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Versöhnungstag Jom Kippur: Raus aus dem Hamsterrad des Alltags

JERUSALEM, 15.09.2021 (DK) – Immer mehr Menschen beklagen die fehlende Langsamkeit in der modernen Gesellschaft. Auch in Israels Großstädten kann der Alltag zu einer Hetzjagd von einem Termin zum nächsten werden. Doch ein Tag im Jahr zwingt das ganze Land zum Stillstand und gibt Zeit zur Ruhe und Besinnung. Am höchsten jüdischen Feiertag, dem Versöhnungsfest Jom Kippur, stellen selbst Radio und Fernsehen für einen Tag den Betrieb ein. Der Feiertag beginnt am Abend des heutigen Mittwoch bei Sonnenuntergang.

In weißer Kleidung sieht man dann die Menschen auf den Autobahnen spazieren, denn die Straßen sind ebenfalls gesperrt. Weiß tragen die Juden als Zeichen der Reinheit. Allen weltlichen Bedürfnissen schwören Gläubige an diesem Tag ab: Kein Essen, kein Trinken, kein Geschlechtsverkehr und nur Plastikschuhe. Zudem wird der gesamte Tag in der Synagoge verbracht, wo kollektiv um Vergebung gebeten wird. 

Bild: Säkulare Juden gehen auf den leeren Schnellstraßen am Jom Kippur gerne Fahrradfahren. Quelle: Yonatan Sindel/Flash90

Gemeinsame Reue für die kollektive Schuld 

Am Jom Kippur soll nichts zwischen Mensch und Mitmensch, sowie zwischen Mensch und Gott stehen. Listen mit allen erdenklichen Sünden werden von vorne verlesen und gemeinschaftlich wird Buße getan. Das Sündenverständnis unterscheidet sich damit drastisch von dem eines westlichen Individualismus. Sünden werden zwar vom Individuum begangen, aber oftmals von der Gemeinschaft zugelassen. Umkehr und Reue sind allerdings nicht eine Angelegenheit von 24-Stunden. Die Beter in den Synagogen haben sich seit zehn Tagen auf den Fastentag mit Gebet und Einkehr vorbereitet. 

Traditionell trägt Gott an diesem Tag sein Urteil über die Menschen im Buch des Lebens ein. Um an das Gericht zu erinnern wird wie auch an Rosh HaShana, am Ende des Feiertages dreimal in die Schofar geblasen. Nach dem Ertönen der Posaunen bieten viele Bethäuser einen kleinen Snack zum Fastenbrechen an. 

Bild: Vor Jom Kippur nehmen orthodoxe Juden an einer sogenannten Kapara-Zeremonie teil, in der die Sünden auf ein Huhn übertragen werden sollen. Quelle: Arie Leib Abrams/Flash90

Sicherheitskräfte in Jerusalem in Alarmbereitschaft 

Mit dem Sonnenuntergang am Mittwochabend beginnt das Versöhnungsfest. Im Laufe der darauffolgenden 25 Stunden werden Tausende Beter an der Klagemauer erwartet. Deshalb bleiben Israels Sicherheitskräfte trotz des Feiertages auf Alarmbereitschaft. Die Tragödie des Kriegsbeginns am Jom Kippur des Jahres 1973 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingebrannt. Es werden unter anderem deswegen auch die Grenzübergänge nach Gaza und in das sogenannte Westjordanland gesperrt. 

Bild: Männer beten an der Jerusalemer Klagemauer am Tag vor Jom Kippur um Vergebung. Quelle: Olivier Fitoussi/Flash90

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