Dem Schlüsselhalter der Grabeskirche droht der Tod
von Ulrich W. Sahm
JERUSALEM, 16.11.2018 – Seit fast 1000 Jahren verwalten zwei muslimische Familien den Schlüssel zum wichtigsten christlichen Heiligtum in Jerusalem, der Grabeskirche. Die Joudeh-Familie „besitzt“ den klobigen Schlüssel, während ein Mitglied der Nusseibeh-Familie die Aufgabe hat, den Schlüssel entgegen zu nehmen und das Tor aufzuschließen. Diese „Sitte“ wurde eingerichtet, weil in der Grabeskirche sechs christliche Konfessionen und Kirchen, darunter Griechen, Armenier Syrer, Kopten und andere das Sagen haben und sich auf fast nichts einigen können. Deshalb wurde beschlossen, dass Muslime den Schlüssel zum einzigen Tor des Gotteshauses erhalten.
Täglich zur Grabeskirche
Adeeb Joudeh, 55, begibt sich, zunächst mit seinem Vater, seit seinem achten Lebensjahr täglich zu dem Tor, mit dem Eisenschlüssel in der Tasche. Ohne ihn könnten weder die im Gotteshaus lebenden Mönche und Priester, noch die Pilger die Grabeskirche betreten oder verlassen.
Auch weil Joudeh der Spross einer der ältesten bekannten muslimisch-arabischen Familien Jerusalems ist, war er stets hoch angesehen und unter den Basarhändlern bestens bekannt. Doch jetzt droht ihm der Tod. Joudeh kann sich nicht mehr unbefangen in seiner Heimatstadt bewegen.
2012 hatte er sein Haus für rund 2,5 Millionen Dollar zum Verkauf angeboten. Joudeh sprach mit verschiedenen palästinensischen Stellen, darunter den Verwaltern muslimischen Eigentums, der jordanischen Waqf-Stiftung. Doch entweder hatten sie nicht die genannte Summe zur Verfügung oder wollten das Haus im muslimischen Viertel nicht erwerben. Am Ende meldete sich ein bekannter palästinensischer Geschäftsmann aus den USA. Die Autonomiebehörde bestätigte Joudeh, dass der Mann „sauber“ sei. Das Geld wurde ihm über eine Bank in den karibischen Inseln überwiesen, angeblich weil der Käufer „Steuern sparen“ wollte.
Juden die neuen Bewohner
Kaum war das Geschäft vollendet, zogen Juden in das Haus ein. Die Nachbarn waren empört und Joudeh wurde „Volksverrat“ vorgeworfen. In der palästinensischen Autonomiebehörde wird Landverkauf an Juden mit dem Tode bestraft. Kürzlich wollte keine Moschee im Land einen jungen Mann ordentlich begraben, weil er im (nicht bewiesenen) Verdacht stand, Land an Juden verkauft zu haben. Er war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Alle anderen Toten jenes Verkehrsunfalls auf der Autobahn entlang des Jordans wurden mit allen Ehren in der Al Aksa-Moschee in Jerusalem aufgebahrt.
Die israelische Zeitung Haaretz hat viele Namen der möglicherweise in dieses Geschäft verwickelten Palästinenser veröffentlicht, darunter Muhammad Dahlan, ein ins Exil verbannter Rivale des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. So wurde angedeutet, dass Adeeb Joudeh vielleicht ein Opfer der Machtkämpfe um die Nachfolge von Abbas geworden sein könnte.
Familie nimmt ihm den Schlüssel ab
Seine erweiterte Familie kündigte an, ihm den Schlüssel zu Grabeskirche abnehmen zu wollen, „bis die Angelegenheit des Hausverkaufs aufgeklärt ist“. Künftig solle ein anderes Familienmitglied den Schlüssel aufbewahren, um die uralte Tradition um das Tor der Grabeskirche fortzusetzen.
Joudeh muss jetzt sehr vorsichtig sein, behauptet aber, nicht gewusst zu haben, dass am Ende israelische Siedler sein Haus übernommen würden. Gegenüber der Zeitung sagte er: „Gott weiß, dass ich unschuldig bin.“
Bild: Die Grabeskirche in Jerusalem ist das Ziel von Tausenden christlicher Pilger aus aller Welt. Foto: Yaakov Lederman / Flash90