Drohender Existenz- und Mehrfrontenkrieg – hat Israel keine Wahl und muss Iran direkt angreifen?
JERUSALEM, 22.09.2024 (NH) – Seit dem Überraschungsangriff der Hamas und dem Massaker an fast 1.200 Israelis steht der junge jüdische Staat am Scheideweg. Während einige Militär- und Sicherheitsexperten eine direkte militärische Antwort an den Iran und alle seine Stellvertreter im Nahen Osten befürworten, glauben andere, dass ein Mehrfrontenkrieg zur Vernichtung Israels führen könnte. Die beiden Experten Generalmajor Itzhak Brik und Sicherheitsexperte Yair Anspacher diskutieren über die Bedeutung eines Angriffs auf die Islamische Republik.
Läuft Israel die Zeit davon?
Israel scheint am Rande eines Mehrfrontenkrieges zu stehen. Der Entscheidung der israelischen Regierung, den Flüchtlingen aus dem Norden Israels die Rückkehr in ihre „Heimat“ zu garantieren, folgten mysteriöse Pager-Angriffe auf Tausende von Hisbollah-Funktionären und ein massives Bombardement der israelischen Luftwaffe auf Stellungen der Terrororganisation. Israel scheint im Krieg gegen die vom Iran unterstützte Miliz im Norden des Landes einen Gang hochgeschaltet zu haben. Während Teheran seine Rache für die Ermordung des politischen Führers der Hamas, Ismail Haniyeh, Ende Juli noch als „Ass im Ärmel“ betrachtet, drohen die „Nebenkriegsschauplätze“ weiter zu einem regionalen Krieg zu eskalieren. Zusätzliche Faktoren wie die offensichtliche Erschöpfung der Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über ein Waffenstillstandsabkommen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation.
Zwei Experten diskutieren nun die Frage, ob ein Angriff auf den Kopf der Schlange, das iranische Regime, zur Vernichtung Israels führen könnte oder ob eine umfassende militärische Konfrontation mit Teheran sogar unausweichlich ist, um die Vernichtung Israels zu verhindern.
Die Meinungen sind geteilt
Der Iran und seine Stellvertreter haben mehr als 250.000 Raketen und Drohnen rund um Israel stationiert.“Die Islamische Republik könnte den jüdischen Staat mit mehr als 4.000 Geschossen pro Tag bombardieren. Die daraus resultierenden Schäden an Bevölkerungszentren, dem Hafen von Haifa, Wasser- und Elektrizitätsanlagen, Gasfeldern (im Mittelmeer), Armeestützpunkten und strategischer ziviler Infrastruktur könnten den Staat Israel ruinieren“, erklärt Generalmajor Brik. Zudem werde der Iran von Russland, China und Nordkorea unterstützt. „Israel würde diesen totalen Krieg allein und ohne die Hilfe der USA führen, denn die USA wird es vermeiden, in einen Krieg hineingezogen zu werden, der sich zu einem Weltkrieg ausweiten könnte“, so der Generalmajor. Brik rät zu einer strategischen Allianz mit westlichen und gemäßigten arabischen Staaten, um ein „Gleichgewicht der Abschreckung“ gegen den Iran und seine Verbündeten zu schaffen.
Brik wies auf die Gefahr eines Mehrfrontenkrieges hin, auf den Israel derzeit nicht vorbereitet sei: „Im Falle eines regionalen Krieges müsste Israel nicht nur gegen den Libanon, Syrien, Jordanien und islamistische Terrorzellen im sogenannten Westjordanland kämpfen – auch radikale israelische Araber könnten eine potenzielle Gefahr darstellen.“ Außerdem fehle es Israel an Munition. „Kugeln, Panzer, Artilleriegranaten – alles fehlt. Notlager, die die USA hier in Israel hatten, wurden in die Ukraine geliefert“, so Brik.
Den Oktopuskopf abschlagen – bevor es zu spät ist
Sicherheitsexperte Yair erklärt, Teherans ursprünglicher Plan bestand darin, Israel an allen Fronten gleichzeitig anzugreifen – was Israel an den Rand der Vernichtung gebracht hätte. „Der Plan wurde durchkreuzt, als Hamas-Chef Yahya Sinwar (am 7. Oktober) voreilig handelte. Das hat den Iran in eine geschwächte Position gebracht“, erklärt Ansbacher. „Wäre der Plan voll aufgegangen, wäre Israel mit allen Armen der Krake um den Hals überrascht worden. Das wäre schachmatt gewesen.“ Ein Angriff auf den Iran sei nun Israels letzte Chance, bevor der jüdische Staat einer existenziellen nuklearen Bedrohung durch Teheran ausgesetzt sei. Ansbacher sieht im nuklearen Durchbruch des Iran aber auch eine globale Gefahr. Der Iran werde Terroristen in aller Welt einen nuklearen Schutzschild bieten.
Die Terrororganisation in Gaza könne Israel nicht mehr schaden, der Erzfeind im Norden, die Hisbollah, sei durch die israelischen Angriffe der letzten 11 Monate zermürbt – jetzt sei es an der Zeit, den Iran anzugreifen. „Wenn man der Krake den Kopf abschlägt, werden alle ihre Tentakel in einem Dominoeffekt austrocknen. Ein Schritt, der alle unsere Feinde abschrecken wird“, so der Sicherheitsexperte. „Die ganze Welt wird davon profitieren, und ich glaube, dass sich auch die USA an den Kriegsbemühungen beteiligen werden“.
Titelbild: Die israelische Luftwaffe fängt in der Nacht vom 13. auf den 14. April einen iranischen Drohnenangriff ab. Das islamische Regime feuerte 110-130 ballistische Raketen, 185 Drohnen und 36 Marschflugkörper auf den jüdischen Staat ab. Foto: Armeesprecher