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Helden ohne Umhang (29): Gabi Nachmani – Der Mann, der 5500 Wohnungen für Bedürftige renovierte

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 21.01.2022 – Eine angemessene Unterkunft ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Während viele Organisationen im Heiligen Land bedürftige Familien mit Lebensmitteln und Kleidung ausstatten, ist die gemeinnützige Organisation „Tenufa BaKehila“ der einzige Verein, der Familien ein sicheres und respektables Lebensumfeld in den eigenen vier Wänden ermöglicht. Indem sie Wohnungen und Häuser renovieren, stellen sie die menschliche Würde und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wieder her.

Gabi Nachmani ist Gründer und Leiter des Projekts „Tenufa BaKehila“. Mit seinen Helfern renovierte er bis heute mehr als 5500 Wohnungen von bedürftigen und Not leidenden Menschen. Gabi nimmt sich Familien mit geringem Einkommen, alten Menschen und vor allem Holocaust-Überlebenden an, die unter entsetzlichen Bedingungen leben.

Kindheit in Armut

Gabis Vater wanderte im Jahr 1917 aus dem Libanon und seine Mutter 1950 aus Ägypten in Israel ein. Er wurde am 22. Juli 1956 in Jerusalem geboren und hat zwei ältere Brüder. Die Familie wohnte in dem sehr ärmlichen Stadtteil Katamon. In dem Haus der jungen Familie bröckelten die Wände und Decken. Bis zu seinem neunten Lebensjahr hatte die Familie kein warmes Wasser im Haus. Die alten Gebäude des Jerusalemer Stadtteils wiesen schwere Fehlfunktionen auf und es gab keinen einzigen Techniker, der es schaffte, den Schaden zu beheben. Die finanzielle Situation war schlimm. Sie hatten kein Geld für Kleidung, es fehlte der fünfköpfigen Familie an Lebensmitteln. Gabi erzählte Fokus Jerusalem, dass sich die Familie über Jahre von Brot, Margarine und ein wenig Marmelade ernährte. Dennoch fühlten sich die drei Jungs trotz ihrer Armut nicht anders oder ärmer als ihr Umfeld.

Gabis Vater litt an einer schweren Herzkrankheit. Die Kindheit der Buben wurde durch die schlimme Krankheit ihres Vaters geprägt. Oft musste der Vater im Krankenhaus behandelt werden. Gabi erinnert sich an die vielen Besuche, die er seinem Vater abstattete. Der gesundheitliche Zustand ermöglichte dem Familienvater nur an einem oder zwei Wochentagen zu arbeiten. Im Alter von nur acht Jahren verlor Gabi seinen geliebten Vater. Ein schwerer Schicksalsschlag für die kleine Familie. Von nun an waren die vier auf sich selbst gestellt. Die 34-jährige Witwe versuchte, mit Schneiderarbeiten ihre Familie irgendwie über Wasser zu halten. Doch sie kam mit der Situation nicht zurecht. Um ihren Söhnen eine bessere Zukunft zu schenken, kam Gabi in eines der Jerusalemer Waisenheime. Die Situation in der Einrichtung war katastrophal. An die schlimmen und grausamen Zustände möchte sich Gabi nicht erinnern. Immer wieder flüchtete der Junge und rannte zu Fuß durch ganz Jerusalem zurück nach Hause. Nach eineinhalb Jahren endete für den gepeinigten Bub die Zeit im Waisenhaus. Er flüchtete nach Hause.

Der Herzenswunsch eines Jungen

Als Gabi gerade einmal 13 Jahre alt war, beschloss er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Uri die elterlicheWohnung selbst zu renovieren. Die beiden Teenager lernten ständig dazu und arbeiteten sich langsam, aber sicher durch die ganze Wohnung. Vom Verlegen von Stromleitungen bis hin zu Sanitärarbeiten und der Reparatur von Fenstern erlernten die Jungs das Handwerk Schritt für Schritt. Die Handwerker-Arbeiten, die als Hobby begannen, entwickelten sich zu einer Leidenschaft. Im Laufe der Zeit begann das junge Team auch Nachbarn zu helfen, die sich, wie sie selbst, in einer miserablen Wohnlage befanden.

In ihrem Umfeld wohnten viele einsame Holocaust-Überlebende. Sie waren allein in Israel eingewandert. Die dunkle Epoche hatte alle ihre Familienmitglieder und Verwandte ausgelöscht. Schon damals hatte Gabi eine besondere Liebe für sein geschwächtes Umfeld. Die Nächstenliebe der Brüder wurde durch ihre Mutter geprägt. Das wenige, was sie besaßen, teilten sie mit ihrem Umfeld. Gabi erinnert sich, wie seine Mutter Brot und Margarine an hungrige Nachbarn abgab. Die Tür war für Hilfesuchende stets offen. Gabi erzählt, dass seine Mutter dabei nicht zwischen Juden und Arabern unterschied. Araberinnen, die aus dem nahe gelegenen arabischen Dorf Beit Safafa in das jüdische Viertel kamen, um ihr Obst und Gemüse zu verkaufen, schauten bei den Nachmanis gerne auf eine Tasse Tee vorbei. Gastfreundschaft und Verständnis für den Nächsten, unabhängig von der Religion oder der Bevölkerungsschicht, wurden bei der Familie groß geschrieben.

Tenufa BaKehila wird geboren

Für die Arbeiten wurden die beiden fleißigen Jungs nicht bezahlt. Die Buben renovierten aus reiner Gutherzigkeit die Wohnungen in ihrer Nachbarschaft. Die schweren Handarbeiten und das beglückende Resultat legten im Herzen des jungen Mannes einen göttlichen Kern. Gabi war sich bewusst, dass dies die Berufung seines Lebens werden würde.

„Wer will fleißige Handwerker seh’n…“ – Das Team von Gabi ist mit Leib und Seele bei der Arbeit. Bei solch göttlichem Einsatz verlässt das Lächeln die Gesichter der fröhlichen Profis nie. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Tenufa BaKehila

Gabi Nachmani rief die gemeinnützige Organisation „Tenufa BaKehila“ ins Leben. Es ist heute die größte Organisation für Hausreparaturen in Israel. Mit einem motivierten Team von 21 Vollzeit-Facharbeitern renoviert Gabi die Häuser von einkommensschwachen Familien, alleinerziehenden Müttern, alten und notleidenden Menschen sowie Holocaust-Überlebenden. 

In den vergangenen 28 Jahren hat „Tenufa BaKehila“ mehr als 5.500 Wohnungen in 20 verschiedenen Städten in ganz Israel saniert. Gabis Handwerker-Team und alle Materialien, wofür die Organisation im Jahr Tausende Schekel ausgibt, werden einzig und allein durch Spenden aus Israel und aus dem Ausland finanziert.

Wohnungsarmut ist oft unsichtbar

Gabi Nachmani hat immer einen Werkzeugkasten im Auto und legt stets selbst Hand an. Er ist ein Mann des sozialen Handelns. Lauscht man ihm, hört man sein unbeschreiblich großes Mitgefühl und seine Nächstenliebe. Seine Solidarität mit den Familien ist unbeschreiblich. Dabei ist es ihm wichtig, den bedürftigen Familien die professionelle Arbeit zu schenken, die seine Handwerker ausführen. Er ruft seinen Mitarbeitern ins Gewissen, die Familien so zu behandeln, als ob sie für die Renovierungsarbeiten bezahlen würden. Niemals darf ein schlechtes Gefühl bei dem Gegenüber aufkommen.

Die Not hinter jeder einzelnen Geschichte ist unfassbar. Der Verein lokalisiert die betroffenen Familien über die Wohlfahrtsämter und arbeitet direkt mit den Stadtverwaltungen und ihren Sozialarbeitern zusammen. „Tenufa BaKehila“ berichtet über eine besonders gute und intensive Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Jerusalems. In der heiligen Stadt gibt es Tausende von einkommensschwachen Familien, die große Schwierigkeiten und Probleme haben, eine Instandhaltung zu finanzieren. Die Scham und das Gefühl der sozialen Ausgrenzung aufgrund der komplexen Wohnsituation verschärfen die Notlage der betroffenen Familien.

„Wenn ein Kind ohne Winterjacke zur Schule geht, sehen das seine Lehrer“, erklärt Gabi in einem Interview. „Wenn ein Kind kein Mittagessen hat, sorgt die Schule dafür. Aber wenn ein Kind auf einer schimmligen Matratze in einem Raum mit kaputten Wänden und freiliegenden Steckdosen schläft, wenn es nicht duschen kann, weil es kein warmes Wasser gibt – dann sieht das niemand.“

Wenn ein Hilferuf eines Holocaust-Überlebenden eingeht,berührt dies das Herz jedes Handwerkers. Dieser Mann rief Tenufa BaKehila mit zitternden Händen an, weil er sich schämte, um Hilfe zu bitten. Das Team kam ohne weitere Fragen in sein Haus und renovierte jede kaputte Nische der Wohnung. Am Ende der Renovierung war er so ergriffen, dass er sich bei den Handwerkern mit einer herzlichen Segnung bedankte.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Tenufa BaKehila

Die Geschichten, die Gabi über jede einzelne Renovierung erzählt, sind schockierend und berührend zugleich. In der heutigen Wohlstandsgesellschaft ist es vielen unverständlich, dass Menschen in solch unbewohnbaren Wohnungen leben können.

Psychische Not durch Kassam-Raketen

„Tenufa BeKehila“ wurde auf eine Familie mit sechs Kindern aufmerksam. Die beiden ältesten Kinder dienen in der israelischen Armee. Der Familienvater und zwei seiner kleineren Töchter kämpfen gegen schwere psychische Belastungen. Der ständige Raketenbeschuss auf die Küstenstadt Aschkelon hinterließ bei ihnen tiefe seelische Wunden. Die schweren Ängste und der komplexe psychische Zustand des Vaters führten zu seiner Arbeitsunfähigkeit. Die schwere Last des Lebensunterhalts fiel auf die Schultern der Mutter und ihrer 16-jährigen Tochter.

Als „Tenufa BeKehila“ zum ersten Mal die Familie besuchte, fanden sie die Küche in einem schockierenden Zustand vor. Das Spülbecken war herausgebrochen und das Wasser sickerte in die Schränke, was zu einer Vermoderung der gesamten Küchenschränke führte. Die Arbeitsplatte war zusammengebrochen. In einer solchen Küche war es unmöglich, eine warme Mahlzeit für Ihre Kinder zuzubereiten. „Tenufa BaKehila“ renovierte die Wohnung komplett und schenkte der Familie ein Zuhause, den so dringend benötigten Zufluchtsort für die kranken Familienmitglieder.

Vorher und nachher: Bilder der Renovierung einer Küche. Ein älteres Ehepaar in Aschkelon wurde mit dem Besuch der Organisation gesegnet. Die finanzielle und gesundheitliche Situation des Paares war äußerst schwierig und sie hatten keine finanziellen Möglichkeiten, die vermoderte Küche zu sanieren. Die Aufregung der Familie, als sie den neuen Raum erblickten, kannte keine Grenzen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Tenufa BaKehila

Nächtliches Feuer 

Ein weiterer schwerwiegender Fall schockierte Gabi und seine Mitarbeiter. Sie erhielten die Daten einer Familie, deren Wohnung abgebrannt war. Mitten in der Nacht, als die ganze Familie schlief, war der 10-jährige Sohn aufgewacht. Ein stechender Brandgeruch hatte den Jungen geweckt. Ohne den Kopf zu verlieren, beeilte er sich, seine Eltern und sein 11 Monate altes Geschwisterchen zu retten. Die ganze Wohnung war verraucht und schwarz vom Ruß. Als die Helfer der Organisation das Haus betraten, war der Anblick erschreckend. Die Zerstörung durch das Feuers war immens. Alle technischen Geräte waren verbrannt. Während der Renovierungsarbeiten fand das technische Team heraus, dass die gesamte Elektroinstallation unbrauchbar war. Der Verein musste das gesamte Stromnetz erneuern und die Genehmigung des israelischen Elektrizitätsversorgungsunternehmens einholen, um die Wohnung wieder an den Strom anzuschließen. Doch am Ende schenkten die fleißigen Handwerker der Familie ein neues, bewohnbares Zuhause.

Ein Leben im Elend 

Auch der 91-jährige Holocaust-Überlebende Yaakov (Name aus privaten Gründen geändert) aus Jerusalem fand bei Gabi Nachmani neue Hoffnung. Der freundliche alte Mann war nach dem Holocaust alleine in Israel eingewandert. Seine gesamte Familie und alle Verwandten wurden im Konzentrationslager Auschwitz vernichtet. Yaakov war sein ganzes Leben einsam. Die wenige Hilfe, nach der er fragte, blieb vom Staat unbeantwortet. Der enttäuschte und gebrochene Mann verlor seinen Glauben und resignierte. Aus schrecklicher Scham bat er sein Umfeld nie um Hilfe. Wache Nachbarn riefen das Jerusalemer Sozialamt zu Hilfe. Die Sozialarbeiter kontaktierten Gabi und „Tenufa BaKehila“, die umgehend zu Hilfe kamen und sich um die Renovierungsarbeiten der baufälligen Wohnung kümmerten. In Gabis Augen ist es unverständlich, dass Holocaust-Überlebende in solchen unmenschlichen Bedingungen leben müssen. Gerade sie verdienen es, in einem angemessenen und respektvollen, warmen Zuhause ihre letzten Jahre in Würde zu verbringen.

Die göttliche Macht der Nächstenliebe

Das sind nur drei Beispiele von bedürftigen Familien und notleidenenden Holocaust-Überlebenden, die dank Gabis Wohltätigkeitsorganisation ein angemessenes Dach über dem Kopf haben. 

Wir möchten Ihnen die rührende Reaktion eines begeisterten 11-jährigen Jungen nicht vorenthalten, als er sah, dass er nun endlich in der Lage war, eine warme Dusche zu nehmen (siehe Video). Vier Jahre lang mussten das Kind und seine Großmutter sich mit kaltem Wasser waschen, das aus einem kleinen Schlauch in das Badezimmer floss. Die motivierten Handwerker renovierten das gesamte Badezimmer und schenkten den beiden eine bessere Zukunft:

(Video mit freundlicher Erlaubnis von Tenufa BaKehila)

„Ein anständiges Zuhause schenkt Kindern einen Anker. Ein respektables Lebensumfeld befähigt ein Kind, mit Selbstachtung und Würde zu interagieren und mit größerem Selbstvertrauen aufzutreten, um so nicht nur in der Schule, sondern auch im späteren Leben erfolgreich zu sein.“ Gabi erzählt Fokus Jerusalem, dass er und sein Team im Jahr 2022 planen, 600 baufällige Wohnungen in ganz Israel zu sanieren. Zwischen 80 und 100 dieser Appartements gehören Holocaust-Überlebenden.

Gabi Nachmani ist unser Held. Er stärkt die Armen und Bedürftigen und schenkt ihnen neuen Glauben nicht nur an die Gesellschaft, sondern auch an sich selbst. Mit seiner unglaublichen Nächstenliebe stellt unser Held sicher, dass kein israelisches Kind vergessen wird. Er schenkt jedem Bedürftigen einen würdevollen Ort zum Essen, Duschen und ein warmes Bett. Statt Umhang hält er Hammer und Meisel!

Titelbild: Gabi Nachmani hat es sich zum Lebensziel gemacht, die Wohnungsarmut in Israel zu bekämpfen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Tenufa BaKehila. 

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