sondern auch göttliches Eingreifen retteten dem Fallschirmspringer das Leben. Heute arbeitet Dror als Lehrer für Staatsbürgerkunde und Betriebswirtschaft an der Urban High School in Modi‘in. 

Noch eine Aufgabe zu erfüllen

Dror weiß, dass er auf dem Sand in den Dünen von Palmachim nicht starb, weil er noch einen Dienst auf dieser Welt zu erfüllen hat. Seine Arbeit ist noch nicht vollendet. Er darf noch ein wenig bei seinen Mitmenschen verweilen und die Gnade weitergeben, die er geschenkt bekommen hat. Heute versucht er, mit seiner Geschichte anderen zu helfen und sie zu inspirieren. Er widmet sein Leben schwer verletzten Patienten, die sich in schwerer und langwieriger Rehabilitation befinden. Er will sie von den dunklen Gedanken befreien, die er selbst so gut kennt, und hilft ihnen, ihren Lebenswillen wieder zu finden. Dror unterstützt sie durchgehend auf ihrem langen und steinigen Weg.

Für uns ist Dror Paltin ein Held, der sich gegen alle Erwartungen zurück ins Leben kämpfte und heute seinen Mitmenschen ein Licht in der Dunkelheit ist. Ein Schimmer der Hoffnung für seine Nächsten. Dror ist unser Held – ein Held in grüner Uniform.

Titelbild: Dror Paltin, der Offizier, der einen Fallschirmsprung um ein Haar nicht überlebt hätte. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dror Paltin

Weitere News aus dem Heiligen Land