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Das Fest der ungesäuerten Brote

von Johannes Gerloff

Das Passahfest beginnt in diesem Jahr am Abend des Montag, 10. April, mit dem Seder-Abend. Unmittelbar darauf folgt das Fest der ungesäuerten Brote, eine Woche lang, bis zum 18. April. Somit fallen in diesem Jahr das biblische Passahfest und das christliche Osterfest zusammen.

Reb Karmelitzki ist wütend. Die Rebbezin, seine Frau, hat ihn nach draußen geschickt, weil der Rauch die frisch geputzte Wohnung verstänkert. Der ultra-orthodoxe Rabbi, der einem osteuropäischen Schtetl des 19. Jahrhunderts erst letzte Woche entsprungen zu sein scheint, fährt wie eine Furie mit dem Besenstil in das Chomez-Feuer, dass nicht nur die Funken auseinander stieben, sondern auch die umstehenden Jungen, die allerlei mehr oder weniger Brennbares in das Feuer geworfen hatten. Jossi verliert seine Jarmulke und bringt sich mit versengten Haaren vor der Wut des Alten in Sicherheit. Nicht nur in Karmelitzkis Wohnung, über ganz Jerusalem liegt der Dunst von Lagerfeuern. Überall verbrennen fromme Juden vor dem Passahfest den letzten Sauerteig, hebräisch „Chomez“ genannt.

Putzwut vor dem Fest

Nachdem der alte Rebbe das Feuer drei Meter weiter nach links verlegt hat, legt sich sein Zorn und Karmelitzki beginnt wiegend die uralten Gebete zu murmeln. Tagelang zuvor hat er und seine Familie seinen gesamten Besitz peinlichst von allem „Gesäuerten“ gereinigt. Das Chomez-Feuer ist der Abschluss eines langen, anstrengenden Frühjahrsputzes.

In ganz Israel bricht jedes Jahr in den Wochen vor dem Passahfest eine unbändige Putzwut aus. Wer sich kein spezielles Passahgeschirr oder wenigstens Plastikgeschirr leisten kann, geht auf die Straße, um sich von „Jeschive-Bochern“, Talmudschülern, die sich ein Zugeld verdienen wollen, alles fachgerecht „entsäuern“ zu lassen. Alles wird bei diesem Frühjahrsputz auf den Kopf gestellt, um auch wirklich das biblische Gebot zu erfüllen: „Es soll sieben Tage lang kein Gesäuertes gesehen werden in deinem ganzen Lande“ (5. Mose 16,4; cf. 2. Mose 13,7). Deshalb hat am Tag zuvor der israelische Finanzminister im Beisein der beiden Oberrabbiner Israels auch alles Gesäuerte, das im Besitz des Staates Israel ist, symbolisch an einen nichtjüdischen Israeli verkauft.

Eiliger Auszug aus Ägypten

Das Passahfest, an dem das jüdische Volk in jedem Jahr des Auszugs aus Ägypten gedenkt, wird in der Bibel auch „Fest der ungesäuerten Brote“ genannt (2. Mose 23,15; 3. Mose 23,6; 5. Mose 16,16). „Sieben Tage sollt ihr ungesäuertes Brot essen“ (Ex 12,15; 13,6; cf. Ex 23,15), lässt Gott den Israeliten durch Mose sagen. Dadurch soll Israel an die Eile erinnert werden, in der die Flucht aus dem Land der Knechtschaft und des Todes stattfinden musste. Es war keine Zeit dafür, den Sauerteig für den Festkuchen aufgehen zu lassen.

Das alles hat für orthodoxe Juden einen höchst aktuellen Bezug. „Jeder lebt in irgendeiner Knechtschaft, ist irgendwie unfrei“, weiß Rabbi Ken Spiro, der aus Amerika nach Israel eingewandert ist und noch immer lieber Englisch als Hebräisch spricht. „Eigentlich ist Passah das Fest des freien Willens, an dem jeder wieder neu vor die Entscheidung gestellt wird, wem er sich zur Verfügung stellen will.“

Der sephardische Rabbi Avraham Cohen hat schmunzelnd den Wutausbruch von Reb Karmelitzki beobachtet. Väterlich legt er den Arm um Jossis Schultern und versichert sich, dass der verängstigte Bub nicht ernsthaft verletzt wurde. „Der Sauerteig ist ein Bild für den ‚Jetzer HaRa’“, für den „bösen Trieb“, erklärt er. „Der böse Trieb ist wie ein Sauerteig. Wenn wir ihn gewähren lassen, wird er alles durchsäuern.“ „Was wir hier vor dem Passahfest einmal im Jahr tun, nämlich alles Gesäuerte aus der Wohnung ausräumen und verbrennen, das müssen wir mit dem ‚Jetzer HaRa’ täglich tun.“ Und mit Blick auf seinen aschkenasischen Nachbarn, dessen Auftritt seine Erläuterung der Passahwoche unterbrochen hatte: „Das hast du eben bei Reb Karmelitzki gesehen, er hat sich von seinem ‚Jetzer HaRa’ nicht überwältigen lassen. Er ist eben doch ‚a guter Jid’“, fällt der orientalische Rabbi zum Abschluss seiner Rede ins Jiddische seines osteuropastämmigen Kollegen.

Paulus: Ein neuer Teig

Eigentlich erklären diese ultra-orthodoxen Rabbiner nichts anderes als „Rabbi Saul aus Tarsus“ fast zwei Jahrtausende vor ihnen. Sie werfen dem Schüler Gamaliels I., den die Christenheit Paulus nennt, die Gründung des Christentums vor – wenn sie ihn überhaupt wahrnehmen. „Darum schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr ein neuer Teig seid“, hatte der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde im griechischen Korinth geschrieben, und: „Lasst uns das Fest feiern nicht im alten Sauerteig, auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern im ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit“ (1. Korinther 5,7-8).

Kaum hörbar und noch weniger verständlich beschließt Reb Karmelitzki seine Sauerteigverbrennungs-Zeremonie mit den aramäischen Lauten, die er seit frühester Kindheit jedes Jahr zur selben Gelegenheit wiederholt hat: „Alles Gesäuerte, das noch in meinem Hause ist, ob ich es nun gesehen oder übersehen habe, das ich aber nicht entfernt habe, soll sein, als ob es nicht existierte und wie der Staub der Erde.“ Dann schlurft er zufrieden, gefolgt von seiner Kinderschar, zurück in seine für das Passahfest grundgereinigte Wohnung, um sich auf den Sabbateingang vorzubereiten.

Foto: Ultraorthodoxe Juden backen Matzen, die traditionellen ungesäuerten Brote für das Passahfest. Foto: Miriam Alster / Flash 90

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