Corona-Pandemie sorgt bei jungen Israelis für Depressionen
JERUSALEM, 09.12.2020 (TG) – Israel ist an Krisen gewöhnt, immer wieder haben Kriege und Terrorattacken das Land und seine Einwohner erschüttert. Nach kurzer Zeit hat jedoch alles zur Normalität zurückgefunden. Anders läuft es in der Coronakrise. Neue Studien zeigen, dass Angstzustände und Depressionen in der Bevölkerung zunehmen, ohne Anzeichen von Besserung. Besonders hart betroffen ist die jüngere Bevölkerungsschicht.
„Es reicht nicht, nur an Senioren zu denken”
Der Schwerpunkt der politischen Entscheidungsträger während der Pandemie liegt auf dem Schutz der älteren Bevölkerung. Doch nun nehmen Depression bei Menschen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren zu. Studien zeigen, dass nur eine geringe Prozentzahl der Betroffenen die Gesundheitskrise als Auslöser für ihre Depression ansieht. Ein Drittel der Betroffenen nennt die politische Krise, die Finanzkrise, die Sorge um die Zukunft und die Instabilität des öffentlichen Lebens als Hauptauslöser für ihre Depressionen und Ängste.
Bruria Adini, eine Expertin für Notfallmedizin und Forscherin an der Universität Tel Aviv, ist besorgt. Der Anstieg der Zahl der Depressiven habe nicht nur auf die direkt Betroffenen Einfluss, sondern auch auf Familien, Arbeitsverhältnisse und letztlich die ganze Gesellschaft. Die Folgen könnten verheerend sein „wenn Politiker nicht Verantwortung übernehmen für das, was die Menschen wirklich beschäftigt”, so Adini.
Hickhack um Ausgangssperre
Die Wissenschaftlerin fordert Klarheit, einheitlich festgelegte Richtlinien und mehr Aufmerksamkeit, was die mentale Gesundheit junger Menschen betrifft. „Entscheidungen in letzter Minute seitens der Regierung erhöhen das Stresslevel“, so die Forscherin.
Jüngstes Beispiel für den Zickzack-Kurs der Politiker ist die nächtliche Ausgangssperre, die von heute an bis Anfang nächsten Jahres verhängt werden sollte. Da die Infektionen in Israel weiter steigen, sollte ein Lockdown über Nacht erfolgen, um Versammlungen während des Chanukka-Festes zu vermeiden. Die Regierung hat diesen Entschluss veröffentlicht und damit für heftige Diskussionen gesorgt. Gestern Abend hieß es dann, die nächtliche Ausgangssperre sei wenig wirksam und komme wegen rechtlicher Schwierigkeiten wahrscheinlich doch nicht. Stattdessen wurde überraschend bekannt gegeben, dass alle Einkaufszentren, Märkte und Museen von Donnerstag an wieder öffnen dürfen.
„Je mehr Menschen in Depression und Angstzustände verfallen sind, desto weniger motiviert sind sie, um sich an Maßnahmen wie den Mindestabstand und Hygieneregeln zu halten”, kommentiert Bruria Adini. Mehr Aufmerksamkeit und Hilfe zur mentalen Gesundheit erhöhe die Chancen für die Akzeptanz von Beschränkungen und die Mitarbeit der Bevölkerung, und das bewirke letztlich ein Sinken der Infektionsrate.
Bild: Jerusalemer beim Einkaufen in der Innenstadt. Seit Monaten wird darüber gestritten, welche Geschäfte unter welchen Bedingungen öffnen dürfen. Foto: Olivier Fitoussi/Flash90