Helden ohne Umhang (24) Teil 2 – Eli Cohen, der Mann Israels in Damaskus
von Nadine Haim Gani
JERUSALEM, 03.12.2021 – In Damaskus enthüllte Israels Meisterspion Eli Cohen die dramatischen Pläne der Syrer, das junge Israel austrocknen zu lassen. Israel stand vor einer neuen Art der Bedrohung. Geplant war, die Nebenflüsse des Jordans, welche sich auf syrischem Gebiet befinden, umzuleiten und so die Wasserzufuhr zu stoppen. Das würde die Hauptwasserversorgung Israels sabotieren. Der Plan beinhaltete einen Wasserkanal entlang der Golanhöhen, der die Gewässer des Banjas, des Hasbani-Flusses und Flutwasser auffangen und in den Jarmuk-Fluss auf syrischem Gebiet umleiten sollte.
Zum Auftragnehmer des Projektes zur Austrocknung Israels wurde Muhammad Bin-Laden, der Vater von Osama Bin-Laden, bestimmt. Osama war zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt.
Eli Cohen, weiterhin als syrischer Geschäftsmann unterwegs, traf sich mit dem Bau-Tycoon aus Saudi Arabien. Erfreut von dem nahenden Projekt, weihte Muhammad Bin-Laden den Geheimagenten in die Pläne der syrischen Regierung ein. Cohen sammelte die Informationen und gabt sie weiter. Israel wusste deshalb genau, wo sich die Traktoren und Arbeitsgeräte zur Umleitung der israelischen Wasserversorgung befanden.
Die Botschaften Cohens gingen ein weiteres Mal an seinen Bruder Morice, der sie für den Mossad entschlüsselte. Es waren die genauen Koordinaten von geheimen, unterirdischen Bunkern, in denen die Syrer ihre Maschinen und Baugeräte versteckten. Israel hätte die unterirdischen Posten allein über Luftaufnahmen niemals orten können. Die Syrer verfielen in eine Schockstarre, als Israel zielgenau ihre Verstecke ausbombte.
Eli Cohen war zu diesem Zeitpunkt Israels wichtigstes Werkzeug, um die Sicherheit des jungen Staates zu garantieren. Die Auftraggeber Elis erzählten, dass der Spion wie ein Telefon war: Man wandte sich an ihn mit einer Frage und bekam die entsprechende Antwort noch am gleichen Tag.
Die Funknachrichten von Cohen häuften sich. Doch die häufigen Morse-Nachrichten gefährdeten ihn zunehmend. Zu Beginn der geheimen Mission in Syrien hatte er die Anweisung bekommen, nur einmal am Tag, in den frühen Morgenstunden, seine Botschaften zu funken. Doch Eli morste viel mehr, sehr zur Freude seiner Auftraggeber.
Nachrichten von Eli im israelischen Radio
1964 wurde eine von Elis politischen Botschaften im israelischen Radio veröffentlicht. Im Palast in Damaskus fand eine Konferenz der syrischen Regierung statt. Erst in den frühen Morgenstunden verließen die Politiker das Gebäude. Nachdem die neue Führung in Damaskus gewählt und die Stimmen ausgezählt wurden, war geplant, die Namen der gewählten Politiker um 7:15 Uhr bekannt zu gegeben. Die sensiblen Daten über die neue syrische Führung wurden jedoch bereits um 6:15 Uhr im israelischen Radio veröffentlicht, sehr zur Überraschung der Syrer. Ihnen war von diesem Zeitpunkt an klar, dass sich in ihren Reihen ein Spion aufhält.
Ende 1964 wurde in den syrischen Tageszeitungen bekannt gegeben, dass der syrische Geheimdienst zwei Agenten des amerikanischen CIA gefangen genommen habe: Den Offizier der syrischen Marine Moiin Al-Hakimi und den amerikanisch-syrischen Zivilisten Farchan Al-Atasi. Farchan war Eli Cohens Nachbar. Er sollte Beweise für sowjetische Raketen in Syrien finden. Der syrische Geheimdienst observierte die beiden CIA-Agenten über Monate und enthüllte auch ihre enge Verbindung zu Cohen. Die Entscheidung wurde getroffen, nun auch Eli Cohen, alias Kamel Amin Sabet, zu observieren.
Im November 1964 flog Eli über Europa zurück nach Israel. Er wollte bei der Geburt seines Sohnes Shai anwesend sein. Bei einem Zwischenstopp in Europa erzählte Cohen seinen Spionage-Kollegen, dass dies seine letzte Reise sein werde. Eli war ein anderer Mensch geworden, gereizt und aggressiv. Er hob schnell seine Stimme und stritt viel mit seiner Familie. Charakterzüge, die dem ruhigen und zuvorkommenden Mann früher fremd waren. Eli befand sich in einer seelischen Krise. Todesängste suchten den Agenten heim.
Auf einer Selbstmordmission
Sein Bruder Morice entschloss sich, die Familie in Elis Spionagearbeit einzuweihen. Seine engsten Verwandten versuchten Eli von der Rückreise nach Damaskus abzuhalten. Eli war verzweifelt und weihte seine Angehörigen ein, „dass meine beiden Hände bereits über dem Feuer brennen.“
Bei Treffen mit dem damaligen Generalstabschef Itzhak Rabin und hochrangigen Entscheidungsträgern in Israel wurde Cohens Arbeit gewürdigt. Man erklärte dem gebrochenen Agenten die Wichtigkeit seiner Position und verdeutlichte ihm die Tragweite seines Dienstes in Syrien.
Cohen fuhr nach Hause und bat seine geliebte Ehefrau, sich um die drei Kinder Sofie, Irit und Shai zu kümmern. Trotz der Empfehlungen seiner engsten Auftraggeber, Eli nicht zurück nach Damaskus zu senden, entschloss sich Yoske Yariv, Elis Vorgesetzter, den Meisterspion ein weiteres Mal in das feindliche Syrien zu beordern. Eli wurde auf eine Selbstmordmission geschickt.
Als man dem Grafologen des Mossad, Doktor Arie Naftali, die letzten Briefe von Eli Cohen vorlegte, brach er in Tränen aus. Er empfahl, Eli sofort aus Damaskus abzurufen. Die Notlage, in der sich der Spion befand, war seiner Handschrift deutlich zu entnehmen. Die Todesangst schrie förmlich aus den Papierblättern. Doch stieß Doktor Naftali beim israelischen Geheimdienst auf taube Ohren. Am 26. November 1964 erreichte Eli ein fünftes Mal Damaskus. Seine Auftraggeber waren sich sicher, dass Elis Deckmantel nicht beschädigt sei. Dennoch erteilen sie ihm den Befehl, sein Morsegerät in den ersten zwei Wochen nicht zu benutzen.
Hochrangiger Nazi in Damaskus
Ein unvorhergesehenes Ereignis führte dazu, dass Eli den Befehl missachtete. Der CIA-Agent Maged Sheikh Al-Ard, der Cohen bei seiner ersten Einreise in Syrien geholfen hatte, überbrachte dem israelischen Agenten eine unglaubliche Nachricht: Franz Rademacher, die rechte Hand des Nazi-Kriegsverbrechers Eichmann, versteckte sich in Damaskus unter dem Namen Tome Rossello. Rademacher, der sich in Deutschland vor Gericht für seine Kriegsverbrechen verantworten sollte, hatte es geschafft, mit gefälschten Papieren aus Deutschland zu flüchten und ein Versteck in Syrien zu finden. Von dort aus arbeitete er für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Über Al-Ard traf Eli auf Rademacher. Cohen wusste jedoch nicht, dass Rademacher ein Doppelagent ist.
Rademacher vertrat auch die Interessen des syrischen Geheimdienstes in der Hoffnung, sich auf diese Weise Asyl zu verschaffen. Eli funkte einen Bericht über das Treffen mit dem ehemaligen Nazi an seine Vorgesetzten in Tel Aviv. Von dort kam der ausdrückliche Befehl: Abstand halten von Rademacher! Doch dafür war es bereits zu spät. Franz Rademacher meldete dem syrischen Geheimdienst das Treffen mit dem angeblich syrischen Geschäftsmann aus Argentinien.
Auf dem Radar des syrischen Geheimdienstes
Der syrische Geheimdienst observierte Cohens Apartment. Sein Telefon wurde abgehört.
Der Chef des Nachrichtendienstes der syrischen Armee berichtete Amin Al-Hafiz, dem syrischen Präsidenten, dass Hunderte verschlüsselte Funksignale in den vergangenen Jahren von einer unbekannten Quelle gesendet wurden. Al-Hafiz kontaktierte umgehend einen russischen Experten vor Ort und bat um einen Detektor, der die Funkwellen orten sollte. Sein Wunsch wurde erfüllt. Syrien erhielt fortschrittliche Technologien. Unter der Anleitung von sowjetischen Experten patrouillierte ein Caravan in den Straßen von Damaskus und versuchte, den geheimen Sender zu orten.
Der Mossad-Agent David Agmon, bekannt unter dem Namen Abu Al-Amin, bekam während einer Feierlichkeit Wind von dem sowjetischen Caravan in den Straßen von Damaskus. Für Amgon war dies ein Warnsignal. Er bat dringend um den Abzug aller israelischen Spione in der Umgebung und bereitete eine geheime Fluchtroute vor. Agmon wandte sich direkt an Eli. Cohen war jedoch nicht bereit, Syrien zu verlassen, ohne seine Mission zu vollenden. Er blieb in Damaskus.
Funkverkehrsverbot der Syrer
Der syrische Geheimdienst wusste von seinen Observationen, dass Eli bis spät in die Nacht unterwegs war. Der Strom wurde abgestellt und die Armee sprach ein Funkverkehrsverbot aus. Alle Funksignalquellen schwiegen an diesem frühen Morgen – mit Ausnahme des batteriebetriebenen Senders von Cohen. Als die syrischen Streitkräfte in sein Haus eindrangen, wurde Eli Cohen dabei erwischt, wie er Funksignale nach Israel sendete.
Syrien sandte eine Funkbotschaft direkt an den israelischen Premierminister: „An Levy Eshkol und den Chef der Agenten, Kamel und seine Freunde sind seit drei Jahren unsere Gäste. Wir können Euch beruhigen bezüglich ihres kommenden Schicksals. Unterzeichnet: der arabisch-syrische Geheimdienst“.
Eli Cohen vor Gericht
Am Tag darauf waren die Straßen Damaskus voller Armee- und Polizeifahrzeuge. Das Gerücht, man habe einen israelischen Spion gefasst, verbreitete sich schnell. Unter den muslimischen Bürgern herrschte Euphorie. Die jüdischen Bewohner der Stadt hatten dagegen große Angst. Viele von ihnen werden verhaftet und verhört.
Am 24. Januar 1965 gab Syrien offiziell Cohens Verhaftung bekannt. Eli wurde vier Wochen lang grausam gefoltert. Am 22. Februar 1965 begann das Gerichtsverfahren im Gebäude des syrischen Generalstabs, hinter verschlossenen Türen. Cohen kannte jeden Einzelnen der Richter, die vor ihm saßen. Sie hatten ausgiebig in Elis Wohnung gefeiert, sie tranken und aßen gemeinsam in Restaurants und bei Festlichkeiten. Es herrschte ein unausgesprochener Pakt zwischen den Richtern und Eli: Sie würden sein Leben verschonen, wenn er die intimen Details ihrer Treffen geheim hält.
Einer der obersten Richter war Zalach Dali. Er pflegte Cohen mit seiner Geliebten, der italienischen Stewardess Georgette, zu besuchen. Bei einer Kostümparty wurde einer dieser Besuche dokumentiert. Dali wurde nun klar, dass Cohen die Italienerin benutzte, um Dokumente und Dateien an seine Vorgesetzten in Europa zu schmuggeln.
In Israel verfolgte Elis Familie die Gerichtsverhandlung über das syrische Fernsehen. Tag für Tag, bis spät in die Nacht hinein, saß die ganze Familie vor dem Bildschirm. Elis Augen wirkten leer und hoffnungslos. Der Familie wurde klar, dass sie Eli nicht mehr lebend in die Arme schließen werden. Doch die Besuche des Mossad in der kleinen Wohnung in Bat Yam und die Versprechungen, Eli würde mit dem Leben davonkommen, schenkten Elis Angehörigen einen kleinen Hoffnungsschimmer. Israel versuchet Rechtsanwälte zur Unterstützung Elis nach Syrien zu senden. Die Regierung unterbreitete den Syrern einen Gefangenen- und Geiselaustausch und bot fünf Millionen Dollar für den israelischen Gefangenen, jedoch ohne Erfolg.
Geheimnisvolles Telegramm
Zur gleichen Zeit wurden zwei weitere Spezialagenten in Ägypten gefangen genommen. Einer der beiden war Wolfgang Lutz, der unter dem Deckmantel eines deutschen Geschäftsmannes für den Mossad agierte. Auch Lutz war durch seine Funksignale geortet worden. Über die Gefangennahme der dritten Person hielt sich der Mossad bedeckt. Drei enttarnte Mossad-Spione binnen eines Monats warfen Fragen auf.
Während Elis Verhandlung wurde ein Telegramm als Beweismittel vorgelegt. Eli sendete jedoch nur Funkzeichen, die von den Antennen des Mossad aufgenommen und von Agenten der 220-Einheit übersetzt wurden. Nach erfolgreicher Entzifferung der codierten Botschaft wurde die Nachricht als Telegramm an den Mossad weitergeleitet. Wie das Telegramm von Eli aus Tel Aviv in die Hände des syrischen Geheimdienstes kommen konnte, ist bis heute unbekannt. Doch besteht die Möglichkeit, dass es zum damaligen Zeitpunkt einen Maulwurf in den Reihen des israelischen Geheimdienstes gab.
Wolfgang Lutz war sich sicher, dass eine Person von „innen“ seine Festnahme ermöglicht hatte. Ob bei der Verhaftung Elis ein Doppelagent im Spiel war, Eli zu oft nach Israel funkte oder gar seine Kontakte zu CIA-Agenten den Meisterspion zu Fall brachten, weiß man bis heute nicht.
Am 9. Mai 1965 wurde Eli Cohen zum Tode verurteilt. Weltweit wandten sich bekannte Persönlichkeiten an den syrischen Präsidenten Amin Al-Hafiz mit der Bitte, den Israeli zu begnadigen. Unter ihnen waren die Königin von England, der Papst und ein Kardinal aus Argentinien.
Hinrichtung in Damaskus
Etwa fünf Monate nach seiner Gefangennahme, in den frühen Morgenstunden des 18. Mai 1965, zog ein kleiner Militärkonvoi durch die Straßen von Damaskus. Nach einer kurzen Fahrt stoppte der Konvoi an der Polizeistation vor dem al-Marjah-Platz im Herzen der Stadt. Viele Beamte sowie Journalisten und Fotografen, die die Erlaubnis erhalten hatten, die letzten Stunden des ranghöchsten israelischen Spions, der jemals in Syrien gefangen genommen wurde, zu dokumentieren, versammelten sich um den Marktplatz.
Rabbi Nissim Endibo-Cohen, Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde in Damaskus, besuchte Eli im Gefängnis. Er betete mit Eli die letzten jüdischen Gebete. Rabbi Endibo-Cohen bezeugte später, dass er einen entschlossenen und gefassten Mann traf, dessen letzter Wunsch es gewesen war, seine Familie darüber zu informieren, dass er seine Pflicht getan hatte und seinem Volk und seinem Land bis zur letzten Minute treu blieb.
Cohen wurde in die Mitte des Marjah-Platzes geführt. Er trug einen schwarzen Anzug und ein großes, weisses Plakat mit arabischer Schrift um seinen Hals. Auf dem Plakat waren sein Name und die Anschuldigungen gegen ihn notiert. Abu Suleiman, Syriens oberster Henker, wartete auf den Verräter. Abu Suleiman wurde mit der Ehre ausgezeichnet, Eli zu exekutieren. Eli bestieg langsam die Treppen eines kleinen Podest. Die Schlinge lag um seinen Hals. Die Treppen unter Elis Füssen wurden weggezogen.
Eli Cohen starb aus Liebe zu seinem Land. Die Wenigsten können verstehen, wie tief das jüdische Volk mit dem Boden des Heiligen Landes verwurzelt ist. Gottes Befehl zu folgen, dieses Land zu bewohnen, wird mit dem Leben verteidigt. Eli zahlte den höchsten Preis für seine Vaterlandsliebe. Er war Auge und Ohr Israels auf feindlichem Gebiet und trug die Last für die Sicherheit des jungen jüdischen Staates alleine auf seinen Schultern. Elijahu Ben Shaul Cohen wird für immer einer der größten Helden des jüdischen Staates sein.
Titelbild: Ein Zeitungsbericht in Syrien berichtet über die Festnahme und die Gerichtsverhandlung über Eli Cohen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Edi Cohen (Eli Cohen-Gedenkwebseite)