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Netanjahu will bei Wahlsieg Siedlungen im Jordantal annektieren

von Ulrich W. Sahm

JERUSALEM, 11.09.2019 – Premierminister Benjamin Netanjahu hat am Dienstagabend eine „dramatische historische Erklärung“ angekündigt. Fernsehen und Rundfunk schalteten sich live dazu. Doch weil in sieben Tagen in Israel gewählt wird, waren sie vom Wahlkommitee aufgefordert worden, Netanjahus Rede mit zeitlicher Verzögerung zu senden und genau zu prüfen, ob er „Wahlpropaganda“ betreibe. Die dürfe keinesfalls ausgestrahlt werden.

Netanjahu schnell abgeschaltet

Netanjahu trat dann mit mehr als einstündiger Verspätung an das Mikrophon. Der Ministerpräsident erklärte, dass seine Regierung nach den Wahlen das Jordantal und den Norden des Toten Meeres annektieren werde. Das entspreche den Sicherheitsinteressen Israels. Dann sagte Netanjahu: „Ihr müsst mir Eure Stimme geben, damit ich die nächste Regierung bilden und die Annexion durchführen kann.“ Augenblicklich wurde ihm die Stimme abgeschnitten und in den Studios hieß es zur Entschuldigung: „Das ist reine Wahlpropaganda. Wir machen uns strafbar, wenn wir das senden.“ So ging es weiter mit zahlreichen Unterbrechungen.

Zu hören war noch, dass er der einzige sei, der das alles mit US-Präsident Donald Trump aushandeln könne. Weiter sagte er, dass das Jordanland und die Golanhöhen die Ostgrenze Israel bilden müssten, damit der Staat nie wieder eine schmale Taille von wenigen Kilometern wie bis 1967 habe. „Diese Ostgrenze muss eine Schutzmauer für Israel sein“, unterstrich er. Betroffen von der Rechtsänderung wären rund 8000 Siedler in 30 Gemeinden.

Anzumerken ist hier, dass Netanjahu dieses Mal nicht von einer Annexion der Siedlungen im ganzen Westjordanland geredet hat, nicht einmal der Stadt Ma’ale Adumim, die 1994 gegründet wurde, als „Schutzwall“ gegen einen arabischen Angriff auf Jerusalem vom Osten her. Rechtsgerichtete Israelis beklagten spontan das „historische Versäumnis“, nur das Jordantal, nicht aber die übrigen israelischen Siedlungen m Westjordanland annektieren zu wollen.

Gantz: Schon 2017 gefordert

Kaum hatte Netanjahu seine „Absicht“ verkündet, was er „nach den Wahlen zu tun gedenke“, meldete der israelische Rundfunk, dass „vor wenigen Sekunden“ Benny Gantz gewittert habe: „Ich habe schon 2017 verkündet, dass ich das Jordantal annektieren will.“

Gantz ist der stärkste Gegner Netanjahus bei diesem Wahlkampf. An der Spitze der „Blau-Weiß-Partei“ will er den amtierenden Premierminister ersetzen. Laut Umfragen sieht es so aus, als ob weder Gantz noch Netanjahu ausreichend Stimmen erhalten, um die nächste Regierung zu bilden.

Eine Annexion ist formaljuristisch erst wirksam, wenn sie offiziell ausgesprochen wurde. Das ist bisher nicht geschehen. Die „Absicht“, Siedlungen oder auch das Jordantal zu annektieren, haben beide Politiker schon mehrfach verkündet. Es gibt nicht nur bei den Vereinten Nationen und den Palästinensern, sondern auch bei der Europäischen Union und anderen „Freunden Israels“ erhebliche Widerstände gegen einen solchen Schritt, der zudem auch als „Bruch des Völkerrechts“ gedeutet wird.

Bisher hat Israel unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg den von Jordanien eroberten Ostteil der Stadt Jerusalem annektiert, was aber nicht einmal die Amerikaner bislang offiziell anerkannt haben. 1980 hat Israel dann die syrischen Golanhöhen annektiert und somit zu israelischem Staatsgebiet erklärt.

Siedlungen unter Militärverwaltung

Alle Siedlungen und die großen jüdischen Städte in Judäa und Samaria (Westjordanland) unterstehen derzeit der israelischen Militärverwaltung, weil die israelischen Zivilgesetze auf die Siedlungen bis heute nicht ausgeweitet worden sind.

Der formale Akt einer Annexion bedeutet, dass das Militärrecht der Besatzung durch die zivilen Gesetze des annektierenden Staates ersetzt werden. Dazu reicht eine entsprechende Erklärung der Regierung.

Bild: Ein Palästinenserjunge hütet Schafe im Jordantal. Foto: Miriam Alster / Flash90

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