zurück zu Aktuelles

Israels Finanzminister macht Ultraorthodoxe mit für explodierende Lebenshaltungskosten verantwortlich

JERUSALEM, 08.02.2022 (DK) – Der israelische Finanzminister Avigdor Lieberman steht mit der ultraorthodoxen Minderheit seines Landes seit Jahren auf Kriegsfuß. Seit Liebermans national-säkulare Partei „Israel Beiteinu“ in der Regierung sitzt, ist es für die strengreligiösen Parteien in der Opposition ungemütlich geworden. Gegenüber seinen Parteimitgliedern erklärte Liebermann jetzt, dass er die Ultraorthodoxen mitverantwortlich für die jüngste Explosion von Lebenshaltungskosten halte. Seine Aussage begründete er damit, dass nur rund die Hälfte aller ultraorthodoxen Männer, auch Haredim genannt, arbeitet. In streng-religiösen Kreisen wird ein langjähriges Thorastudium einer Integration in den Arbeitsmarkt oftmals vorgezogen. Der Staat räumt den Thora-Studenten derweil soziale Privilegien ein, um religiös-jüdisches Leben in Israel zu ermöglichen. Liebermans Vorwürfe werden von den ultraorthodoxen Politikern als antisemitisch zurückgewiesen. 

Der Vorsitzende der Shas-Fraktion beschuldigte Liebermann religiöse Juden zum Sündenbock für die Fehler der Regierung zu machen. „Er hat bereits die Schuldigen gefunden“, so Deri. „In den 1930er Jahren, als die Propaganda in Deutschland begann, entschied man auch, dass die Juden schuld seien. Heute sind die Haredim schuld.“ Der Fraktionsvorsitzende der Partei „Vereinigtes Thora-Judentum“, Jakob Litzman, pflichtete Deri bei und sagte, Liebermans Aussage „erinnert an dunkle Zeiten, als Juden für alle Probleme der Menschheit verantwortlich gemacht wurden“. 

Orthodoxe Wehrpflicht sorgt auch innerhalb religiöser Kreise für Spaltung

Schon im vergangenen Jahr, kurz nach Amtsantritt, sorgte Liebermann mit einem Gesetzesentwurf für einen Affront. Er plädierte dafür, die staatliche Subvention von Kita-Kosten für Haredim einzustellen. Jetzt trifft ein neues Gesetz den isolierten Gesellschaftssektor einmal mehr: Die Regierung will den Wehrdienst für junge orthodoxe Männer ab 21 Jahren einführen. Sie waren bislang aufgrund eines vollzeitigen Religionsstudiums und unter bestimmten Voraussetzungen von der Wehrpflicht befreit. Nicht nur in säkularen, sondern auch in national-religiösen Kreisen wurde diese Ausnahmeregelung wiederholt kritisiert. Die acht Parteien der heterogenen Koalition haben sich jetzt hinter den Vorschlag gestellt. 

Lebenshaltungskosten könnten für Regierung zum Stolperstein werden

Die steigenden Lebenshaltungskosten in den vergangenen zwei Jahren haben in Israel für einen Aufschrei gesorgt. Israelis, die einen Mindestlohn verdienen, leben unter der Armutsgrenze. Die Pandemie hat die Armen im Land noch ärmer gemacht. Die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung könnte für das noch immer junge Regierungsbündnis zum Verhängnis werden. Zudem kommen die verschiedenen Fraktionen bei ihren Bewältigungsstrategien auf keinen gemeinsamen Nenner. Die Arbeiterpartei will den Mindestlohn von 29 auf 40 Schekel erhöhen. Liebermann schlug im Gegenzug Steuerkürzungen für Geringverdiener vor. Doch um die Steuern zu senken, muss der Staat anderswo Geld einsparen. Sollte sich der Finanzminister durchsetzen, könnte dies einmal mehr die Ultraorthodoxen treffen.

Bild: Finanzminister Avigdor Lieberman bei einem Parteitag seiner Fraktion „Israel Beiteinu“. Quelle: Olivier Fitoussi/Flash90

Weitere News aus dem Heiligen Land