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Helden ohne Umhang (41) Teil 1 – Zvi Marianski: „Vom Holocaust-Überlebenden zum Marine-Offizier“

JERUSALEM, 13.05.2022 – Zvi wurde am 27. Juli 1939 in der polnischen Hauptstadt Warschau geboren. Er war das erste Kind von Miriam von Botkavich-Broida und Dr. Matityahu Marianski.

Mutter Maria hatte einen großen Stammbaum in der litauischen Stadt Vilnius. Ihr Großvater war der weise Rabbiner Nissan Broida. Er war ein angesehener Thora-Ausleger und großer Aktivist in der chassidischen Bewegung in Litauen. Er gehörte einer Fraktion an, die den Zionismus und den Herzenswunsch nach einer Heimat in Israel vertrat. Rabbi Nissan Broida war Oberrabbiner in mehreren Städten und Vertreter von Litauen auf dem vierten Zionistenkongress in London. Dort lernte er Theodor Herzl kennen und die beiden pflegten seitdem enge Kontakte.

Zvis Vater Matityahu Marianski studierte an der Universität in Vilnius und promovierte in drei Fächern, darunter Neurologie und Physiotherapie. Matityahu war äußerst sprachbegabt und beherrschte mehrere europäische Sprachen. In Vilnius lernte er Miriam kennen, die an der Universität Musik studierte. Das junge Paar verliebte sich und heiratete wenig später. Nach der Hochzeit zogen sie nach Warschau. Matityahu arbeitete im medizinischen Bereich und Maria spezialisierte sich auf Klavier-Werke von Friedrich Chopin. Einige Zeit später erblickte der kleine Zvi das Licht der Welt.

Wie es damals bei jüdischen Familien üblich war, kümmerte sich die Großmutter Matilda Butkiewicz, Marias Mutter, um den Haushalt und die Wirtschaft der jungen Familie. Matilda Butkiewicz war eine sehr reiche Frau. Sie besaß einen Bahnhof für den europaweiten Export und die Vermarktung von Holz. Oma Matilda hatte Dutzende Mitarbeiter unter sich. Sie unterstütze jeden ihrer Arbeiter und pflegte tiefe persönliche Verbindungen zu ihnen. Oma Matilda war als Chefin von ihrem Team hoch angesehen und geliebt. Diese Liebe sollte später ihrer Tochter und ihren Enkeln das Leben retten.

Flucht vor Massaker

Kurz vor dem Überfall des Nazi-Regimes auf Polen im September 1939 schaffte es die Familie, aus Warschau nach Litauen zu fliehen. Sie ließen sich in der Stadt Vilnius nieder, in der die Mutter geboren und aufgewachsen war und sich das junge Paar vor Jahren kennengelernt hatte.

Doch Nazi-Deutschland setzte seine Eroberungen rasant fort. Bald befand sich auch Litauen unter Kontrolle der deutschen Armee. Mithilfe der lokalen Milizen, die gerne mit den Nazis zusammenarbeiteten, wurde die kleine Familie Marianski mit allen Juden der Stadt in das nationalsozialistische Getto Wilna verlegt. Damals betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Vilnius 28 Prozent. Anfang 1941 kam Zvis kleine Schwester Galina hinter den Mauern des Gettos auf die Welt.

Einen Tag vor dem brutalen Massaker der Gettojuden in Paneriai, dem westlichen Teil von Vilnius, überbrachten litauische Arbeiter der Großmutter Matilda die Botschaft, dass alle Gettojuden umgebracht werden sollten. Der Familie gelang die Flucht. Außerhalb der Gettomauern warteten die ehemaligen Angestellten der Oma auf die vierköpfige Familie und hielten sie unter Lebensgefahr bei sich versteckt. Juden zu helfen war äußerst gefährlich. Deutsche SS-Soldaten führten gründliche Hausdurchsuchungen und Razzien durch. Den Einheimischen wurden für jeden Juden, den sie fanden, hohe Geldpreise versprochen. Menschen, die sich jüdischen Familien auf ihrer Flucht annahmen, wurden sofort exekutiert. Die kleine Familie musste umgehend aus Litauen geschmuggelt werden.

Zvi mit seinen Eltern Miriam und Matityahu Marianski im Ferienort Zakopane in Südpolen nahe der tschechoslowakischen Grenze.
Foto: privat / Zvi Marianski

Mit den Partisanen nach Weißrussland

Die litauischen Arbeiter der Großmutter hatten Kontakt zu Partisanen in Weißrussland. Sie schafften es, die Partisanen zu überreden, die jüdische Familie bei sich aufzunehmen. Den Partisanen wurde versprochen, dass Vater Matityahu, als diplomierter Arzt sich um die Verwundeten in den Reihen der Kämpfer kümmern würde. Zudem sprach Matityahu fließend Deutsch. Ein absoluter Vorteil für die Kämpfer. Die Partisanen nahmen das Angebot an.

Die Flucht der vierköpfigen Familie war lang. Der Weg gestaltete sich als äußerst schwierig und kompliziert. Die Eltern standen vor einer herzbrechenden Entscheidung. Sollten sie während der Flucht gefasst werden, würden es die Nazisoldaten leicht haben, Matityahu und den kleinen Zvi als Juden zu entlarven. Doch was war mit ihrem kleinen Baby? Sie trafen die harte Entscheidung, ihr geliebtes kleines Töchterchen für eine horrende Summe in einem Kloster unterzubringen. Bei ihrer Rückkehr erwarteten die christlichen Geistlichen sogar eine doppelte Zahlung. Doch seit diesem schicksalhaften Tag hat die Familie ihre kleine Tochter Galina nie wieder gesehen. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt.

Unter dem Schutz der Partisanen versuchte die Familie über versteckte Wege, den deutschen Patrouillen auszuweichen. Nach langer Reise erreichten sie die damals polnische Stadt Hrodna.

Die Partisanen stellten der Familie ein kleines Haus mit Dachboden und Keller zur Verfügung. Dort sollte der Vater die verletzten Kämpfer behandeln. Der Kampf von Matityahu in den Reihen der Partisanen gegen die Nazis begann. Matityahu führte ein Art Doppelleben. Am Tag arbeitete der Familienvater an einer Tankstelle und bei Nacht behandelte und operierte er verwundete Partisanen. Deutsche Wehrmachtfahrzeuge wurden an Matityahus Tankstelle betankt, bevor sie in den Kampf gegen die feindlichen Partisanen in den umliegenden Wäldern aufbrachen. Matityahus Aufgabe war es, das Benzin zu sabotieren. So blieben die SS-Soldaten später im Wald stecken und die Partisanen hatten leichtes Spiel. Viele Nazi-Soldaten wurden mit dieser Taktik getötet.

Zvi hilft bei schwierigen Operationen

Auch der kleine Zvi nahm auf seine Weise an dem Krieg gegen den Nationalsozialismus teil. Im Hause der Marianskis gab es keine Elektrizität. Zvi hielt aus diesem Grund bei den Behandlungen und Operationen seines Vaters kleine Öllaternen. Der Vierjährige gewöhnte sich sehr schnell daran, Blut, Wunden und selbst schwerste Verletzungen zu sehen. Mit der Zeit lernte das Kind die Wunden der Partisanen selbst zu verarzten und nähte kleinere und größere Verletzungen. Seine früh erworbenen Nähkünste sollten Zvi später helfen, ein neues Leben im Heiligen Land aufzubauen.

In einer der grausamsten Schlachten wurde der verehrte Partisanenkommandant Bujenki schwer verletzt. Er wurde in lebensgefährlichem Zustand in das Haus der jüdischen Familie gebracht. Dr. Matityahu Maranski operierte ihn die ganze Nacht und rettete sein Leben. Immer an seiner Seite war der kleine Zvi, der tapfer stundenlang die Lampen hielt. Während der langen Stunden der Notoperation wurde das Haus von Hunderten von Partisanen bewacht. Alle waren bereit, für ihren Kommandanten bis zum Tod zu kämpfen.

Eine der traumatischen Erinnerungen der Familie hängt mit den kaltblütigen Besuchen der Gestapo und SS-Soldaten in ihrem Haus zusammen. Die Nazis hegten den Verdacht, dass Familie Marianski in ihrem Haus feindliche Aktivitäten durchführe. Etwa alle zwei Wochen führten sie gewaltsame Durchsuchungen durch. Mitten in der Nacht hämmerten sie mit Gewehrkolben an die Tür. Bei den Razzien wurde die Familie bei Regen und Schnee in klirrende Kälte hinausgeworfen. Draußen waren sie von Dutzenden SS-Soldaten umgeben. Deutsche Armee-Hunde bellten sie aggressiv an. Nachdem die Soldaten erfolglos das Haus der Familie verließen, wurde das Häuschen immer wieder in Brand gesteckt. Dieses Trauma verfolgte vor allem den Familienvater Matityahu bis zu seinem Lebensende.

Während Dr. Marianski die Nazi-Armee sabotierte und die verwundeten Partisanen behandelte, unterstütze Mutter Miriam den Kampf im Hintergrund. Sie war sehr stark und entschlossen. Ihr Antrieb war, das Grauen des Krieges und der Judenverfolgung zu überleben. Sie kümmerte sich hingebungsvoll um die Bedürfnisse der Familie.

Der kleine Zvi bei einer Pfadfinderparade im Jahr 1950 in Danzig. Foto: privat / Zvi Marianski

Nach dem Sieg der russischen Armee in Stalingrad Anfang Februar 1943 rückte die Rote Armee unbehindert weiter vor und drängte das deutsche Militär gen Westen. Die sowjetischen Partisanen, die bis zu diesem Zeitpunkt in den Wäldern gekämpft hatten, wurden in den Status der Roten Armee erhoben. Sie bekamen den Befehl, die Stadt Grondo einzunehmen und das Gebiet von feindlichen Truppen zu säubern. Die Aktivität würde den weiteren sicheren Vormarsch der russischen Panzereinheiten garantieren.

Der Partisanenanführer Bujenki wurde innerhalb der Roten Armee zum General befördert. Zwei Tage vor Ankunft der russischen Truppen suchte Bujenki das Haus der Familie Marianski auf. Er erinnerte sich sehr gut daran, wer damals in einer stundenlangen nächtlichen OP sein Leben gerettet hatte. Er wies die Familie an, einen Stern an die Haustür zu malen und sich so lange zu Hause zu verbarrikadieren, bis er ihnen erlaube, das Haus wieder zu verlassen. Die Familie tat, wie ihnen auferlegt wurde. Nach drei langen, nervenzerreißenden Tagen erhielten sie die Nachricht, dass sie wieder hinaus gehen könnten.

Das Bild, was sich den Augen der Familie bot, war schockierend. Die Partisanen, die vier Jahre lang in den Wäldern gekämpft und gelebt hatten, rächten sich an den Kriegsverbrechen der SS-Soldaten und all ihren Kollaborateure auf grausamste Art und Weise. Die Gassen der Stadt waren voller Blut. Die Leichen der feindlichen Soldaten häuften sich in den Straßen. Die Stadt war befreit.

Das gute Leben beginnt

General Bujenki, der nun die gesamte Region leitete, ernannte seinen Retter Dr. Marianski zum Direktor des örtlichen Krankenhauses. Miriam wurde zur Direktorin des Musikkonservatoriums erkoren. Der ehemalige Partisan versorgte die Marianskis zudem mit einem wundervollen Zuhause. Nach langen Jahren des Leids, der Flucht und der Angst begann für die kleine Familie ein erfülltes Leben.

Das Familienleben der Marianskis nach dem Krieg war auf sehr hohem Niveau. Der kleine Zvi besuchte einen örtlichen Kindergarten. Matityahu Marianski arbeitete nicht nur im Krankenhaus, sondern behandelte Patienten auch bei sich zu Hause. Die meisten waren Bauern und bezahlten dem Arzt seine Dienste mit Lebensmitteln. Den Marianskis fehlte es an nichts. Trotz des großen Segens gab der Familienvater seinen geheimen Herzenswunsch, nach Israel auszuwandern, nicht auf. Doch aus der damaligen Sowjetunion war dieser Schritt unmöglich. 1947 verließ die Familie ihr Luxusleben im Rahmen eines Bürgerkriegsaustausches und wanderte nach Polen aus. Die Familie ließ sich zunächst in der Hafenstadt Danzig nieder. Bei einem Pfarrer fand die Familie für die ersten Tage ein Dach über dem Kopf. Bald zogen sie in einen kleinen Vorort der Stadt und Zvi begann die örtliche Grundschule zu besuchen. Der aktive Junge ging zu den Pfadfindern und genoss nach der langen Kriegszeit und Einsamkeit die Aktivitäten mit gleichaltrigen Kindern.

Der 15-Jährige Zvi mit seinen Eltern in Hadera 1954. Foto: privat / Zvi Marianski

Ein Herz für Wasseramseln

Dr. Marianski begann sich zu diesem Zeitpunkt für Tauchmedizin zu interessieren. Während des Krieges hatte die deutsche Marine vor Danzig mit einem großen Schlachtschiff die Stadt und den Hafen unter Beschuss genommen. Dutzende Schiffe wurden versenkt. Die polnischen Behörden entschieden, die Schiffswracks zu bergen und zu reparieren. Bei den Bergungsarbeiten der Schiffe wurden viele Wasseramseln verletzt. Dr. Marianski, der ein Herz für die tauchenden Vögel hatte, entschied, sich den gefiederten Patienten anzunehmen. Er erhielt von seinem Umfeld sehr viel Respekt für seinen Einsatz und wurde „Rettungsschwimmer der Wasseramseln“ genannt.

Damals wurden die polnischen Häfen vom Militär und der Polizei streng bewacht. Die Öffentlichkeit hatte keinen Zugang zum Hafenbereich. Doch der Amsel-Doktor und sein Sohn Zvi konnten jeden der Bereiche des Danziger Hafens problemlos passieren. Zvi verliebte sich wie sein Vater in die Tauchvögel und begleitete seinen Vater bei jedem seiner Besuche. Die Hafenwachen nannten den Jungen „Sohn des Wasseramsel-Rettungsschwimmers“. Dieses Privileg ermöglichte es dem kleinen Zvi, alleine oder mit einem Freund in eines der anliegenden Boote zu steigen und in den Hafengewässern umher zu schippern. In diesen Tagen entwickelte sich die Liebe des kleinen Jungen zur Seefahrt.

Dr. Marianski unterstützte die Leidenschaft seines Sohnes und versuchte das Interesse zu fördern. Zuerst legten sich die Marianskis einen Kajak zu. Wenig später stiegen sie auf ein kleines Segelboot um und schließlich nannte die Familie eine kleine Jacht ihr Eigen. Wenig später versuchte die Familie mit ihrer Jacht von Polen in Richtung der Insel Bornholm in Dänemark zu fliehen. Der Gedanke, die Einwanderung nach Israel würde sich von Dänemark aus einfacher gestalten, war die Grundidee des Fluchtversuches. Doch der Versuch scheiterte. Die Familie wurde erwischt. Zwar konnten sie sich mit einer erfundenen Geschichte raus reden, doch die Jacht wurde von den polnischen Behörden beschlagnahmt.

Nächste Woche im zweiten Teil unserer Heldengeschichte:

„Odyssee“ auf dem Weg ins Heilige Land

Um ihr Vorhaben dennoch zu verwirklichen, zogen die Marianskis nach Warschau. Dr. Marianski war in einem Waisenhaus als Arzt für jüdische Kinder tätig. Die Kleinen wurden aus ganz Polen in das Waisenhaus der Familie gebracht. Die Mutter Miriam nahm sich der musikalischen Erziehung der Kinder an. Jedes der Waisenkinder hatte ein eigenes kleines Klavierimitat. Sie weitete ihre erfolgreiche, musikalische Früherziehung später auch auf andere Schulen aus…

Titelbild: Zvi Marianski erfüllte sich seinen Traum als Kapitän in der israelischen Handelsmarine. Foto: privat / Zvi Marianski

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