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Präzedenzfall: Rabbiner schicken Scheidungsverweigerin ins Gefängnis

JERUSALEM 11.09.2022 (NH) – Polizeibeamte, die auf Anordnung eines rabbinischen Gerichts handelten, haben eine israelische Frau festgenommen. Sie wurde ins Frauengefängnis Neve Tirtza gebracht. Zur Begründung hieß es, dass sie sich seit vier Jahren weigere, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen. Erstmals kam eine Frau nun deshalb für ein Jahr in Haft – oder bis sie die Scheidung akzeptiert.

Das Scheidungssystem in Israel beruht noch immer auf einem rituellen jüdischen Gerichtssystem. Zivile Scheidungen existieren nicht. Alle jüdischen Paare müssen ein traditionelles Verfahren des rabbinische Gerichtssystems durchlaufen. In diesem Scheidungsverfahren muss der Ehegatte seiner Frau im Beisein von Zeugen einem Scheidebrief überreichen, den sogenannten „Get“. Der Get wird unter der Anleitung des jüdischen Gerichts aufgesetzt und vor dem rabbinischen Gericht, bestehend aus drei Richtern, der Frau überreicht. Doch was geschieht, wenn einer der Ehepartner nicht bereit ist, den „Get“ anzunehmen oder auszustellen?

Problematik bei Scheidungsverweigerung

Die problematische Thematik einer „Get“-Verweigerung seitens des Ehemannes ist in Israel bekannt und wird von Religionsrechts-Aktivisten immer wieder kritisiert. Stimmt der Ehemann einer gewünschten Scheidung nicht zu, bleibt die Frau an ihn gefesselt. Im Judentum werden solche Frauen „Agunot“ – „Angekettet“ genannt. Wieder Heiraten kann eine „Agunah“ ohne Get nicht. Dem geht das biblische Verbot zuvor, dass eine Frau nicht gleichzeitig mit zwei Männern verheiratet sein darf. Nur in außergewöhnlich schwierigen Fällen schreitet das rabbinische Gericht zu Hilfe der Ehefrau ein. Dann wird versucht, den widerspenstigen Ehemann unter Druck zu setzen, bis er einer Scheidung zustimmt. Das kann in extremen Fällen bis zu einer Gefängnisinhaftierung reichen.

Ehefrau verweigert die Annahme des Scheidungsdokuments

Doch wie sieht es aus, wenn eine Frau die Annahme des Scheidungsdokuments verweigert? Genau das ist jetzt vor dem jüdisch-rabbinischen Gerichtshof geschehen. In einem außerordentlichen Präzedenzfall, der erste in der Geschichte Israels, wurde nun eine widerspenstige Scheidungsverweigerin von einem rabbinischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sah die Sanktion als letzten Ausweg, die Frau dazu zu zwingen, die Scheidung letztendlich zu akzeptieren.

Wegen Scheidungsverweigerung landete eine israelische Frau jetzt im Gefängnis. Foto: Moshe Shai/Flash90

Rabbi Eliyahu Maimon, Leiter des rabbinischen Gerichtes, das sich mit Scheidungsverweigerung befasst, erklärt: „Das ist sehr selten. Es ist das erste Mal, dass eine Inhaftierung umgesetzt wird. Aber das rabbinische Gericht kam zu der Entscheidung, dass es keine andere Möglichkeit gibt.“ Demnach weigert sich die Inhaftierte bereits vier Jahre lang, den Get Ihres Ehemannes zu akzeptieren. Dem Vater wurde nach einer längeren Verhandlung vor einem zivilen israelischen Familiengericht das volle Sorgerecht für die beiden Töchter zugesprochen. Dennoch verweigert die Mutter vehement, das rituelle Scheidungsverfahren zu akzeptieren.

Inhaftierung als letztes Druckmittel

Im Laufe der vergangenen vier Jahre hatte das rabbinische Gericht in Petach Tikva eine Reihe von Strafen gegen die widerspenstige Scheidungsverweigerin verhängt. Als Druckmittel wurden ihr der Führerschein entzogen und die Bankkonten gesperrt. Im Jahr 2019 ordnete das Gericht an, die Frau müsse sich von einem Psychologen untersuchen lassen. Dieser diagnostizierte die Ehefrau mit Symptomen der Realitätsverzerrung. Die Angeklagte habe nicht akzeptieren wollen, ihren Ehemann „freizulassen“.

Rabbi Maimon erklärte, das Gericht habe mit einer Sozialarbeiterin zusammengearbeitet und selbst über die Arbeitgeber der Frau versucht, sie davon zu überzeugen, die Scheidung zu akzeptieren, jedoch erfolglos.

Jetzt wurde die Frau nach der Genehmigung des aschkenasischen Oberrabbiners David Lau, der als Präsident des rabbinischen Obersten Gerichtshofs dient, von der israelischen Polizei festgenommen und inhaftiert. Sie ist derzeit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt oder bleibt so lange in Polizeigewahrsam, bis sie die Scheidung akzeptiert.

Titelbild: Ein ultraorthodoxer Mann vor dem rabbinischen Gerichtshof in Jerusalem. Foto: Miriam Alster/FLASH90

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