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Helden ohne Umhang (27) Teil 1: Mosab Hassan Yousef – Der grüne Prinz, ein Sohn der Hamas

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 31.12.2021 – Ende der 1990er-Jahre wurden israelische Städte von einer Welle der Gewalt durch palästinensische Selbstmordattentäter überschwemmt. Im September 2000 erklärten die Hamas und die palästinensische Autonomiebehörde der israelischen Zivilbevölkerung den Krieg. Terroristen rissen täglich unschuldige Israelis in Busen, Cafés, Restaurants und Einkaufszentren in den Tod. Die Heilige Stadt blutete aus tiefen Wunden. Nur ein Mann innerhalb der Terrororganisation realisierte die barbarische Falschheit der schrecklichen Anschläge. Sein Name: Mosab Hassan Yousef. Er ist der Sohn des Hamasgründers Scheich Hassan Yousef. Als der „grüne Prinz“ ging er in die Geschichte ein. Dies ist die unglaubliche Geschichte des Hamas-Sohnes, der beschloss, unter Einsatz seines eigenen Lebens Israel und seine Bevölkerung zu beschützen.

Mosab Hassan Yousef, Sohn der Hamas

Mosab Hassan Yousef wird am 5. Mai 1978 im arabischen Dorf al-Janiyah in der Nähe von Ramallah geboren. Er ist das erste Kind der muslimischen Khalil-Familie. Später hat er fünf Brüder und drei Schwestern. Sein Vater, Scheich Hassan Yousef Khalil, ist einer der Gründer der radikalen Hamas und zu diesem Zeitpunkt die höchste spirituelle Autorität der Organisation im sogenannten Westjordanland, dem biblischen Judäa und Samaria. Araber aus ganz Israel pilgern freitags zu der Moschee in Ramallah, um den Predigten des Scheichs zu lauschen. Für den kleinen Jungen ist sein Vater ein Idol.

Mossab wächst mit der Ideologie auf, dass es ein göttlicher Auftrag sei, den zionistischen Staat zu vernichten. Schon im Kindergartenalter wird den Kindern in den Gebetshäusern beigebracht, dass kein islamischer Staat errichtet werden kann, ohne Blut zu vergießen. Mosab bekommt den Hass gegen Juden sozusagen schon mit der Milch eingeflößt. Der Scheich nimmt seinen Erstgeborenen überall mit hin. Er soll später einmal in seine Fußstapfen treten. Während der ersten Intifada (Palästinenseraufstand) wird Mosab dazu angehalten, Steine und Molotowcocktails auf israelische Sicherheitskräfte und Zivilisten zu werfen.

Daheim hilft der fleißige Bub seinen Eltern im Haushalt. Er wechselt die Windeln seiner kleinen Geschwister, kocht und betreut sie, wenn seine Mutter außer Haus ist und sein Vater mal wieder in einem israelischen Gefängnis sitzt. 

Vergewaltigung nach der Olivenernte

Der kleine Mosab wird früh von seinem Vater mit zur Olivenernte genommen. Die Hunderte Jahre alten Olivenbäume sind ein wichtiger Teil der palästinensischen Kultur. Im Alter von fünf Jahren verbringt Mosab den Tag mit einer befreundeten Familie in den Olivenhainen des Dorfes. Gegen Abend soll ihn der Sohn der Familie zurück nach Hause bringen.

Auf dem Heimweg spürt Mosab, dass etwas nicht stimmt. Sein Freund, der einige Jahre älter und dem Fünfjährigen körperlich deutlich überlegen ist, berührt das Kind intim. Der verängstigte Junge versucht zu flüchten. Doch sein Gegenüber ist stärker.

Den Fünfjährigen ergreifen tiefe Scham und Schande. Doch kann er sich niemandem anvertrauen, selbst seiner geliebten Mutter nicht. In der palästinensischen Gesellschaft ist es schlimmer, auf der Seite des Geschändeten zu stehen, als auf der des Vergewaltigers, und so schweigt das Kind.

Hamas als Familiengeschäft

Die Hamas ist für Familie Khalil nicht nur eine Terrororganisation. Sie ist eine Art Familienbetrieb. Der Scheich ist bereit, sein Leben im Kampf für die Hamas zu geben. Er verbringt insgesamt mehr als 16 Jahre in israelischen Gefängnissen. Der kleine Mosab wird mehrfach Zeuge, wie das israelische Militär seinen Vater festnimmt. Diese Ereignisse schüren einen tiefen Hass auf die zionistischen Besatzer. Im Alter von 17 Jahren besorgt sich Mosab seine erste Waffe.

Er weiß jedoch nicht, dass er als Sohn eines Hamasführers auf dem Radar des israelischen Geheimdienstes ist. Kurz nachdem Mosab die Handfeuerwaffe gekauft hat, ist das israelische Militär bereits auf dem Weg zu seinem Elternhaus. Als der frisch gebackene Waffenbesitzer dort ankommt, wurde er von israelischen Soldaten verhaftet.

Mosab Hassan Yousef spricht am 22. Mai 2016 auf der jährlichen Konferenz der Zeitung „Jerusalem Post“ in New York City. Foto: Marc Israel Sellem/Pool

In den Händen des Geheimdienstes

1996 wird Mosab zum ersten Mal in ein israelisches Gefängnis gesteckt. Die ersten Tage sind für den 17-Jährigen ein Horrorszenario. Die israelischen Ermittler zermürben den jungen Palästinenser. Die Gedanken des Teenagers kreisen um seine Mutter. Nach mehreren Wochen haben die Fahnder ihren Gefangenen gebrochen. Mosab gesteht, die Waffe gekauft zu haben, doch wäre sie nie zum Einsatz gekommen. Er versichert den israelischen Ermittlern, nicht Teil des militärischen Arms der Hamas zu sein. Im Gegensatz zu seinem Vater wolle er die Hamas auch in Zukunft nicht unterstützen.

Der israelische Geheimagent und spätere Betreuer des Jugendlichen, Gonen Ben-Yitzhak, nutzt die augenblickliche Schwäche des Teenagers und stellt Mosab die Frage, ob er für den israelischen Geheimdienst arbeiten möchte. Mosab ist verwirrt. Wie kann ihm, dem Sohn des Hamasgründers, ein solches Angebot unterbreitet werden? Doch der Teenager ist verängstigt und stimmt zu. Er schwört sich jedoch, seinen Vater niemals zu betrügen. Mosab will unbedingt das Gefängnis verlassen. Danach will er den Fängen des Geheimdienstes entkommen. Um keinen Verdacht zu erwecken, muss Mosab zunächst eine Haftstrafe im Megiddo-Gefängnis absitzen.

Das Gefängnis ist in Sektionen unterteilt. Mosab wird dem Hamas-Trakt zugewiesen. Die Terrororganisation lebt in ihrem Flügel nach eigenen Regeln. Der Junge berichtet den Hamaskämpfern in Gefängnis vom Angebot des Geheimdienstes und erklärt, er habe zugestimmt, doch nur mit der Absicht, Rache an den Zionisten zu üben. Er würde nicht zögern, einen Israeli zu töten, auch wenn es sich um seinen Betreuer Gonen handeln würde. Auch Mosabs Onkel sitzt eine lange Haftstrafe im Megiddo-Gefängnis ab. Er quält und foltert Mitglieder der Organisation, die angeblich mit den israelischen Sicherheitskräften kooperieren. Die Terrororganisation greift innerhalb der Gefängnismauern zu unvorstellbar grausamen Foltermethoden an ihren eigenen Brüdern. Laut aufgedrehte Fernseher und Radios in Kombination mit Gesängen der Insassen sollten die Schreie der gequälten Menschen übertönen. Mosab wird Zeuge, wie die Hamas ihre eigenen Männer zu Tode quält. In seiner Dokumentation „Der grüne Prinz“ erzählt er, dass die Folter mit Todesfolge an Hunderten von Insassen verübt wurde. Das Lebensprojekt seines Vaters breitet sich in seiner vollen Grausamkeit vor den Augen des Teenagers aus. Der Terror gegen die eigenen Menschen schockiert ihn zutiefst. Ihm wird bewusst, dass die Hamas weder das Leben der verhassten Zionisten noch das ihrer eigenen Brüder schätzt. Die Fundamente seiner Familie, seines Ichs und der Ideologie seines Volkes werden tief erschüttert.

Die Gefängniszeit als Wendepunkt 

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis trifft der junge Palästinenser auf einen britischen Missionar. Dieser weckt das Interesse Mosabs am Christentum. Die Verherrlichung des Todes und das Ziel der Terrororganisation, ihren islamischen Staat auf den Trümmern einer anderen Zivilisation errichten zu wollen, ekeln den jungen Palästinenser an. „Die Hamas betrachtet das Sterben in ihrer Ideologie als eine Art der Anbetung“, erklärt Mosab. Er erhält einen Anruf von seinem Betreuer Gonen Ben-Yitzhak, der ihn auf einen Kaffee einlädt, um ihre weitere Zusammenarbeit zu besprechen. Mosab, der zunächst Angst hatte, man könne ihn mit Tonaufnahmen seiner ersten Zustimmung erpressen, stimmt dem Treffen zu.

Mosab tritt dem Geheimdienst bei

Für das palästinensische Volk sind israelischen Geheimdienstagenten eine Wiedergeburt Satans. Einen Palästinenser an den Punkt zu bekommen, an dem er sich bereit erklärt, für Israel zu arbeiten und seinem Volk den Rücken zuzuwenden, ist außerordentlich schwer. In der Kultur des jungen Mannes ist die Zusammenarbeit mit Israel der beschämendste Akt, den ein Palästinenser tun kann. „Würde ein Mann seine Mutter vergewaltigen, so wäre das weniger beschämend, als mit Israel zusammenzuarbeiten“, erklärt Mosab in seiner Biografie „Der grüne Prinz“.

Das Buch über die Lebensgeschichte von Mosab ist auch in deutscher Sprache erschienen. Foto: privat

Doch das Treffen mit Gonen verläuft anders, als Mosab es sich ausgemalt hat. Die Bilder der Folterungen seiner eigenen Brüder lassen ihn nicht mehr los. 1998 tritt der Sohn der Hamas in den Informantendienst des Geheimdienstes Shin Bet ein. Er riskiert den Verlust seiner Identität, seiner Familie, Kultur, Tradition und Religion.

Ein paar Monate nach seiner Rekrutierung wird Mosabs Vater aus dem Gefängnis entlassen. Der Scheich benötigt dringend einen Assistenten. Mosab, sein ältester Sohn, der dem Hamasgründer am nächsten steht und sein volles Vertrauen genießt, ist perfekt für den Job. Mosab wird zum Türsteher seines Vaters: jeder Besuch, jedes Telefonat, jede Nachricht geht zuerst durch die Hände des jungen Mannes. Er sitzt an der Quelle und gibt alle Informationen an Gonen weiter. Die Informationen, die Mosab dem Geheimdienst zur Verfügung stellt, gelten als die hochwertigsten innerhalb der Organisation. Der Informant wird von den Israelis hoch geschätzt.

Mosab bekommt von den Israelis die Aufgabe, vor Treffen mit hohen Hamasführern den Tisch, die Aschenbecher und weitere Gegenstände zu fotografieren. Der Shin Bet lässt sie detailgetreu nachbauen. Der kaum erkennbare Unterschied: Wanzen und Abhörgeräte innerhalb des Tisches und der Aschenbecher. Mosab tauscht sie heimlich aus und gibt so Israel die Möglichkeit, bei wichtigen Sitzungen mitzuhören.

Die israelischen Geheimdienstagenten drängen Mosab immer und immer wieder, der Hamas beizutreten. Sie wollen, dass er in der örtlichen Moschee beten geht und sich einen Bart wachsen lässt. So könne er noch tiefere Kontakte innerhalb der Terrororganisation knüpfen. Doch es gibt für den palästinensischen Spion eine rote Linie. Er hat sich geschworen, einige Dinge niemals zu tun. Auch seine israelischen Vorgesetzten schaffen es nicht, ihn von seinen Glaubensfundamenten abzubringen. Der Agent erhält auf der israelischen Seite den Codenamen „Der grüne Prinz“.

Nächste Woche im zweiten Teil unserer Heldengeschichte: Blutige Attentate überrollen Israel. Wenige Monate nach Mossabs Rekrutierung trifft sich Yassir Arafat mit Scheich Hassan Youssef. Ziel des Treffens ist es, eine neue Taktik im Kampf gegen die Zionisten zu diskutieren. Arafat eröffnet Hassan Youssef, das er den Kampf gegen Israel mit blutigen Selbstmordattentaten gewinnen will.

Titelbild: Mosab Yousef, Sohn des Hamas-Scheichs Hassan Yousef, setzt das Leben unschuldiger Zivilisten vor das eigene. Foto: Yonatan Sindel/Flash90

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