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Israel steuert nach Koalitionskrach auf Neuwahlen zu

JERUSALEM, 27.11.2020 (TPS/TM) – Israel ist auf dem Weg zu Neuwahlen. Es wären die vierten in weniger als zwei Jahren. Zwischen Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud-Partei) und seinem Vize, Verteidigungsminister Benny Gantz (Blau-Weiß), fliegen immer häufiger die Fetzen. Beide sprechen mittlerweile offen vom drohenden Scheitern der Regierung und beschuldigen sich gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Netanjahu wirft Gantz vor, nicht treu zur Regierung zu stehen und deren Beschlüsse mitzutragen. Wenn Blau-Weiß sein Verhalten ändere, werde man die Koalition fortsetzen. Falls nicht, werde das zu Neuwahlen führen, unterstrich der am längsten amtierende Regierungschef des Landes.

Von Seiten der Blau-Weiß-Parlamentarier hieß es, Netanjahu verletze Vereinbarungen, verzögere die Ernennung von Amtsträgern und blockiere den Haushalt für das kommende Jahr „aus politischen und persönlichen Gründen.“ Es sei kein Zufall, dass in jeder Umfrage eine überwältigende Mehrheit der Öffentlichkeit Netanjahu beschuldige, das Land in neue Wahlen zu schleppen – „denn das ist wahr. Wenn es keinen Prozess (gegen Netanjahu) gäbe, gäbe es ein Budget für das kommende Jahr“, unterstrichen die Parteifreunde von Benny Gantz.

Haushalts-Streit nur ein Vorwand?

Von Anfang an hat sich die Regierung über fast alle Fragen gestritten. Der aktuelle Streit dreht sich um den Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushaltsplans 2021. Entgegen der Koalitionsvereinbarung besteht Netanjahu auf getrennte Budgets für 2020 und 2021 – wohl wissend, dass es ohne die überfällige Haushaltsverabschiedung automatisch zu Neuwahlen kommen wird. Dann müsste er seinen Stuhl nicht, wie vereinbart, nach der Hälfte der Amtszeit für Gantz räumen. Kaum jemand glaubt, dass er das freiwillig tun wird. Am kommenden Mittwoch wird sich zeigen, ob Blau-Weiß einen Misstrauensantrag der Opposition unterstützt, was die Regierung zu Fall bringen würde.

Wahlen in Zeiten einer Pandemie sind ein schwieriges Unternehmen. Fachleute gehen davon aus, dass dafür drei Tage notwendig sind. In Israel wird werktags gewählt, die Beschäftigen erhalten dafür einen freien Tag. Deshalb sind die Wahlen für die Staatskasse sehr teuer.

Netanjahu in Umfragen weit vorne

Trotz der Korruptionsvorwürfe und der wöchentlichen Massendemonstrationen ist der 71-Jährige Netanjahu sehr beliebt. Umfragen sagen seiner Likud-Partei bei den nächsten Wahlen deutliche Gewinne voraus, während der zehn Jahre jüngere Gantz und Blau-Weiß gravierende Verluste hinnehmen müssten. Profitieren würde von Neuwahlen vor allem die nationalreligiöse Yamina-Partei des früheren Verteidigungsminister Naftalie Bennett, die zur zweitstärksten Fraktion im Parlament werden könnte.

BILD: Sie werden wohl keine Freunde mehr: Ministerpräsident Netanjahu (vorne) und Verteidigungsminister Gantz bei einer Sitzung der Knesset. Foto: Oren Ben Hakoon/POOL/Flash90

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