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Israel leitet Investigation zur größten zivilen Katastrophe in der Geschichte des Landes ein

JERUSALEM, 21.06.2021 (DK) – Etwas über einen Monat liegt es nun zurück: Bei einem Pilgerfest am Berg Meron brach Massenpanik aus und kostete 45 Menschen das Leben. Das jüngste Opfer war neun Jahre alt. Im vergangenen Monat waren Versuche staatliche Investigationen anzustellen, immer wieder gescheitert. Im Rahmen des neuen Acht-Partein-Bündnisses wurde jetzt allerdings ein Entschluss gefasst. Ein Komitee mit einem Top-Juristen an der Spitze wird Untersuchungen anstellen, wie es zu der größten zivilen Katastrophe in der Geschichte des jungen Landes kommen konnte. 

Die Aufklärung der Tragödie ist der erste Punkt der Agenda der neuen Regierung. Verteidigungsminister Benny Gantz und Finanzminister Avigdor Lieberman hatten einen Antrag zur Bildung einer Untersuchungskommission gestellt, der einstimmig von der Regierung gebilligt wurde. „Dies ist eine sehr wichtige Entscheidung“, erklärte das offizielle Forum der Hinterbliebenen der Opfer von Meron. „Obwohl es unsere Lieben nicht zurückbringen wird, können wir zumindest sicherstellen, dass es zu keiner weiteren Katastrophe kommt.“ Premierminister Naftali Bennett betonte, dass sein Kabinett alles daran setzen würde, „den unnötigen Verlust von Leben zu verhindern“. 

Der Streit um die Aufarbeitung der Katastrophe 

Die Aufarbeitung der Katastrophe war bereits Ende vergangenen Monats in aller Munde. Zahlreiche Entwürfe zu einem Investigations-Kommitee waren ausgerechnet von Mitgliedern der ultraorthodoxen Parteien zurückgewiesen worden, obwohl es sich bei den Opfern ausschließlich um strengreligiöse Juden handelte. Nicht nur von linker sondern auch von rechter Seite ernteten die ultraorthodoxen Politiker scharfe Kritik. Zuerst lehnten sie eine unabhängige staatliche Untersuchung ab, da großes Misstrauen gegenüber der israelischen Justiz besteht. Diese sei der religiösen Bevölkerung gegenüber stark voreingenommen. Doch als auch ein Entwurf der religiös-zionistischen Partei unter der Leitung von Bezalel Smotrich keine Mehrheit fand, machten immer mehr Menschen ihrer Empörung Luft. Nicht zuletzt das Forum der Hinterbliebenen fand klare Worte für das Verhalten ihrer vermeintlichen Repräsentanten in der Knesset. In einem offenen Brief an Benjamin Netanjahu schrieb die Organisation: „Wir wollen mit lauter, klarer, unmissverständlicher Stimme, in der alle Familien gemeinsam sprechen, sagen, dass wir eine unabhängige staatliche Untersuchungskommission fordern.  Wir sind überzeugt, dass nur eine staatliche Untersuchungskommission eine umfassende Untersuchung durchführen wird.“

Eine Welt in Trümmern: Die ultraorthodoxe Führung in der Krise 

Die ausweichende Haltung der ultraorthodoxen Mitglieder in der Knesset ist nicht unbegründet. Seit Jahren kämpfen die Führer der Bevölkerungsminderheit um Unabhängigkeit vom Staat. Seitens der Regierung besteht kein Interesse, sich in die internen Streitigkeiten zwischen verschiedenen religiösen Lagern einzumischen. Diese Unabhängigkeit hat allerdings einen hohen Preis gefordert: Nach Meron waren bei einem Schawuot-Fest zwei weitere Menschen aufgrund einer einstürzenden Tribüne ums Leben gekommen. Unter ihnen befand sich ein 13-jähriger Junge. Dass mangelnde Sicherheitsvorkehrungen für die Massenveranstaltungen in der ultraorthodoxen Szene getroffen werden, ist seit Jahren bekannt. Die Politiker müssen nun also befürchten, dass die Verantwortung auf von ihnen geleitete Ministerien und Komitees zurückfällt. 

Im Licht der jüngsten Katastrophen wird auch in der ultraorthodoxen Welt immer mehr Kritik an führenden Rabbinern und Politikern geäußert. Moshe Glassner, ein ultraorthodoxer Journalist brachte das Problem bei einem seiner Artikel auf den Punkt: „Nach einer weiteren Katastrophe in der ultraorthodoxen Gemeinde“, schrieb Glassner, „ist es an der Zeit, dass all die verschiedenen religiösen Gemeinschaften die Botschaft begreifen: Sicherheitsvorschriften wie Gesundheitsvorschriften sind keine ‚zionistische Verschwörung gegen die Religion‘. Diese zurückgebliebene Denkweise hat uns in der Pandemie, bei Meron und wieder an Schawuot Leben gekostet.“ Dass sich die trauernden Familien so offen gegen ihre Führung stellen zeigt, dass auch andere Glassners Meinung teilen. 

Bild: Rettungssanitäter bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Meron-Katastrophe. Quelle: David Cohen/Flash90 

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