Konflikt um riesige Ländereien der christlichen Kirchen
von Ulrich W. Sahm
JERUSALEM, 24.06.2018 – Will Israel tatsächlich christlichen Kirchenbesitz beschlagnahmen? Mit Petitionen kämpfen derzeit alteingesessene Kirchengemeinschaften in Jerusalem, darunter die Russisch-Orthodoxen und die Griechisch-Orthodoxen dafür, ihre riesigen Ländereien in der israelischen Hauptstadt behalten zu können. Die Jerusalemer Stadtverwaltung will zudem kirchliche Unternehmen besteuern. Aus Protest dagegen blieb die Jerusalemer Grabeskirche vier Tage lang für Pilger und Touristen geschlossen (Fokus Jerusalem berichtete).
Späte Entdeckung durch die Kirchen
Jerusalem war in früheren Jahrhunderten ein winziges Nest. Die Umrisse der knapp einen Quadratkilometer großen Altstadt haben sich seit 2000 Jahren kaum verändert. Erst um 1850 erwachte die christliche Welt und entdeckte das seit Jahrhunderten vergessene „Heilige Land“ sowie die Stadt Jerusalem, die 400 Jahre lang von den türkischen Osmanen beherrscht worden war. Katholiken errichteten außerhalb der Stadtmauern riesige Hospize, darunter das Paulus-Haus mit der Schmidtschule gegenüber dem Damaskustor, und das Notre-Dame-Zentrum weiter westlich. Ende des 19. Jahrhunderts strömten hunderttausende christliche Russen aus dem Zarenreich ins Land und suchten eine Herberge. Für sie wurde das Viertel Muskubija errichtet, in dem heute neben einer Kirche mit grünem Dach eine große Polizeistation mit Gefängnis in den ehemaligen Mönchskammern, ein russisches Kloster und andere Gebäude stehen, die von der britischen Mandatsmacht als Hinrichtungsstätte verwendet wurden. Die Armenier bauten innerhalb der Altstadtmauern ihr eigenes Viertel mit Priesterseminaren. Während der türkischen Pogrome 1915 gegen die christlichen Armenier wurde Jerusalem zu einem Zentrum armenischer Gelehrsamkeit und war zugleich ein Zufluchtsort für die Vertriebenen aus Anatolien und Istanbul.
Riesige Ländereien in Kirchenbesitz
Vor allem die griechisch- und die russisch-orthodoxe Kirche haben sich riesige Ländereien angeeignet. Nachdem Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärt worden war, mussten die entsprechenden repräsentativen Gebäude errichtet werden, darunter die Knesset (das Parlament), Regierungsämter, der Präsidentenpalais sowie die offizielle Residenz des Premierministers. Fast alle stehen auf christlichem Grund und Boden, griechisch oder russisch. Bisher war das kein Problem. Doch bald endet die 99 Jahre dauernde Pachtzeit. Und was dann? Müssen dann die viele Milliarden Schekel teuren repräsentativen Gebäude abgerissen oder den Kirchen übergeben werden? Was geschieht mit Tausenden Bewohnern des Viertels Rehavia? Denen könnte im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter ihren Füßen weggezogen werden, oder sollen sie mit Millionenbeträgen den Kirchen die Grundstücke abkaufen?
Das könnte kaum jemand finanzieren. Deshalb wird versucht, mit neuen Gesetzesvorlagen das Land zu „verstaatlichen“. Da die Kirchen sich aber nicht verpflichten wollen, das teuer gewordene Land zu den alten Konditionen (als alles noch felsiges Brachland war) weiter zu verpachten, muss eine Lösung gefunden werden.
Neuer Streit um städtische Steuern
Neben diesem noch ungelösten Konflikt um kirchlichen Grundbesitz gibt es seit einigen Monaten einen weiteren Streit. Die Jerusalemer Stadtverwaltung hat beschlossen, kirchliche Einrichtungen, die wie kommerzielle Unternehmen geführt werden, zu besteuern. Warum sollten feine Hospize, die Zimmerpreise verlangen wie Hotels, Luxusrestaurants oder Andenkenläden in den kirchlichen Anwesen von städtischen Steuern befreit sein? Die Stadt muss dort genauso den Müll entsorgen, die Abwasseranlagen in Ordnung halten und andere Dienstleistungen bereithalten, wie für jeden anderen Bürger der Stadt.
Die Stadt Jerusalem erklärt, dass man von den steuerzahlenden Bürgern der Stadt nicht verlangen könne, die gewinnbringenden Läden, Restaurants und Hotels der Kirchen zu subventionieren. Die Christen hingegen pochen auf uralte Vorrechte und ihre „Immunität“. Wie diese Probleme „einvernehmlich“ gelöst werden könnten, ist offen.
Bild: Das Notre Dame-Center gehört in Jerusalem gehört der katholischen Kirche. Die komfortable Unterkunft ist derzeit noch von städtischen Steuern befreit. Foto: Tommy Mueller / Fokus Jerusalem
Fokus Jerusalem berichtete: