Helden ohne Umhang (13): Yoni Netanjahu – der tragische Retter von Entebbe
von Nadine Haim Gani
JERUSALEM, 23.07.2021 – Ohne den selbstlosen Einsatz von Yonatan Netanjahu wäre eine der kühnsten und erfolgreichsten Operationen in der Geschichte des Staates Israel nicht gelungen. Der berühmte Held der israelischen Militäroperation in Entebbe wurde am 4. Juli 1976 im Kampf gegen palästinensische und deutsche Terroristen getötet. Er hat über 100 Geiseln das Leben gerettet.
Die Netanjahus wandern in Israel ein
Der große Bruder des ehemaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wurde 1946 in New York geboren. Im Alter von zwei Jahren zog die zionistische Netanjahu-Familie in den neu gegründeten Staat Israel. Im Jerusalemer Stadtteil Talpiot wurden Yonis Brüder geboren: Benjamin und Ido. Schon als kleiner Junge stach Yoni durch seine Intelligenz und seine Führungsqualitäten unter den anderen Kindern heraus. Bald entwickelte sich der aktive Junge zum Jugendleiter bei den Pfadfindern. Er konnte wie kein anderes Kind in seinem Alter seine Schützlinge mit Geschichten begeistern. Seine Gedanken hielt er in blumig umschriebenen Briefen fest. Die drei Netanjahu-Buben hatten ihren festen Platz in Jerusalem gefunden, doch aufgrund der Arbeit ihres Vaters war die Familie immer wieder dazu gezwungen, zwischen den USA und Israel hin und her zu pendeln. Am meisten litt Yoni unter den Umzügen, sein Herz schlug für Jerusalem. Trotz des Wohlstandes in den USA vermisste er sein Zuhause.
Für Yonatan war klar, dass er nach seinem Schulabschluss in den USA nach Israel zurückkehren würde. Im Juli 1964 verpflichtete er sich für die israelische Armee. Er wurde Teil der Fallschirmspringer-Brigade. Trotz schwerster Armeeausbildung hörte man niemals Beschwerden von dem jungen Netanjahu. In diesen Tagen lernte Yoni seine Jugendliebe Tirza kennen.
Ausbildung zum Offizier
Im Januar 1966 beendete Yoni seine Offiziersausbildung mit Auszeichnung. Im Oktober war die Sicherheitslage in Israel katastrophal. Jeden Tag hatten die Bewohner des Heiligen Landes mit Übergriffen, Terroranschlägen, Morden und Terror an den Grenzübergängen zu kämpfen. Yoni, der als Offizier einige Soldaten unter sich hatte, musste den Tod mehrerer Kameraden miterleben. Der junge Offizier strebte zwar keine Armeekarriere an, doch drängten die Ereignisse im Land den jungen Mann, eine Kämpferlaufbahn einzuschlagen. Ihm war klar, dass in den schweren Zeiten des Existenzkampfes nicht poetische Gedichte das Überleben garantieren konnten, sondern nur geladene Waffen in den Händen der jungen Generation.
1967 verließ Yoni den Armeedienst, erklärte sich jedoch für den Reservedienst bereit, sollte Israel in ein Kriegsszenario geraten. Der junge Poet erhielt ein Stipendium an der berühmten Harvard-Universität. Bis er jedoch mit seiner Jugendliebe Israel verließ, um in den USA zu studieren, hielt er sich mit schweren handwerklichen Gelegenheitsjobs über Wasser. Im Mai 1967 erklärten die arabischen Nachbarn Israel den Krieg. Yoni wurde umgehend zum Reservedienst eingezogen. Einen Monat später, am 5. Juni 1967, brach der Sechs-Tage-Krieg über Israel herein. Nach Kämpfen im Süden des Landes wurde der Soldat mit seiner Truppe in den Norden verlegt und kämpfte auf den Golanhöhen. Als Yoni versuchte, einen seiner verletzten Freunde vom Schlachtfeld zu retten, wurde er von syrischem Feuer selbst verletzt. Er schaffte es, seinen Kameraden zurück zu israelischen Kräften zu transportieren, brach dann jedoch zusammen.
Kriegsverletzung und Hochzeit
Sein kleiner Bruder Benjamin „Bibi“ Netanjahu besuchte sein Idol im Krankenhaus in Zfat. Bibi trampte von Jerusalem bis in den hohen Norden, um seinen geliebten Bruder zu sehen. Die Familie wusste nicht, in welchem Zustand sich ihr verletzter Sohn befindet. Yoni hatte eine schwere Schussverletzung am linken Ellenbogen. In den Tagen der Genesung im Krankenhaus in Zfat beschloss Yoni, seine Jugendliebe Tirza zu heiraten. Drei Monate später verließ das junge Paar das Heilige Land, damit Yoni sein Studium an der Harvard-Universität in den USA beginnen konnte. In diesen Tagen begann Benjamin seinen Armeedienst in der hoch angesehenen Eliteeinheit „Sajeret Matkal“. Das Sonderkommando widmet sich der Terrorismusbekämpfung, Geiselbefreiungen, gezielten Tötungen und militärischen Kommando-Operationen.
Yoni Netanjahu genoss seine Studienzeit, doch die Sicherheitslage in Israel spitzte sich erneut zu. In Yonis Kämpferherz reifte der Gedanke, nach Israel zurückzukehren, um sein Land zu beschützen. Nach einem Jahr in Boston kam das Ehepaar wieder nach Jerusalem. Yoni begann ein Mathematik-und Philosophie-Studium an der hebräischen Universität.
Sondermissionen und Schicksalsschläge
Yonatan sah seinen kleinen Bruder bei verschiedenen Kampfeinsätzen in Beirut und verpflichtete sich ein weiteres Mal für die israelische Armee. In seinen Augen war es das Wichtigste in seinem Leben, für den Schutz des Landes einzustehen. Er wurde für das Sonderkommando „Sajeret Matkal“ rekrutiert, in dem auch sein Bruder Benjamin kämpfte. Nach einigen Monaten wurde auch der kleinste Netanjahu zum Armeedienst eingezogen. Ido diente wie seine beiden großen Brüder in der Elitekompanie Nummer eins.
Yoni arbeitete sich schnell zum Offizier der Einheit hoch. Seine strenge, jedoch feinfühlige Führungsqualität machte ihn zum Leitbild seiner Soldaten. Das Leben als Berufssoldat erfüllte den jungen Netanjahu, doch es ließ ihm kaum Zeit für seine Familie. Seine Ehefrau Tirza erlebte eine Fehlgeburt. Nach einigen Trauermonaten erwartete das junge Paar aufgeregt die Geburt ihrer ersten Tochter. Doch das Baby wurde zu früh geboren. Im sechsten Schwangerschaftsmonat erblickte ein kleines Mädchen das Licht der Welt und machte Yoni und Tirza für ein paar kurze Tage zu Vater und Mutter. Das Kind starb kurze Zeit später in den Armen seiner Eltern. Der Schicksalsschlag und die unbändige Liebe Yonis zur israelischen Armee ließen die junge Ehe am Ende zerbrechen.
Geheime Missionen und Militäreinsätze
Am 8. Mai 1972 landete ein belgisches Passagierflugzeug der „Sabena“ auf dem Flughafen in Lod. An Bord waren 90 Passagiere, die Crew und vier Terroristen. Benjamin Netanjahu war Kommandoführer und erhielt die Mission, das Flugzeug zu stürmen. Yoni wollte nicht, dass sich sein kleiner Bruder in Gefahr begibt, und meldete sich selbst für die Mission. Die Vorgesetzten der beiden Netanjahu-Brüder entschieden jedoch, dass nur Benjamin das Kommando führen soll. Yoni blieb zurück. Benjamin wurde beim Schusswechsel mit den Terroristen verletzt. Die Sabena-Operation war der einzige Militäreinsatz der Sajeret-Matkal-Einheit, an der Yoni nicht teilnahm.
Im Sommer 1972 führte Yonatan eine geheime Mission im Libanon zur Entführung syrischer Offiziere an. Sie sollten als Joker beim Austausch israelischer Kriegsgefangener dienen. Syrien hielt israelische Piloten und geländekundige Spurensucher über sehr lange Zeit in Gefangenschaft. Yoni trainierte die Spezialeinheit für die gefährliche Mission, die mit ihm und Uzi Dayan als Anführer einige Zeit später umgesetzt wurde. Das israelische Sonderkommando lauerte einem syrischen Konvoi, der von libanesischen Polizisten begleitet wurde, an der libanesischen Grenze auf. Doch ansässige Dorfbewohner warnten die Syrer und die drehten um. Yoni führte die Verfolgung des flüchtenden Konvois an. Nach einem kurzen Feuergefecht konnten die israelischen Soldaten wie geplant die syrischen Offiziere gefangen nehmen. Ein Teil der israelischen Soldaten kehrt stolz mit den Gefangenen und einem luxuriösen Chevrolet der Syrer nach Israel zurück. Doch Yoni war nicht dabei. Er blieb in einem der libanesischen Dörfer zurück, um ausfindig zu machen, wohin die zweite Luxuskarosse geflüchtet war, in der Hoffnung, weitere wichtige Geiseln nehmen zu können.
Der Plan, die syrischen Offiziere gegen die israelischen Geiseln auszutauschen, glückte. Die israelischen Kriegsgefangenen wurden freigelassen und kehrten nach Hause zurück.
Der schwarze September
Nach dem jordanischen Bürgerkrieg, der 1970 begann, und der grausamen Ermordung des jordanischen Premierministers Wasif Tell ein Jahr später, begann sich die Sicherheitslage in Israel erneut zuzuspitzen. Die Terrorgruppe „Schwarzer September“ ermordete zwei Jahre später elf Athleten der israelischen Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München.
Ein Sonderkommando unter der Leitung des Elitesoldaten Ehud Barak, der später als zehnter Premierminister Israels amtierte, wurde ins Leben gerufen. Plan war, den Soldatentrupp nach Beirut zu schicken, um die Hintermänner des Olympia-Massakers zu eliminieren. Yoni meldete sich freiwillig für diese Militäroperation. Er wollte persönlich mit dem Kopf des „Schwarzen Septembers“, Muhammad Abu Youssef, abrechnen. Im Mai 1973 eliminierte das Soldatenteam drei hochrangige Fatah-Kämpfer in deren Apartments in Beirut.
Blutiger Yom-Kippur-Krieg
Während des höchsten jüdischen Feiertags Yom Kippur brach am 6. Oktober 1973 über Israel ein Krieg herein. Ägypten und Syrien griffen überraschend Israel an. Es war der schwerste und blutigste Krieg seit dem Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1948. Israelische Streitkräfte schlugen trotz dramatischer Verluste zu Beginn der Offensive und der zahlenmäßig hohen Überlegenheit der arabischen Angreifer ihre Feinde zurück. Doch Israel zahlte einen sehr hohen Preis. Yoni musste schweren Herzens erkennen, dass die Existenz Israels auf dem Blut seiner Soldaten gebaut ist. Er wünschte sich nichts mehr als Frieden und Harmonie nach den endlosen Militäreinsätzen. Der Yom Kippur-Krieg hinterließ tiefe Wunden in seinem Kämpferherz.
Yoni wechselte zur Panzereinheit der israelischen Armee, die schwerste Verluste erlitten hatte. Er übernahm eine geschwächte Truppe an der Grenze Syriens und schaffte es binnen kürzester Zeit, aus ihr die kühnste Panzertruppe Israels zu machen. 1975 kehrte er als Oberstleutnant zur Eliteeinheit „Sajeret Matkal“ zurück.
Operation Entebbe
Am 27. Juni 1976 wurde ein Passagierflugzeug der Air France kurz nach dem Start in Athen entführt. An Bord befanden sich 258 Fluggäste, darunter 83 Israelis, und eine 12-köpfige Crew. Der Airbus, der sich in der Gewalt von zwei palästinensischen und zwei deutschen Terroristen befand, wurde zunächst nach Libyen umgeleitet. Dort wurde er betankt und landete schließlich auf dem Flughafen in Entebbe, Uganda. Der damalige ugandische Staatschef Idi Amin unterstützte die Terroraktion.
Am zweiten Tag der Flugzeugentführung erhielt Israel ein Ultimatum: Die Entführer forderten die Freilassung von 53 Terroristen aus israelischen, deutschen, kenianischen und Schweizer Gefängnissen. Ansonsten würden die Geiseln exekutiert.
Die Terroristen trennten die israelischen Geiseln von den anderen Flugzeugpassagieren. Zu den Israeliten kamen einzelne Juden aus anderen Ländern hinzu. Am vierten Tag ließen die Geiselnehmer alle Passagiere außer den jüdischen Geiseln frei.
Yoni schickte Soldaten seiner Einheit in dies Kommandozentrale der Regierung, um die Schritte einer Befreiungsaktion der jüdischen Geiseln zu planen. Für ihn stand außer Frage, dass er und seine Eliteeinheit das Militärkommando in Entebbe anführen würden. Der amtierende Ministerpräsident Itzhak Rabin und die Regierung entschieden, mit den Terroristen zu verhandeln, um so eine Verlängerung des Ultimatums zu erreichen. Die Informationen, die die israelischen Sicherheitskräfte von den freigelassenen Geiseln sammeln konnten, bereiteten den Weg für die Befreiungsaktion. Yoni arbeitete rund um die Uhr und suchte sich die Elitesoldaten, die die Militäroffensive begleiten sollten, einzeln aus. Alles wurde bis ins kleinste Detail durchdacht und geplant. Die auserwählten Soldaten trainierte Yoni persönlich. Der damalige Sicherheitsminister Shimon Perez lud Yoni zu einem letzten Gespräch unter vier Augen in sein Büro. Perez wollte von ihm persönlich hören, wie der Plan zur Rettung aussieht und wie hoch die Chancen eines Erfolges stehen. Nach dem Gespräch erteilte Perez die Erlaubnis zur Operation.
Yoni kommt ums Leben
3. Juli 1976: Vier Hercules-Flugzeuge, Phantomjets und Fahrzeuge der Marke Mercedes mit den Soldaten der Sajeret-Matkal Einheit unter der Führung von Yonatan Netanjahu landeten nachts auf dem Flughafen in Entebbe. Vor der Landung schüttelte Yoni jedem Einzelnen seiner 28 Elite-Soldaten die Hand, legte fürsorglich seine Hände auf die Schultern seiner Kameraden und sprach ihnen gut zu. Im Nachhinein kamen seine Kollegen zu dem Schluss, Yoni müsse gespürt haben, dass er diesen Einsatz nicht überleben würde. Er nutzte seine letzten Minuten, um sich von jedem einzelnen seiner Freunde zu verabschieden.
Das erste israelische Flugzeug identifizierte sich über Funk als eine Linienmaschine, die auf dem Flughafen tatsächlich wenig später erwartet wurde; so konnte es zunächst unerkannt landen und in einen entlegenen Teil des Flugfeldes rollen. Yoni und einige seiner Soldaten verließen den Flugzeugbauch mit den Mercedes-Fahrzeugen. Man wollte damit die Landung eines hohen ugandischen Offiziellen vortäuschen. Das israelische Kommando fuhr, eine Wagenkolonne Idi Amins imitierend, zum alten Terminal, wo sich die Geiseln aufhielten. Plötzlich stießen sie auf zwei ugandische Sicherheitskräfte. Die hoben ihre Gewehre. Yoni gab den Befehl, mit schallgedämpften Pistolen auf die Ugander zu schießen. Einer der israelischen Offiziere eröffnete das Feuer auf den Sicherheitsmann, doch dieser ging trotz Verletzung nicht zu Boden. Schnell feuerten auch die anderen Soldaten. Die Terroristen im Terminalgebäude hörten den Schusswechsel. Der Mercedes raste Richtung Flughafen-Kontrollturm, hinter dem sich die alte Terminalhalle mit den jüdischen Geiseln befand. Yoni rief seinen Soldaten zu, die Fahrzeuge zu verlassen und das Terminal zu stürmen. Er selbst führte das Kommando an. Schüsse fielen, Yoni sackte zusammen.
Yoni blieb auf dem Asphalt vor dem Terminalgebäude liegen. Er war in die Brust getroffen worden. Binnen Sekunden erschossen seine Soldaten alle sieben anwesenden Terroristen und befreiten die Geiseln. Yoni versuchte sich aufzurichten, doch vergeblich. Das Blut floss zu schnell aus seinem Körper. Seine Soldaten trugen ihren verletzten Anführer zu einem der Flugzeuge. Dort angekommen tat Yoni seinen letzten Atemzug.
Die israelischen Elitesoldaten verließen Entebbe nach nur 90 Minuten. 102 überwiegend israelische Geiseln, einschließlich der Air-France-Besatzung, wurden nach Israel ausgeflogen. Außer dem Kommandeur Yoni Netanjahu starben drei Geiseln und etwa 20 ugandische Soldaten.
„Um zwei Uhr morgens klingelte das Telefon“, erinnerte sich Benjamin Netanjahu. „Noch bevor ich das Telefon in die Hand nahm, sagte ich zu meiner Ehefrau, das ist mein Bruder Ido, der mir sagen wird, dass Yoni tot ist.“ Die Befürchtungen wurden Wirklichkeit. Die Leiche Yonis wurde nach Israel geflogen. Tausende nahmen Abschied von ihrem Helden.
Yoni Netanjahu ging in die Geschichte des jüdischen Volkes ein. Er wurde ein Vorbild für Heldentum und Tapferkeit unter gefährlichsten Umständen. Er gab sein Leben für den Glauben an sein Land und sein Volk. Sein Andenken wird niemals vergessen werden.
Titelbild: Einer der größten Helden Israels: Yonathan „Yoni“ Netanjahu (Reprofoto). Foto: Nati Shohat/Flash90