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Neuwahlen in Israel, jede Woche eine neue Partei

ein Kommentar von Katharina Höftmann

JERUSALEM, 09.01.2019 – Jetzt ist es amtlich: Im April 2019 wird in Israel neu gewählt. Damit ist wieder einmal eine Legislaturperiode nicht wie geplant zu Ende gegangen (eigentlich wären erst im September Wahlen gewesen). Das ist symbolisch für ein Paradox der israelischen Politik, in der einerseits mit Benjamin Netanjahu seit nunmehr zehn Jahren der gleiche Mann am Ruder ist und andererseits ständig neue Parteien entstehen, deren Erfolge meist nicht von langer Dauer sind. Vielen israelischen Politikern und Parteien fehlt es an der Kondition, um den Marathon zu laufen, der Politik nun einmal ist, wenn man etwas erreichen will. Auch den Wählern fehlt es oft an genau dieser Geduld und Ausdauer, um neuen Parteien die Zeit zu lassen, wirklich etwas zu verändern. Stattdessen wendet sich ein grosser Teil immer wieder an das Bewährte, man könnte auch sagen, das geringste Übel. Denn wirklich beliebt ist Bibi, wie Netanjahu in Israel genannt wird, bei den wenigsten Menschen im Land.
Noch eine Partei
Eine Alternative hätte der andere Benjamin, Benny Gantz, sein können. Als ehemaliger Oberbefehlshaber der israelischen Armee kann man ihm zumindest nicht vorwerfen, dass er keine Ahnung von der Verteidigung des jüdischen Staates hat (was man dem anderen grossen Konkurrenzen Bibis, Yair Lapid, gerne an den Kopf wirft und was in Israel immer noch ein zentrales Argument für die Erfolgsaussichten eines Politikers darstellt). Aber weil sich Gantz offensichtlich mit keiner Ideologie einer bestehenden Partei identifizieren oder auch nur einigen konnte, gründete er mit der „Israel Resilience Party“ eine neue Partei, die höchstwahrscheinlich dem etablierten Likud (der Partei Netanjahus) nur ein paar wenige Stimmen wegnimmt und stattdessen den Erfolg der anderen alternativen Parteien wie „Yesh Atid“ (die Partei Yair Lapids, in Übersetzung etwa „Es gibt eine Zukunft“) oder auch „Neuen Rechten“ minimiert. „Die neuen Rechten“ ist übrigens ebenfalls eine neue Partei, frisch gegründet von den ehemaligen Netanjahu-Koalitionspartnern Naftali Bennett und Ayelet Shaked. Die Partei soll gleichberechtigt säkulare und religiöse Kräfte vereinigen und so „König Bibi“ (so nennt man ihn in Israel ebenfalls) vom Thron stossen. Dass das gelingt darf bezweifelt werden.
Netanjahu kann sich freuen
Denn während fast täglich eine neue Partei im Land entsteht – auch die „Zionistenunion“ um Zipi Livni und Chef der Arbeiterpartei Avi Gabay hat sich nun offiziell aufgelöst – hat man den Eindruck, dass Benjamin Netanjahu sich nur umso mehr ins Fäustchen lacht. Für ihn könnte es von Vorteil sein, dass sich die anderen Politiker so uneins sind. Dass ihre neuen Parteien den Wählern zu neu sind, weil man nicht wirklich weiss, wofür sie stehen – so dass am Ende die Wahrscheinlichkeit sehr gross ist, dass die Mehrheit wieder das Altbewährte wählt.
Wer sorgt für die Mittelschicht?
Nun könnte man argumentieren, dass das Altbewährte ja auch keine schlechte Option ist: Immerhin geht es Israel vergleichsweise gut. Wirtschaftliche Krisen werden genauso wie der kontinuierlich immer nur schlimmer werdende Islamismus ganz passabel gemeistert. Aber dann verschweigt man natürlich, dass in Israel immer noch eine erschreckend hohe Alters- und Kinderarmut herrscht, die es in einer „Start-up-Nation“ so nicht geben dürfte. Man verschweigt, dass die untere Mittelschicht sich in vielen Entscheidungen der Regierung schon lange nicht mehr repräsentiert sieht, das die Lebenskosten im Land absurde Züge angenommen haben – vor allem im Vergleich zu den stagnierenden Einkommen. Und man verschweigt ebenfalls, dass die Korruptionsvorwürfe gegen Familie Netanjahu mittlerweile so konkret und dringlich sind, dass es an ein Wunder grenzt, wie der Ministerpräsident sie immer noch im Grossen und Ganzen unter den Teppich kehren kann.
Ob Benny Gantz, Yair Lapid, Naftali Bennett und Ayelet Shaked oder gar der amtierende Finanzminister Moshe Kahlon (der ebenfalls eine eigene Partei gegründet hat, bevor er diese Position antrat) eine ernsthafte Konkurrenz für Bibi sein werden, wird man sehen. Dass diese fünf durchaus ernstzunehmenden israelischen Politiker und Alternativen zu Bibi in vier verschiedenen Parteien agieren, ist jedoch kein gutes Zeichen.

Foto oben: Yair Lapid, ein ehemaliger TV-Moderator, gilt als schön, aber naiv. Foto: Flash 90

Katharina Hoeftmann.

Katharina Höftmann ist Schriftstellerin und Journalistin. Die gebürtige Rostockerin lebt mit Ehemann und zwei Söhnen in Tel Aviv. Die jüdische Autorin wurde bekannt durch ihre Kriminalromane, bei denen Kommissar Rosenthal in Jaffo ermittelt. Foto: Fokus Jerusalem

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