zurück zu Aktuelles

Helden ohne Umhang (21): Tzvika Levy – Der liebende Vater von Tausenden „Einsamen Soldaten“

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 29.10.2021 – Er wurde zwar „Vater der einsamen Soldaten“ genannt, aber er war sowohl ihre Mutter als auch ihr Freund. Tzvika Levy machte es sich zum Lebensinhalt, jedem einsamen Soldaten ein warmes Zuhause und ein offenes Ohr zu schenken. Er war Pflege- und Ziehvater von Tausenden Kämpfern in der israelischen Armee.

Einsame Soldaten in der IDF

Die israelische Armee, kurz IDF (Israel Defense Forces) genannt, besteht aus Tausenden von einheimischen jungen Israelis, die nach erfolgreichem Schulabschluss ihren Armeedienst absolvieren. Darüber hinaus dienen in der israelischen Armee mehr als 5.700 junge Männer und Frauen als sogenannte „Chajalim Bodedim“, die „Einsamen Soldaten“.

Die Hälfte dieser Soldaten kommt aus 40 verschiedenen Ländern. Sie haben ihre Familie und alles, was sie kennen und lieben, zurückgelassen, um in ihrer Wahlheimat in der israelischen Armee zu dienen. Die andere Hälfte der israelischen Einzelkämpfer stammt aus verarmten oder zerrütteten israelischen Familien. Darüber hinaus gibt es auch junge Soldaten aus ultraorthodoxen Gemeinden, die von ihren Familien und der Gemeinschaft verstoßen wurden, weil sie sich für den Dienst in der IDF verpflichtet haben. Die meisten dienen in angesehenen Kampfeinheiten und sind hoch motiviert, ihr heiliges Land zu schützen.

Der Militärdienst in Israel ist eine sehr intensive und herausfordernde Zeit für jeden jungen Menschen. Diesen Lebensabschnitt ohne Unterstützung der Familie oder Freunden zu durchleben ist umso schwieriger. Ein einsamer Soldat kämpft mit mentalen, emotionalen und körperlichen Herausforderungen. Die jungen Männer und Frauen im Alter von 18 bis 22 Jahren sind dabei oft auf sich selbst angewiesen.

Vom Kampf gegen den Feind zum Kämpfer der Herzen

Tzvika Levy, genannt Zvi, wurde am 13. Januar 1948 im Kibbuz Gvat geboren. Sein Vater Benjamin stammte aus dem Kaukasus und seine Mutter Rifka aus Polen. Tzvika wurde nach seinem Großvater Zvi Cohen benannt, dem Vater seiner Mutter Rifka. Opa Zvi wurde 1942 mit seiner Frau in Auschwitz ermordet. Tzvikas Familie war Mitgründer des nahe gelegenen Kibbuz Yifat, wo Zvi später mit Ehefrau und Kindern bis zu seinem Tod lebte.

Zvi Levy legt am 19. April 2007 eine Blume auf das Grab eines israelischen Soldaten auf dem Herzl-Militärfriedhof in Jerusalem. Foto: Nati Shohat / Flash90

Nach seiner Einberufung in die israelische Armee im November 1966 meldete sich der junge Soldat freiwillig zur Armee und wurde dem 202. Bataillon zugeteilt. Wenig später brach der Sechstage-Krieg aus. Der junge Soldat wurde Teil blutiger Gefechte und sein Bataillon erlitt schwere Verluste. Zvi absolvierte eine Kampfausbildung in der Fallschirmjägerbrigade, einen Infanterie-Kurs für Klassenkommandanten und nahm am israelischen Ermüdungskrieg gegen Ägypten von 1968 bis 1970 teil.

Bald darauf lernte Zvi im Kibbuz Yifat seine große Liebe Naomi kennen. Gemeinsam setzten sich die Beiden für freiwillige soziale Projekte und Aktivitäten ein. Sie stachen überall durch ihre unglaubliche Nächstenliebe und ihrem selbstlosen Einsatz heraus. Zvis freiwillige Aktivitäten für die ortsansässigen Soldaten begannen bereits in den frühen 1970er-Jahren. Er wurde Zeuge einer traurigen Szene, in der Soldaten am Ende ihres Diensttages Essensreste sammelten, um ihrer Familie Nahrungsmittel zu bringen. Sein Herz zerbrach. Er traf die Entscheidung, Lebensmittelpakete für jene Soldaten zu organisieren, die sich für den Schutz des Staates einsetzen und am Ende des Tages mittellos waren.

Glückliches Familienleben jäh zerstört

Zvi und Naomi heirateten im Jahr 1974 und wurden stolze Eltern von fünf Kindern. Trotz intensivem Familienleben und Alltagsroutine scheute Zvi den Reservedienst in der israelischen Armee nicht und diente weiterhin als Kompaniefeldwebel im 697. Bataillon der Fallschirmjägerbrigade.

Einige Zeit später wurde die Familie von einem traurigen Schicksalsschlag heimgesucht. Die kleine Tochter von Zvi und Naomi starb im Januar 1982 im zarten Alter von nur acht Monaten den plötzlichen Kindstod. Tzvika befand sich zu dem Zeitpunkt im Reservedienst. Der Verlust und der Schmerz über den Tod des kleinen Mädchens waren sehr traumatisch für die junge Familie. Doch sollte Tzvika in den kommenden Jahren Trost und Seelenbalsam bei seinen einsamen Soldaten finden.

Fünf Monate später, im Juni 1982, brach über Israel der erste Libanonkrieg herein. Zvi wurde zu den Kämpfen im Norden eingezogen. Während blutiger Gefechte stieg Zvi zum Rang eines Offiziers auf, ohne jedoch einen militärischen Offizierskurs belegt zu haben. Die militärische Auszeichnung erhielt Zvi für seinen unglaublichen Mut und Kampfeinsatz unter feindlichem Beschuss. Nach dem Tod seiner kleinen Tochter Ofri nahm Zvi im Jahr 1983 auf Raten und Drängen des IDF-Stabschefs, Rafael Eitan, die Aufgabe an, sich jungen Männern aus damals notleidenden Entwicklungsstädten, die von ihrem Armeedienst befreit wurden, anzunehmen und ihnen zu helfen, sich auf ihren Armeedienst vorzubereiten.

Zvi arbeitete neben seiner Aufgabe innerhalb der israelischen Armee auch als Landwirt auf den Plantagen des Kibbuz. Er baute zusammen mit anderen Kibbuzmitgliedern Feldfrüchte an. Doch seine militärische Freiwilligenarbeit erfüllte er mit viel Liebe und Hingabe. Es war für den jungen Familienvater ein Ausgleich zur harten Feldarbeit. 

Im Dezember 1994 wurde Tzvika zum Leiter des militärischen Hilfsprojekts für „Einsame Soldaten“ innerhalb der israelischen Armee ernannt. Später wurde er aufgrund seiner Rolle als Verantwortlicher für die Einzelkämpfer zum Oberstleutnant befördert. 2016 wurde ihm im Rahmen einer feierlichen Zeremonie der Rang eines Oberst verliehen.

Zum Vater der einsamen Soldaten erkoren

Zvi war in ganz Israel für seine langjährige, aufopfernde Arbeit und Unterstützung von Tausenden Soldaten ohne Familien und finanzielle Mittel bekannt. Er kümmerte sich jährlich um fast 3.500 Einzelsoldaten. Er wurde von einem ganzen Volk liebevoll „Vater der einsamen Soldaten“ genannt. Zvi war derjenige, der sich wirklich um alles kümmerte. Er legte mit seinem Auto mehr als 6500 Kilometer im Monat zurück. Zvi fuhr von Eilat bis Haifa und zurück, um sich um einen seiner alleinstehenden Soldaten zu kümmern.

Israel-Preisträger Tzvika Levy mit seinem Sohn bei der Veranstaltung „Wheel of Hope“ am 1. April 2017. Foto: Anat Hermony / Flash90

Er arbeitete unaufhörlich, um eine Waschmaschine, ein Bett, einen Herd oder eine Matratze dorthin zu bringen, wo sie gerade gebraucht wurden. Tzvika umsorgte seine Schützlinge bis ins letzte Detail, um sicherzugehen, dass es ihnen an nichts fehlte. Hörte Tzvika von einem Einzelkämpfer, der kein Zuhause oder keinen Ort hatte, an dem er schlafen konnte, suchte Tzvika so lange, bis er eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden hatte. Wenn nötig, setzte sich Zvi selbst ins Auto, um zu garantieren, dass der Einzelkämpfer ein warmes Plätzchen für die Nacht fand.

Am nächsten Tag erkundigte er sich persönlich beim Militär und plante mit den Kommandanten gemeinsam, wie es mit dem Soldaten weitergehe. Tzvika konnte nachts nicht schlafen, wenn es ein Problem mit einem seiner Schützlinge gab. Die Gedanken und die Sorgen um sie beschäftigten ihn die ganze Zeit. Ab 5 Uhr früh war er bereits auf den Beinen. 

Familienzusammenführung im Kibbuz Yifat

Vor einigen Jahren wurde einer seiner Zöglinge in dessen Armeestützpunkt inhaftiert. Normalerweise dient die kurzzeitige Inhaftierung eines Soldaten als Strafe für Befehlsverweigerung innerhalb des Stützpunktes. Doch das Urteil hätte zu keinem schlechteren Zeitpunkt gefällt werden können. Die Mutter des Einzelkämpfers kam nach langen Monaten zu Besuch aus Frankreich. Tzvika wurde fast verrückt vor Sorge. Er trat persönlich mit dem Kommandanten des Stützpunktes in Kontakt. Sie kamen gemeinsam zu dem Entschluss, dass Tzvika den jungen Soldaten abholt und ihn mit seiner Mutter, die er so lange Zeit nicht gesehen hatte, bei sich persönlich zu Hause aufnimmt. Das Militär hob die Inhaftierung des jungen Soldaten auf. In Windeseile wurde ein Zimmer für Mutter und Sohn hergerichtet und die Familien feierten gemeinsam den Schabbat. Der Soldat konnte so das ganze Wochenende mit seiner Mutter verbringen und neue Kräfte für seinen schwierigen Dienst tanken.

Ein liebendes Vaterherz 

Das war Tzvika. Er hatte ein großes, liebendes Herz mit Platz für jeden einzelnen seiner uniformierten Schützlinge. Sein Umfeld sagte stets: „Tzvika hat keinen Kopf! Er besteht nur aus einem großen Herz!“ Tzvika zog auch seine Familie beim Umsorgen seiner Soldaten hinzu. So wohnten abwechselnd immer zwei einsame Soldaten im Haus der Familie im Kibbuz Yifat. Tzvika und seine Ehefrau waren dadurch nicht nur Eltern von drei Töchtern und einem Sohn, sondern öffneten ihre Türen stets für zwei weitere Pflegekinder. Manchmal waren es sogar drei. Die Familie machte zwischen den religiösen und kulturellen Hintergründen der Einzelsoldaten keinen Unterschied. So befanden sich zeitweise in dem kleinen Kibbuzhäuschen Soldaten aus den USA, aus Ungarn und sogar Beduinensoldaten. Sie alle fanden bei Familie Levy offene Arme und Zuneigung.

Viele der einsamen Soldaten blieben auch nach ihrer Entlassung aus der Armee mit Tzvika in Kontakt. Er sorgte nicht nur dafür, dass sie nach ihrem Militärdienst Arbeit fanden, sondern finanzierte durch große Spendensammlungen auch ihre Studien und manchmal sogar die Hochzeit. Tzvika hat seine Soldaten-Kinder nie verlassen. Nicht einmal für einen Augenblick.

Seine Arbeit und sein Lebenswerk waren einnehmend. Oft hatte er nicht viel Zeit für seine eigene Familie. Doch bei all seiner Arbeit fand Zvi auch die Zeit, sich hinterbliebenen Familien anzunehmen, die ihren Sohn oder Tochter in der Armee verloren hatten. Er arbeitete freiwillig in einer Kibbuzbewegung, die sich trauernden Familien widmet.

Bei Tzvika wird ALS diagnostiziert

Im Jahr 2016 erkrankte er an Muskeldystrophie, ALS. Die tödliche Erkrankung des motorischen Nervensystems führt bei dem Patienten zu fortschreitender Muskellähmung. Folglich haben die erkrankten Schwierigkeiten zu schlucken, zu sprechen und bei fortgeschrittener Krankheit auch Probleme zu atmen. In den meisten Fällen führt Muskeldystrophie innerhalb weniger Jahre zum Tod.

Zvi ließ sich auch von der ALS-Krankheit nicht aufhalten. Unter großen Schmerzen besuchte er weiterhin seine Soldaten und die hinterbliebenen Armee-Familien. Zvi war von Natur aus ein glücklicher Mensch, und so gelang es ihm auch in den schwierigsten Momenten, seine Lebensfreude und seinen Optimismus zu bewahren. Beschwerden über seine gesundheitliche Situation hörte man von dem Soldaten-Papa nie.

Doch die schwere Krankheit schritt unaufhörlich fort. Zvi begann, seine Arbeit über den Computer und über sein Smartphone fortzuführen. Er kümmerte sich weiter um seine Soldaten und hatte zu keinem Zeitpunkt Mitleid mit sich selbst.

Freunde und Familie erweisen ihren letzten Respekt. Die Beerdigung von Tzvika Levy im Kibbuz Yifat im Norden Israels – 31. Dezember 2018. Foto: Anat Hermony / Flash90

Sein Lebenswerk hörte nicht auf zu pulsieren. In den schweren letzten Jahren gaben seine einsamen Soldaten ihm das größte Geschenk zurück: Liebe! Von den ranghöchsten Offizieren bis hin zu dem „kleinsten“ einsamen Soldaten, den Eltern von Einzelkämpfern und vielen Menschen, denen er in den vergangenen Jahrzehnten begegnet war: Alle kamen in Scharen, um ihren kranken Helden zu besuchen und ihm beizustehen. Sie wichen in den dunkelsten Stunden nicht von seiner Seite und versuchten, dem kranken Mann einen Bruchteil des Segens zukommen zu lassen, den er ihnen geschenkt hatte. In den letzten Monaten seines Lebens ergriff die Krankheit dann völlig Besitz von dem geschwächten Körper. Zvi konnte mit seiner Außenwelt nicht mehr kommunizieren.

Tzvika wird mit dem Israel-Preis geehrt

Bei den Feierlichkeiten zum 69. Unabhängigkeitstag des jüdischen Staates wurde Tzvika Levy mit dem Israelpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Die Menge im Saal stand auf und applaudierte dem kranken Levy, der mit dem Rollstuhl auf die Bühne gefahren wurde. Sein Lebenswerk und Beitrag für ein ganzes Volk wurde an diesem Tag feierlich gewürdigt.

Naomi Levy, seine Ehefrau, erinnert sich, dass Zvi ihr immer wieder versicherte, mit 70 Jahren in Rente zu gehen. Die beiden planten eine lange Reise ins Ausland. Aber die Pläne des Paares wurden zerstört. Am 29. Dezember 2018 verstarb Zvi im Alter von 70 Jahren im Kreise seiner Liebsten. Er hinterließ seine Frau Naomi, vier Kinder und fünf Enkelkinder. Er wurde im Kibbuz Yifat beigesetzt. Tausende Soldaten, Armeekommandeure, Politiker, Freunde und Familien erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre. Er wird für immer unvergessen sein. Die bedingungslose und aufopfernde Nächstenliebe, die er seinen Soldaten über Jahrzehnte schenkte, hat eine ganze Generation geprägt. Die Früchte seines Dienstes bleiben auch nach seiner Heimkehr für ewig erhalten.

Ich habe sie immer geliebt. Die Soldaten und Soldatinnen des israelischen Volkes. Sie sind der Inbegriff des Zionismus!” – Tzvika Levy, 13.09.2017

Zvi ist unser Held – ein Zeugnis für Aufopferung und Nächstenliebe.

Titelbild: Tzvika Levy – bei einer Militärzeremonie. Foto: Tzvika Levy’s Lone Soldiers / Facebook

Weitere News aus dem Heiligen Land