Bundeskanzler Scholz in Jerusalem: Ein Tag der Harmonie und der eher leisen Töne
JERUSALEM, 02.03.2022 (TM) – Wenn ein deutscher Regierungschef Israel besucht, ist das normalerweise ein riesiges Medienereignis. Zeitungen, Radio und Fernsehen spekulieren schon im Vorfeld tagelang über Form und Inhalt der Gespräche. Am heutigen Mittwoch war der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zu seinem Antrittsbesuch in Jerusalem. Sein nicht einmal 24 Stunden dauernder Kurzbesuch ging jedoch wegen des Ukraine-Kriegs fast unter und wurde von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Das lag auch daran, dass Scholz eher leise Töne wählte und sich sehr bedacht und vorsichtig äußerte.
„Fest an der Seite Israels“
„Es war mir ein persönliches Anliegen, möglichst früh in meiner Amtszeit Israel zu besuchen“, erklärte der Bundeskanzler in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Naftali Bennett. Trotz der aktuellen Weltlage habe er sich entschlossen, diese Reise durchzuführen. Es sei ihm wichtig gewesen, seinen Besuch in Jerusalem in Yad Vashem zu beginnen. Der Rundgang habe ihn tief berührt („Man spürt das furchtbare Verbrechen, dass vor allem von Deutschen an europäischen Juden begangen worden ist“). Die Holocaust-Gedenkstätte habe ihm die historische Verantwortung Deutschlands für den Staat Israel erneut vor Augen geführt. „Deutschland wird, darauf können Sie sich verlassen, auch weiterhin fest an der Seite Israels stehen“, unterstrich Scholz.
Bennett merkte dazu an, man habe bei Scholz gespürt, dass er nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen in Yad Vashem gewesen sei.
Ein zentraler Punkt der Gespräche war die aktuelle Lage in der Ukraine. Er sei in großer Sorge über die weitere Entwicklung des Konflikts, erklärte der deutsche Regierungschef. Attacken auf zivile Infrastruktur und auf Zivilisten müssten sofort aufhören. Gemeinsam mit Bennett werde er sich dafür einsetzen, dass die diplomatischen Gespräche zwischen der Ukraine und Russland bald fortgesetzt werden.
Minister nach Berlin eingeladen
Olaf Scholz, der Naftali Bennett freundlich duzte, lud das gesamte israelische Kabinett zu Regierungskonsultationen nach Berlin ein. Bennett nahm die Einladung an. Gemeinsam wolle man die Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerkes vorantreiben, um die Beziehungen zukunftsfest zu machen.
Wie schon die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch nahm auch Bundeskanzler Scholz zum Konflikt mit den Palästinensern Stellung. Er sei davon überzeugt, dass eine nachhaltige Lösung „natürlich nur in einer Zwei-Staaten-Lösung“ liegen könne, die beide Seiten gemeinsam aushandeln, „aber das ist etwas für die Zukunft.“
Umstrittene Atomverhandlungen
Am weitesten gingen die Meinungen beim Thema Iran auseinander. Deutschland nehme die israelischen Sicherheitsbedenken ernst, erklärte Scholz: „Wir müssen verhindern, dass der Iran an Atomwaffen gelangt. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und der USA. Wir wissen nicht, wie der Ausgang der Dinge sein wird. Aber die Bemühungen haben genau dieses Ziel, die Bedrohung Israels zu verhindern.“ Er hoffe auf eine baldige Einigung bei den Gesprächen in Wien. Bennett sieht diese Verhandlungen wesentlich kritischer. Israel befürchte ein schlechtes Abkommen, das es dem Iran erlaube, innerhalb weniger Jahre Uran-Zentrifugen in großem Maßstab zu installieren: „Das ist für uns nicht akzeptabel.“
Bennett räumte ein, dass die gerade beschlossene milliardenschwere Aufrüstung der Bundeswehr für die Israelis ein sensibles Thema sei. Aber er habe deshalb keine Bedenken: „Deutschland ist heutzutage ein Anker der Stabilität und der Verantwortung in Europa. Israel ist ein Anker der Stabilität und der Verantwortung im Nahen Osten. Die neue, starke Brücke, die zwischen diesen Ländern entsteht, ist eine gute Nachricht für die Welt.“
Bild: Olaf Scholz (links) und Naftali Bennett beim Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vahem in Jerusalem. Foto: Olivier Fitoussi / Flash 90