Der Mann der Stunde: Naftali Bennett ist Israels neuer Premierminister
JERUSALEM, 13.06.2021 (DK) – Nach zwölf Jahren ist Benjamin Netanjahu im Amt abgelöst worden. Der Mann der Stunde heißt Naftali Bennett: Er will das gespaltene Land unter einer Acht-Parteien-Regierung einen. Noch nie waren in einem Regierungsbündnis so viele politische Ideologien vertreten gewesen. Bennett selbst steht zwar rechter als sein Vorgänger Netanjahu, hat sich jedoch mit der größten Oppositionspartei in der Knesset, der linksgerichteten “Jesh Atid” zusammengeschlossen. Deren Vorsitzender, Jair Lapid, hat einem Rotationsabkommen mit Bennett zugestimmt. Nach zwei Jahren soll Lapid auf das Amt des Ministerpräsidenten eingeschworen werden. Auf Israels Straßen feierten viele Menschen den Machtwechsel. Doch andere zeigen sich weniger zuversichtlich. Eine Koalition, deren Partner Vertreter der gesamten politischen Bandbreite darstellen, wirkt schon in ihren Anfängen instabil. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 60:59 Stimmen trat die Regierung die neue Legislaturperiode an.
Bennett dankt Netanjahu bei seiner Antrittsrede
Jahrelang hat Bennett an Netanjahus Seite gearbeitet, nun verdrängt er “König Bibi” vom Thron. Mit gerade mal sieben Sitzen in der Knesset für seine Partei hat es der Politiker ganz an die Spitze geschafft. Bennett ist außerdem der erste nationalreligiöse Regierungschef in der Geschichte des jungen Landes. Von der rechten Seite wird dem 49-Jährigen vorgeworfen, seine eigenen Wähler verraten zu haben, indem er ein Bündnis mit linkspolitischen Parteien einging. Doch Bennett legte sich das Image des Versöhners zwischen den gespaltenen politischen Lagern zu, das Wohl des gesamten Volkes im Auge. Bei seiner Antrittsrede wirkte der vierfache Familienvater souverän und staatsmännisch. Er dankte auch Premierminister Benjamin Netanjahu und seiner Frau Sara. „Ihr habt Beide viele Opfer für den Staat Israel gebracht”, sagte er anerkennend. Seine Rede wurde dennoch von Buhrufen aus dem Netanjahu-Lager unterbrochen. An seine Kritiker gerichtet, sagte er: „Ich bin stolz auf die Fähigkeit, mit Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen zusammenzusitzen“ und fügte hinzu: „Im entscheidenden Moment haben wir Verantwortung übernommen.“
Netanjahu fand bei seiner letzten Ansprache als Premierminister in der Knesset weniger diplomatische Worte. „Ich werde täglich gegen diese schreckliche, gefährliche linke Regierung kämpfen, um sie zu stürzen“, so der ehemalige Ministerpräsident. Auf Englisch setzte er hinzu: “We will be back soon”. Bis zum letzten Moment hatte der 71-Jährige nicht aufgegeben. Noch vor wenigen Tagen bot er seinem ehemaligen Rivalen Benny Gantz den Vortritt beim Amt des Premierministers an. Gantz solle drei Jahre lang regieren, während er, Netanjahu, das letzte Jahr der vierjährigen Legislaturperiode übernehme. Doch Israels Verteidigungsminister entschied sich, nicht auf das verlockende Angebot einzugehen.
Freude und Trauer auf Israels Straßen
Zu Tausenden hatten sich die Menschen im vergangenen Jahr vor der Netanjahu-Residenz in Jerusalem versammelt, um gegen den Premier zu protestieren. Zuerst stand vor allem das Gerichtsverfahren gegen Netanjahu im Vordergrund, doch nach und nach mischten sich auch immer mehr Protestierende gegen die strengen Corona-Regelungen unter die Demonstranten. Am Sonntagabend versammelten sich wieder viele Menschen auf den Straßen, um den Abtritt des langjährigen Regierungschefs zu feiern. Doch auch Gegner der neuen Regierung fanden sich zusammen. Noch sind die Gräben in der Gesellschaft also nicht geschlossen.
Bild: Naftali Bennett bei einer Pressekonferenz in der Knesset. Quelle: Yonatan Sindel/Flash90