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Das politische Aus für Netanjahu rückt immer näher

JERUSALEM, 07.11.2021 (TM) – Die Acht-Parteien-Koalition von Israels Ministerpräsident Naftali Bennett hat ihren bisher größten Erfolg gefeiert. Erstmals seit dreieinhalb Jahren hat das Land wieder einen rechtskräftigen Staatshaushalt. In zwei nächtlichen Mammut-Sitzungen verabschiedete die Knesset zunächst den Etat für 2021 mit 61:59 Stimmen. Der Etat für 2022 folgte in der Nacht darauf, hier gewann die Regierung mit 59:56. Die Regierungskoalition hat im Parlament eigentlich nur eine Stimme Mehrheit.

Likud: „Wir waren Idioten“

Der Erfolg der Regierung ist gleichzeitig eine herbe Niederlage für Oppositionsführer Benjamin Netanjahu. Als der 72-Jährige nach zwölf Jahren an der Regierungsspitze im Juni sein Amt abgeben musste, prophezeite er das Platzen der neuen Regierung innerhalb weniger Wochen. Später gab er Bennett einige Monate. Schließlich erklärte „König Bibi“, Bennett und sein Finanzminister Avigdor Lieberman würden keinesfalls einen Haushaltsplan durch das Parlament bringen. Doch genau das ist ihnen nun gelungen.

Strahlende Sieger (von links): Außenminister Yair Lapid, Premierminister Naftali Bennett und Finanzminister Avigdor Lieberman. Foto: Ohad Zwigenberg/POOL

In Netanjahus Likud-Partei wächst der Widerstand gegen den Vorsitzenden. Finanzminister Avigdor Lieberman, ein ehemaliger Weggefährte Netanjahus, zitierte gegenüber der Presse Abgeordnete der Likud-Partei, ohne Namen zu nennen. Die hätten erklärt, sie seien Idioten gewesen, weil sie auf Netanjahu gehört hätten. Der hatte Neuwahlen provoziert, um sein Amt nicht wie vereinbart an Verteidigungsminister Benny Gantz abgeben zu müssen. Das Ergebnis ist bekannt: Der Likud landete unsanft in der Opposition.

Nachfolge-Kandidaten stehen bereit

Im Likud hat die Schlacht um die Netanjahu-Nachfolge begonnen. Als heiße Kandidaten gehandelt werden: der frühere Jerusalemer Bürgermeister und Multimillionär Nir Barkat (62); Israel Katz (66), ehemaliger Außen- und Finanzminister; Gilad Erdan (51), Israels Botschafter in den USA und bei den Vereinten Nationen; Miri Regev (56), ehemalige Brigadegeneralin und Kultusministerin; Yuli Edelstein (63), früherer Minister für Einwanderung und Sprecher der Knesset. 

In der Regierungskoalition wird das Rennen um die Netanjahu-Nachfolge genau beobachtet. Viele konservative Politiker wie Justizminister Gideon Sa’ar oder Innenministerin Ayelet Shaked würden viel lieber eine Regierung zusammen mit dem Likud bilden als mit den linken Parteien, mit denen sie derzeit in einem Boot sitzen. Nur mühsam ließ sich bisher ein offener Streit vermeiden. Da sympathisierten linke Abgeordnete offen mit der Israel-Boykott-Bewegung, da gab es unklare Verbindungen von arabischen Abgeordneten zur radikal-islamischen Terrororganisation Hamas. Das alles hielt die Regierung aus, denn jeder wusste: Wenn wir uns zerstreiten, kommt Netanjahu zurück. Der wurde so unfreiwillig zum Leim, der die Regierung zusammen hält.

Reformen von Restaurants bis Rente

In der Personaldebatte ging unter, dass die Bennett-Regierung zusammen mit dem Haushalt eine ganze Reihe von weitreichenden Reformen auf den Weg gebracht hat. Die Einfuhr von Waren aus dem Ausland wird erleichtert, Wohnungsneubauten werden ebenso gefördert wie die Umwandlung von Büroflächen in Wohnraum. Wer mit dem Auto in den überlasteten Großraum Tel Aviv fährt, soll dafür zur Kasse gebeten werden. Das Kashrut-Verfahren, durch das Restaurants für koscher erklärt werden, ist künftig kein Monopol des Oberrabbinats mehr, das Konkurrenz durch private Organisationen erhält. Das Rentenalter für Frauen liegt derzeit in Israel bei 62 Jahren. Es wird in den kommenden elf Jahren schrittweise auf 65 Jahre angehoben.

Benjamin Netanjahu kann diese Veränderungen nur noch von der harten Oppositionsbank aus verfolgen. Zudem hat er das Gerichtsverfahren wegen Korruption am Hals. Der am längsten amtierende Regierungschef Israels scheint seine Magie verloren zu haben. Die große hebräische Tageszeitung Yedioth Aharonth berichtete am Freitag auf ihrer Titelseite über Netanjahu mit der Schlagzeile: „Er zaubert kein Karnickel mehr aus seinem Hut“.

Titelbild: Benjamin Netanjahus Zwischenrufe bei der Haushaltsberatung in der Knesset blieben wirkungslos. Foto: Yonathan Sindel / Flash 90

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