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Helden ohne Umhang (26) – Dandan Bolotin: Elitekämpfer, Botaniker und Naturliebhaber

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 17.12.2021 – Viele Israelis begeistern sich auf dem beliebten Fernsehkanal 13 für eine neue Staffel der weltbekannten Realityshow „Survivor“. Das Konzept der Sendung: Eine Gruppe von Personen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen wird auf einer einsamen Insel ausgesetzt und in zwei Stämme aufgeteilt. In verschiedenen Wettbewerben kämpfen sie gegeneinander. Am Ende jedes Wettkampfes muss der Verlierer eines seiner Stammesmitglieder verabschieden. Der letzte „Überlebende“ gewinnt eine Million Schekel.

Ultimativer Prime-Time-Liebling

Einer der Wettbewerber fällt in der laufenden Staffel besonders auf: Dandan (Spitzname) Bolotin. Der 63-jährige bärtige Riese zeichnet sich durch seine unglaublichen Überlebenskünste, seine handwerkliche Begabung und seine liebenswerte, zarte Persönlichkeit aus. Der weiche Überlebenskünstler sticht durch längst vergessene Charakterzüge hervor: Geduldig, nachsichtig, friedliebend und respektvoll löst er Probleme und Diskussionen in seinem Umfeld. Dandan wird schnell zum Publikumsliebling und ist die wohl freundlichste Persönlichkeit zur Hauptsendezeit.

Dandan Bolotin ist einer der imposantesten Persönlichkeiten in der laufenden Staffel der israelischen Realityshow „Survivor“. Foto: Ohab Kab

Die wenigsten kannten den Survior-Anwärter mit seinem einnehmenden Lächeln vor seiner Zeit in der anstrengenden Realityshow. Hinter der rücksichtsvollen und weichen Persönlichkeit versteckt sich die brutale Vergangenheit eines wahren Kämpfers. Ein Soldat aus der angesehensten Elitekampfeinheit des israelischen Staates. Dandan, mit bürgerlichem Namen Dan, diente in der Sondereinheit Sajeret Matkal. Die Sondereinheit wird in Israel nur kurz als „Die Einheit“ bezeichnet. Das Sonderkommando der israelischen Streitkräfte widmet sich der Terrorismusbekämpfung, Geiselbefreiungen, gezielten Tötungen und militärischen Kommando-Operationen. Die Einheit steht an der Spitze der militärischen Spezialeinheiten Israels. Dandan sah dem Tod nicht nur einmal aus nächster Nähe in die Augen.

Doch wie bewahrt ein so harter Elitesoldat eine so große Liebe und unendlich viel Geduld?

Das hyperaktive Kind im Internat

Dandan Bolotin kommt ursprünglich aus Tel Aviv. Er wuchs mit zwei Brüdern auf und war das sogenannte Sandwichkind. Dandan war ein sehr unruhiger Junge. Er befand sich damals in einer strengen, geschlossenen Schule und hatte kaum die Möglichkeit, seine kindliche Energie auszuleben. Ein 12-jähriger aktiver und lebhafter Bub benötigt Freiraum, um sich auszutoben. Sonst kann ein solches Kind schnell als hyperaktiv eingestuft werden. Dandan kam in ein landwirtschaftliches Internat in Pardes Hanna, 65 Kilometer nördlich von Tel Aviv. Der lebensfrohe Spross wurde für die Stallarbeit bei den Milchkühen eingeteilt. Für den tierliebenden Junior ging damit ein kleiner Traum in Erfüllung.

Der Teenager löste in den ersten Jahren im Internat seine Probleme mit Gewalt. Stets war Dandan in Prügeleien mit anderen Schülern verwickelt. Der Heranwachsende dachte immer, dass die Sticheleien der anderen Kinder der Grund für sein Verhalten wären. Doch heute sieht der gemütliche Familienvater, dass er der Störenfried und Unruhepol war. Das Verhalten des Kindes änderte sich jedoch verblüffenderweise von einem Tag auf den Nächsten. Dandan war mit einem seiner Freunde beim Angeln. Uri war etwas älter als sein kleiner Freund. Dandan war von dem Charakter seines Kumpels überwältigt. Die Herzlichkeit und Besonnenheit seines Gegenübers blendeten das Kind, das bis zu diesem Zeitpunkt seine Probleme am liebsten mit den Fäusten löste. Die friedliche Atmosphäre, das freundliche und höfliche Verhalten Uris seinem Umfeld gegenüber, lösten in Dandan etwas aus. Er wollte genauso sein. Er beschloss, dass Wut und Aggression nicht mehr Herr über seinen Charakter sind. Bis heute ist die Besonnenheit des gutmütigen Mannes auf den ersten Blick erkennbar und zieht die Mitmenschen in seinen Bann. Dandan zieht es vor, von manch einem als „Trottel“ betitelt zu werden, statt sich zu streiten oder Banales zu diskutieren. Er selbst sagt, dass er so nachts viel besser schlafe.

Der ultimative Überlebenskünstler zeichnet sich durch längst vergessene Charaktereigenschaften aus. Geduldig und nachgiebig geht er Konflikten aus dem Weg.
Foto: Ohab Kab

Sein Bruder Ron wird schwer verletzt

Das Internat-Leben des Teenagers änderte sich nach Dandans Entscheidung, seine Charakterzüge zu ändern, grundlegend. Doch nicht nur die Erkenntnis, dass er etwas an sich verändern musste, sondern auch ein schreckliches Familiendrama prägten den Jungen.

Eines Tages erreichte ihn ein Anruf seines Vaters. Er überbrachte ihm die schlimme Botschaft, dass sein zwei Jahre älterer Bruder Ron auf eine Mine getreten war. Ron war zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt und diente als Soldat in der Shaked-Einheit. Dandans Vater bat seinen Sohn, sofort nach Hause zu kommen und legte auf. Ob sein geliebter Bruder nur schwer verletzt oder gar tot war, wusste Dandan zu diesem Zeitpunkt nicht. Zurückrufen war nicht möglich. Der besorgte Junge suchte die Internatsdirektorin auf und berichtete ihr von dem Ereignis. Er bat um die dringende Erlaubnis, sofort nach Hause entlassen zu werden. Doch bekam das Kind eine zeitweilige Absage. Er solle zuerst die Proben für die kommende Chanukka-Aufführung beenden und dürfe erst dann das Gebäude verlassen. Das naive Kind tat, was ihm aufgelegt wurde.

Schicksalsschlag schweißt die Familie zusammen

Nach den Proben bestieg Dandan einen Bus und fuhr nach Tel Aviv. Bei seiner Ankunft im Tel HaShomer-Krankenhaus fand er heraus, dass sein Bruder lebensgefährliche Verletzungen erlitten hatte. Er hatte ein Bein verloren und sein Sehvermögen war schwer geschädigt. Die Familie stand unter großem Schock, doch stärkten sie einander und hielten zusammen. Sechs Monate lang feierte die Familie gemeinsam den Schabbatbeginn Freitag abends bei ihrem verletzten Sohn im Krankenhaus. Der grausame Schicksalsschlag ließ die Familie näher zusammenrücken. Einmal die Woche besuchte Dandan seinen Bruder im Hospital. Er hatte den Drang, seinen Bruder zu beschützen. Er wollte sichergehen, dass er alle seine Medikamente verabreicht bekommt. Heute hat der große Bruder einen Master in Mathematik, hat eine Doktorarbeit über Rehabilitation von körperlich behinderten Mitmenschen über den Sport geschrieben und ist mehrfacher paralympischer Sieger. Ron Bolotin holte insgesamt elf Medaillen, darunter drei goldene, im paralympischen Schwimmen.

Terror im Kinderheim

Während seiner Armeezeit in den Jahren 1977 bis 1981 diente Dandan in der Eliteeinheit „Sajeret Matkal“. Am 7. April 1980, spät in der Nacht, erhielt er einen Anruf von seinem Militärvorgesetzten. Dandan solle sofort antreten. Der Soldat verstand schnell die Dringlichkeit seines Einsatzes: Terroristen hatten ein Kinderheim im Norden Israels besetzt und drohten mit der Hinrichtung der Kleinkinder und Babys.

Das Terrorattentat sollte in die israelische Geschichte als „Geiselnahme in Misgav Am“ eingehen. Der grausame Anschlag brannte sich tief ein in das nationale Bewusstsein Israels. In der Nacht überquerten fünf hochbewaffnete Terroristen der arabischen Befreiungsfront den Grenzzaun im Norden Israels. Obwohl der Zaun vermint und mit elektronischen Warngeräten ausgestattet war, bemerkten die israelischen Sicherheitskräfte das Eindringen der Terrorzelle nicht. Im Schutze der Dunkelheit drangen die Palästinenser nachts in das Kinderheim ein.

Die damalige zionistische Kibbuzbewegung glaubte an die Prinzipien der gemeinsamen Erziehung und Entwicklung. Mit diesem Gedanken wurden in den meisten Gemeinden die Kibbuz-Sprösslinge gemeinsam untergebracht. In einer gemeinsamen Herberge, den sogenannten Kinderheimen, schlief der Nachwuchs schon vom zarten Babyalter an getrennt von den Eltern. Die Kinderheime waren feste Kindertagesstätten, in denen die Kinder auch während ihrer Grundschulausbildung lernten, aßen und badeten. In den meisten Kibbuzim blieben die Heranreifenden bis zum Teenageralter und ihrem Dienst in der israelischen Armee zusammen. Diese Art und Weise der Erziehung wurde in den meisten Kibbuz-Gemeinden bis in die späten 80-er Jahre praktiziert.

Bei dem Versuch der palästinensischen Terroristen, sich Zutritt zu dem Kibbuz-Kinderheim in Misgav Am zu verschaffen, stießen sie auf den 38-jährigen Gemeindesekretär Shmuel Shani. Shmuel kämpfte mit aller Kraft, um den Attentätern den Zutritt zu verwehren, doch bezahlte er den Versuch, die Kleinen zu schützen, mit seinem Leben. Seine Frau Esti Shani und ein weiteres Mitglied hörten die Schreie und Schüsse. Sie nahmen schnell zwei Babys auf den Arm und versteckten sich im Badezimmer. Ihr eigenes Baby zu retten schaffte Esti nicht. Die arabischen Kämpfer nahmen sieben Babys und Kleinkinder im Alter von wenigen Monaten bis drei Jahren als Geiseln. Auch ein Mitglied der Gemeinde, das während der Nachtschicht auf die Kinder aufpasste, wurde gefangen genommen.

Israelische Sicherheitskräfte, die beiden Spezialeinheiten Sajeret Matkal und die bekannte Golani-Einheit, begannen Verhandlungen mit den Terroristen. Ziel der radikalen Attentäter war es, 50 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen zu befreien.

Dandan erinnert sich an die grausame Nacht

Dandan erzählte in einem Interview, wie komplex und kompliziert der Einsatz war. Die Golani-Einheit versuchte in der Nacht zweimal, in das Kinderheim einzudringen. Vergeblich. Gegen 10 Uhr morgens positionierten sich Dandan und weitere Elitesoldaten des Sajeret Matkal-Kommandos und warteten auf den Befehl, das Gebäude zu stürmen. Die Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Die Scharfschützen erspähten zwei Terroristen und eliminierten sie. Die Sajeret-Matkal-Soldaten erhielten den Befehl zum Angriff.

Dandan nahm an, dass sich nur noch ein Täter in dem Gebäude aufhielt. Er rannte auf das Haus zu und versuchte durch das Fenster einzusteigen. Plötzlich stand ein Terrorist vor ihm. Seine Waffe war auf Dandans Gesicht gerichtet. Doch der geschulte Elitesoldat war schneller. Er kämpfte mit dem Terroristen, entriss ihm die Waffe und konnte ihn überwältigen

Die anderen Terroristen eröffneten das Feuer auf die Israelis. Hunderte von Schüssen fielen. Am Ende der Rettungsaktion war die gesamte Terrorzelle tot. Bei der Befreiungsaktion zogen sich alle kleinen Geiseln leichte bis schwere Verletzungen zu. Ein Soldat und ein zweijähriges Kleinkind bezahlten den Terroranschlag mit ihrem Leben. Die Terroristen hatten das Kind in der Nacht getötet. Für Dandan war es einer der moralisch gerechtfertigsten Einsätze, an denen er teilnahm. Doch hinterließ der Einsatz Wunden.

Weltreisen sind Dandans Leidenschaft 

Nach seiner Entlassung aus dem Militär entdeckte Dandan das Reisen für sich. Er war fasziniert von anderen Ländern und Kulturen. Bei seinen monatelangen Unternehmungen besuchte er unter anderem Europa, Afrika, Nord- und Südamerika und die Antarktis. Er arbeitete in verschiedenen Gelegenheitsjobs. Vom Holzfäller über Bauarbeiter bis hin zum Lastwagenfahrer und Apfelpflücker, für nichts war sich der junge Mann zu schade. Vor harter Arbeit schreckte er nicht zurück. Selbst in der Aufzucht spezieller Affenarten sammelte das Allroundtalent Erfahrung. Diese Erfahrung sollte ihm später bei seinem Reservoir für verletzte oder behinderte Wildtiere zu Gute kommen.

Dandan bei einer seiner Expeditionen und Besuchen bei indigenen Stämmen in Südamerika. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dandan Bolotin 

Im Rahmen eines Forschungsprojektes machte Dandan ein paar Jahre später seinen Master-Abschluss an der Tel Aviver Universität. Er studierte unter anderem Pflanzen, die von Urwaldstämmen im Amazonas genutzt werden. Seitdem agiert der ehemalige Elitesoldat auch als Guide bei zwei Stämmen in Namibia und Botswana. Bei all seinen Reisen und seinem unglaublichen Wissen durfte auch eine Fernsehdokumentation im indonesischen Regenwald nicht fehlen. Yachtreisen in die Antarktis oder ein freiwilliger Aufenthalt in den Wäldern von Kamerun, um den Bau eines riesigen Geheges für verwaiste Gorillas zu unterstützen, sind nur ein kleiner Teil der riesigen Leistung, die Dandan für sein Umfeld und die Natur erbracht hat. 

Dandan zählt heute zu einem der gefragtesten Dozenten in Israel. Kein Zweiter hat solch unglaubliches Wissen wie der beliebte Überlebenskünstler. Er doziert über die Forschung, die er mit indianischen Stämmen aus dem Amazonasgebiet Ecuadors durchgeführt hat, über Heilpflanzen und natürliche Lebensmittel bis hin zum Bergsteigen und weltweiten Expeditionen.

Wildtierrettungsfarm in der Negev-Wüste

Heute lebt der 63-Jährige mit seiner Lebenspartnerin Lilach und ihren vier Kindern auf der Bolotin-Farm in der Negevwüste. Die beeindruckende Farm in der orangenen Einöde wirkt wie eine Oase. Obstbäume und grüne Felder, ein Baumhaus und Gästezimmer, gemütliche Ruheecken zwischen Olivenhainen und ein Dutzend Wildtierkäfige. Diese Idylle ist die Frucht härtester Hand- und Feldarbeit. Als Dandan mit seiner Lilach vor 23 Jahren das abgelegene öde Plätzchen besiedelte, stand ihnen nur ein Wohnwagen ohne fließendes Wasser und Strom zur Verfügung. Weit und breit nur die karge, öde Steinwüste. Ein paar Monate später erwarben die Bolotins zwei weitere Caravans und bauten mit viel Geschick ein wunderschönes Haus mit traumhaften Ausblick auf die Wüste mit ihrem atemberaubenden Sonnenuntergang. Sie legten Gärten an, pflanzten Oliven- und Obstbäume mit Früchten aus der ganzen Welt. Die Wüste unter ihren Füßen wurde lebendig und begann zu blühen.

Bolotin bei der Rettung von zwei verletzten Raubvögeln.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dandan Bolotin. 

Mit der Zeit zimmerte die Familie auch eine Bed & Breakfast Unterkunft für Besucher zusammen. Bei der Bolotin-Farm handelt es sich um ein Wildtier-Rettungsprojekt. Verletzte, behinderte oder auch vergiftete und verlassene Tiere kommen zu Dandan und Lilach auf die Farm und werden von der ganzen Familie liebevoll aufgepäppelt. Selbst sogenannte Zooflüchtlinge finden bei den Bolotins einen liebevollen Ruheplatz. Hunderte von Wildtieren werden von der Familie gehegt und gepflegt. Einige von ihnen dürfen wieder zurück in ihren natürlichen Lebensraum, andere sind so schwer verletzt, dass sie bei Familie Bolotin ein Zuhause für immer gefunden haben.

Neben dem Rettungsprojekt baut die Familie auch Oliven an und widmet sich der Olivenöl-Herstellung. Man kann unvoreingenommen sagen, dass es sich bei dem Bolotin-Olivenöl um eines der köstlichsten und hochwertigsten Öle auf dem Markt handelt.

Die Olivenbäume der Bolotins. Die Familie stellt eines der hochwertigsten Olivenöle her.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dandan Bolotin

Nebenbei arbeitet Dandan als Reiseleiter und hält auf seiner Farm Vorträge über sein Leben und seine Überlebenskünste. Der ganze Gewinn fließt in die Wildtier-Farm, um so weitere Tiere aufnehmen und versorgen zu können.

Dandan setzt sich für die Tierrettung weltweit ein und versucht bei seinen Mitmenschen Verständnis dafür zu wecken, wie wichtig die Natur für uns Menschen ist. Er ist ein Held, der sein Leben für schwache Zwei- und Vierbeiner riskiert und ihren Schutz zu seiner Lebensaufgabe machte. Dandan ist unser Held – statt Umhang trägt er Bart.

Titelbild oben: Dandan mit einem kleinen Karakal. Das Findelkind wurde von Hand groß gezogen und schlief mit der kleinen Tochter gemeinsam in ihrem Kinderbettchen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Dandan Bolotin

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