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Israels Nationalstaatsgesetz: Was soll die Aufregung?

ein Kommentar von Johannes Gerloff

JERUSALEM, 23.07.2018 – „Israel – Diskriminierung per Gesetz – Das Land definiert sich nun dezidiert als jüdisch – das ist ein Schlag für die arabische Minderheit und ein Bruch mit Israels Unabhängigkeitserklärung. Es liegt erneut am obersten Gericht, die Liberalität des Staates zu verteidigen.“ (Kommentar der Süddeutschen Zeitung)

Auch die Nachrichtenagentur AFP schreibt in einem Bericht, der unter anderem in der Online-Ausgabe der Tageszeitung „Die Welt“ veröffentlicht wurde, von „Diskriminierung“ und lässt ihren Lesern überhaupt keine Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, wenn sie darüber berichtet, dass Israel ein „umstrittenes Gesetz“ zum „jüdischem Nationalstaat“ (sic, in Anführungszeichen!) verabschiedet. Noch bevor berichtet wird, was das Gesetz regelt, wird es als „diskriminierend“ (noch einmal!) und „rassistisch“ bezeichnet. Ein Leser, der seine Informationen nur aus dieser Quelle bezieht, weiß noch immer nicht, um was es eigentlich geht. Aber er weiß: Israel ist „diskriminierend“ und „rassistisch“.

Streit ist Alltag in der Knesset

„Umstritten“ ist ein weiteres Lieblingswort des Artikels. Im deutschen Denken ist etwas „Umstrittenes“ vermutlich höchst bedenklich, wenn nicht verwerflich. Nach deutscher Vorstellung scheint nur in Ordnung, was im Gleichschritt marschiert. In Israel ist das ganz anders. Dort wird um alles und jedes zuerst einmal gestritten – auch wenn das manchmal völlig sinnlos scheint. „Umstritten“ ist so ziemlich jedes Gesetz, das das israelische Parlament bislang verabschiedet hat. Ohne Streit ist die Knesset undenkbar.

Dass Araber das jüdische Volk als „rassistisch“ bezeichnen und seinem Staat „Apartheid“ unterstellen ist ebenso wenig neu wie fern jeglicher Wahrheit. Wenn der arabische Politiker Aiman Oudeh vom „Tod unserer Demokratie“ spricht, straft er sich selbst Lügen – denn wenn die Demokratie tatsächlich tot wäre, wäre er weder Knessetabgeordneter, noch könnte er derartiges von sich geben. Israels Demokratie lebt und blüht – wobei ich als Deutscher durchaus zugebe, dass weniger Streit und mehr Ordnung manchmal angenehmer wäre. Israelis machen sich das Leben durch ihre Demokratie nicht selten unnötig schwer.

Streit in der Knesset

Kontroverse Debatten gehören zum Alltag in der Knesset. Im Bild die streitbare arabische Abgeordnete Hanin Zoabi.     Foto: Flash90

Eigentlich sollte großen deutschen Tageszeitungen klar sein, was sie mit ihren Artikeln verbreiten, wenn darin ausgerechnet die türkische Regierung den Israelis eine „überholte und diskriminierende Mentalität“ unterstellt. Tatsache ist: Im Blick darauf, wie das Nato-Mitglied Türkei mit seiner kurdischen Minderheit und deren nationalen Ambitionen umgeht, braucht der jüdische Staat Israel keinen Vergleich zu scheuen.

Was ist eigentlich neu?

Offen gesagt ist mir nicht wirklich klar, was die Aufregung um das neue Grundgesetz soll. Israel ist bereits durch die Unabhängigkeitserklärung vom 15. Mai 1948 als Nationalstaat für jüdische Menschen definiert. Seither ist es auch ein Einwanderungsland exklusiv für Juden. Das ist nicht neu – und im Übrigen der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Verhältnis zur deutschen Diaspora nicht unähnlich, bis dahin, dass deutsch-stämmige Menschen bevorzugt einwandern dürfen. Jerusalem in seiner Gesamtheit ist bereits seit 1980 per Grundgesetz als unteilbare Hauptstadt des Staates Israel erklärt. Das ist auch nicht neu, wenngleich natürlich äußerst „umstritten“.

Wenn Fahne, Nationalhymne, der hebräische Kalender und die jüdischen Feiertage in Israel bislang nicht per „Grundgesetz“ definiert waren, zeigt das nur, dass der jüdische Staat bislang weit liberaler war, als die überwiegende Mehrzahl der Staaten, die auf diesem Planeten existieren. Interessant ist doch, dass Israel nicht einmal in diesem Gesetz „gesetzliche Feiertage“ festlegt, wie das in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Es gibt in Israel beispielsweise kein allgemeines, gesetzlich verankertes Fahrverbot für Lastwagen an Ruhetagen, wie das in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist.

Dass die Funktion des Hebräischen als offizielle Amtssprache betont wird, trifft vor allem (akademisch hoch ausgebildete) Neueinwanderer aus den USA, Frankreich und Russland, die ein Leben lang als Ärzte oder Juristen in ihrer jeweiligen Sprache gearbeitet haben – und sich jetzt plötzlich „gezwungen“ sehen, ihren Beruf nur in der „Nationalsprache“ ausüben zu können. Die israelischen Araber beherrschen alle auch Hebräisch – und der Status der arabischen Sprache im Staat Israel wird durch das neue Nationalstaatsgesetz ausdrücklich nicht angetastet. Wer sich über diesen Aspekt des israelischen Nationalstaatsgesetzes echauffiert, sollte sich einmal fragen, wie viele andere Sprachen und Kulturen durch Amtssprachen wie Deutsch, Englisch, Spanisch, Arabisch, Russisch oder Portugiesisch in vielen Staaten der Welt „unterdrückt“ werden.

Ist der Nationalstaat überholt?

Ganz gewiss schwelt im Hintergrund dieser ganzen Angelegenheit auch die grundsätzliche Frage, welche Berechtigung ein Nationalstaat heute noch hat. Die Idee eines Nationalstaates beruht auf einer europäischen Idee des 19. und 20. Jahrhunderts, die vielen Menschen aus anderen Teilen der Welt fremd ist, durch den Kolonialismus aber weiten Teilen unseres Planeten aufgezwungen wurde, obwohl sie uns im zurückliegenden Jahrhundert unendlich viel Leid beschert hat. Wenn ich so etwas in Vorträgen sage, sehen mich Europäer ganz verständnislos an – Afrikaner, Menschen aus dem Nahen Osten oder Asiaten, strahlen mich mit großen Augen an und sagen mir nicht selten: „Da hat uns endlich einer verstanden!“

Flagge am Auto

Die meisten Israelis sind stolz auf ihren Staat.   Foto: Tommy Mueller / Fokus Jerusalem

Für den Staat Israel ist diese Grundsatzüberlegung eher unangenehm, weil er sich – ganz im Geiste des frühen 20. Jahrhunderts – gerne als Nationalstaat für das jüdische Volk verstanden wissen will. In Europa bewegt man sich im Blick auf sich selbst wieder in Richtung Vielvölkerstaat – im Blick auf die Lösung des „Nahostkonflikts“ hält man an der alten, eigentlich überholten Nationalstaatsideologie allerdings fest. Da ist eine „Zweistaatenlösung“ aus Sicht der Europäer „alternativlos“. Das wiederum macht ihre Aufregung über Israels neues Nationalstaatsgesetz absurd.

Johannes Gerloff ist der geistliche Leiter von Fokus Jerusalem. Der Theologe und Journalist lebt mit seiner Familie in Jerusalem.

Johannes Gerloff

Quellen:
https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-diskriminierung-per-gesetz-1.4061186

https://www.welt.de/newsticker/news1/article179638864/Diskriminierung-Israel-verabschiedet-umstrittenes-Gesetz-zu-juedischem-Nationalstaat.html

Den Wortlaut des Gesetzes in englischer Übersetzung kann jedermann zum Beispiel bei den „Times of Israel“ einsehen: https://www.timesofisrael.com/final-text-of-jewish-nation-state-bill-set-to-become-law/

Tielbild oben: Feiernde Juden am Jerusalem-Tag vor dem Damaskustor in der Jerusalemer Altstadt.     Foto: Yonatan Sindel / Flash90

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