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„Jom Kippur“ – der große Versöhnungstag

von Johannes Gerloff

JERUSALEM, 29.09.2017 – Ganz selbstverständlich findet die Zeit der Besinnung und Umkehr während des hebräischen Monats Elul, des Neujahrs und den darauf folgenden zehn „Ehrfurcht gebietenden Tagen“ ihren Höhepunkt im „Großen Versöhnungstag“, dem „Jom Kippur“. Der 10. Tag des hebräischen Monats Tischrei fällt im aktuellen Jahr 5778 seit Erschaffung der der Welt auf der 30. September 2017 nach Christi Geburt.

Bereits am frühen Nachmittag des 9. Tischrei kommt alles Leben in Israel zum Stillstand. Einige ultraorthodoxe Gemeinschaften schlachten am Morgen dieses Vorabends des Jom Kippur noch ein Huhn. Sie schwingen das Opfertier über dem Kopf des Sünders. Diese „Kapparot“-Zeremonie zeigt, dass für Vergebung von Sünden Blut fließen muss. Einige Gemeinden haben dieses symbolische Schlachtopfer durch Almosen ersetzt.

An Jom Kippur ruht alles in Israel
Am Jom Kippur selbst ruht alles öffentliche und private Leben in Israel. Es gibt weder Radio- noch Fernsehsendungen. Der Verkehr im gesamten Land liegt still. Nur Krankenwagen für Notfälle und Sicherheitskräfte werden auf den Straßen geduldet. Alle anderen Kraftfahrzeuge laufen Gefahr, mit Steinen beworfen zu werden. Der verkehrsfreie Tag wird allerdings von den Kindern im ganzen Land genutzt. Sie bevölkern die Straßen mit Fahrrädern, Rollschuhen und Skateboards.

Selbst Israelis, die sich sonst als säkulare Juden bezeichnen würden, fasten. Das Tragen von Lederkleidung und Schmuck, der Gebrauch von Kosmetik, das Baden und der Geschlechtsverkehr sind nach jüdischem Gesetz an diesem Bußtag verboten. Der Große Versöhnungstag ist geprägt von einer Stimmung der Ehrfurcht und Beklemmung, der Verzweiflung und des Grauens im Blick auf die eigene Schuld angesichts des heiligen Schöpfergottes.

Die Bibel beschreibt, wie der Hohepriester zur Zeit des israelitischen Heiligtums ein einziges Mal im Jahr, eben am Großen Versöhnungstag, das Allerheiligste betrat (3. Mose 16). Der Jom Kippur wird als „ewige Ordnung“ beschrieben. Der große Ernst dieses Tages kommt in der Warnung zum Ausdruck: „Wer nicht fastet an diesem Tag“ oder „irgendeine Arbeit tut“ „wird aus seinem Volk ausgerottet werden“ (3. Mose 23,27‑32).

Ein Tag des Gebetes
Gesetzestreue Juden verbringen den ganzen Tag betend in der Synagoge in ein weißes Bußgewand gehüllt, das später einmal ihr Totengewand werden wird. Am Nachmittag wird das Buch Jona verlesen, in dem berichtet wird, wie die Einwohner der Großstadt Ninive auf die Gerichtsankündigung des Propheten mit Buße reagierten. Gott ließ sich umstimmen. Ninive wurde nicht vernichtet. Außerdem wird an diesem Tag der Verstorbenen gedacht.

Normalerweise werden Fastentage, die auf einen Sabbat fallen, um einen Tag verschoben. Der Jom Kippur ist die einzige Ausnahme von dieser Regel. Der Grund dafür ist, so erklären die Rabbiner, dass der Große Versöhnungstag zwar für Außenstehende wie ein Tag der Trauer und der Zerknirschung aussehen mag. Aus Sicht der Gläubigen überwiegt aber die Freude über die Erfahrung der Vergebung und die Möglichkeit für einen Neuanfang. Deshalb erklärt der Talmud im Traktat Ta’anit auch, dass in Israel keine Tage so von der Freude bestimmt sind, wie der Jom Kippur und der 15. Av.

Nach jüdischer Tradition wird am Großen Versöhnungstag das Schicksal für das kommende Jahr versiegelt. Deshalb grüßt man sich in der Zeit um den Jom Kippur mit „Gmar Chatimah Tovah“, was frei übersetzt heißt: „Mögest Du zum Guten eingeschrieben und versiegelt sein!“ „Das große, weiße Fasten“, wie dieser heiligste Tag des Judentums auch genannt wird, endet mit Sonnenuntergang am 10. Tischrei wieder mit dem urwüchsigen Klang des Schofarhorns.

Seit dreieinhalb Jahrzehnten ist dieser Tag für den modernen Staat Israel mit einer der größten Katastrophen in seiner Geschichte verbunden, dem so genannten „Jom-Kippur-Krieg“. Am 6. Oktober 1973, dem Jom Kippur, griffen Ägypten und Syrien den jüdischen Staat an. Die israelischen Nachrichten- und Sicherheitsdienste waren davon vollkommen überrascht. Die Bar-Lev-Linie am Suez-Kanal, eine israelische Befestigungsanlage, die als uneinnehmbar galt, brach binnen weniger Stunden zusammen. Tagelang war die Lage des Staates Israel sehr prekär.

Foto: Johannes Gerloff

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