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Helden ohne Umhang (44) – Der Wunsch-Krankenwagen: „Das liebevolle Sanitäterteam, das Herzenswünsche wahr werden lässt“

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 17.06.2022 – Israelis lieben und schätzen ihre Familien und das Leben wie kaum ein anderes Volk. Daher ist es naheliegend, dass man seinen Nächsten auch in schwierigen Zeiten oder gar vor dem Tod nicht alleine lässt. Aus diesem Grund wurde das Projekt „Ambulanz Ha’Mishalot“, zu deutsch „Wunsch-Krankenwagen“, von der israelischen Rettungsorganisation Magen David Adom, kurz MDA, ins Leben gerufen. Das medizinische Fachpersonal von MDA hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen und Kinder, die an einer schweren Krankheit leiden oder sich gar in ihrer letzten Lebensphase befinden, einen großen Herzenswunsch zu erfüllen. Der oft letzte Traum einer Person hat eine ganz besondere Kraft.

Die weiß-roten Engel von MDA

Die einzelnen Reisen werden bis ins kleinste Detail gemeinsam mit den behandelnden Ärzten der Patienten und deren Eltern oder Familienangehörigen geplant. Mitarbeiter der Organisation begleiten den Kranken auf seinem spannenden Ausflug. Bis zu drei Familienmitglieder oder Freunde dürfen an der besonderen Traum-Tour teilnehmen. Die Altersgruppe der Patienten bewegt sich zwischen 3 und 99 Jahren.

Bei dem Herzenswunsch eines Erwachsenen oder eines Kindes kann es sich um ein Treffen mit einer berühmten Person drehen, einen letzten Ausflug an das Meer, eine lang erträumte Bar Mitzwa an der Westmauer oder gar einen Helikopterflug. MDA tut alles in seiner Macht Stehende, um möglichst jeden Herzenswunsch zu erfüllen. Die einzelnen Wünsche der oft todkranken Patienten haben einen sehr sentimentalen und persönlichen Wert. Ob es sich um einen 99-jährigen Opa handelt, der noch einmal das historische Masada besteigen will, oder einen Dreijährigen, dessen Traum es ist, mit dem MDA-Helikopter zu fliegen:  Bei der Traumerfüllung ist der Himmel die Grenze!

Die feierliche Eröffnungszeremonie des Wunsch-Krankenwagens an der Westmauer in Jerusalem am 19. Oktober 2009. Es ist ein humanitäres Projekt, das darauf abzielt, die Träume unheilbar kranker Patienten zu erfüllen. Der Krankenwagen fährt mit den großen und kleinen Patienten zu den verschiedensten Orten. Foto: Kobi Gideon / Flash90

Die Tragödie der Familie Rada

Shmulik Rada und seine tragische Familiengeschichte sind über die Grenzen Israels hinaus bekannt.

Tair Rada, die 13-jährige Tochter von Shmulik und Ilana, wurde im Jahr 2006 bestialisch in ihrer Schule ermordet. Das bildhübsche Mädchen wurde mit aufgeschlitztem Hals auf der Mädchentoilette gefunden. Der grausame Fall erschütterte Israel und führte zu Entsetzen und Kontroversen in Bezug auf die Haft und Verurteilung des Mordverdächtigen – der Gärtner der Schule. Eine Saga von Prozessen, Verstrickungen, Polizeiskandalen und Wiederaufnahmeverfahren beschäftigte seitdem die israelische Öffentlichkeit.

Einige Zeit später erkrankte Shmulik an Krebs. Trauer und endlose Selbstvorwürfe, seine Tochter in ihren letzten Minuten nicht geschützt zu haben, hatten nach Aussagen der Mutter Ilana an seiner Gesundheit gezehrt. Die Familie beschloss, in Gedenken an ihre Tochter eine Synagoge zu errichten. Der Bau des Gedenkobjekts verzögerte sich und Shmulik befand sich bereits in kritischem Zustand im Krankenhaus. Der lang ersehnten Einweihungsfeier der Synagoge, die den Namen seiner Tochter „Tair Schabbat Achim“ tragen sollte, konnte er unmöglich ohne medizinische Aufsicht beiwohnen. Der Wunsch-Krankenwagen erfüllte dem sterbenden Vater seinen letzten Herzenswunsch. Das Sanitäter-Team begleitete Shmulik zur Einweihungsfeier und kümmerte sich den ganzen Tag über rührend um ihn. Shmulik war glücklich,  so glücklich wie schon lange nicht mehr. Keine 24 Stunden später tat er seinen letzten Atemzug.

Die Erfüllung eines letzten Herzenswunsches kann als Quelle des Trostes und des Seelenfriedens dienen. Im Fall von todkranken Patienten trösten letzte glückliche Stunden auch das Umfeld der betroffenen Person. Manchmal erfüllt den Patienten nach der Umsetzung seines letzten Wunsches eine innere Ruhe und Frieden. Das Gefühl, jetzt im Stande zu sein, loszulassen.

Die Beerdigung von Shmulik Rada. Einen Tag zuvor konnte das MDA-Team ihm seinen letzten Herzenswunsch erfüllen und Shmulik konnte an der Eröffnungsfeier der Gedenk-Synagoge seiner Tochter teilnehmen. Seine Ehefrau verabschiedet sich von ihm mit den Worten „Meine liebe Tair, Papa kommt jetzt auf Dich aufpassen.“ Foto: Basel Awidat/Flash90

Gad und Devorah – ein letztes Mal an Strand

Ein weiterer rührender Traum, den das medizinische Krankenwagenteam erfüllte, war der letzte Wunsch von Devorah und Gad Carmel im Jahr 2019. Das Ehepaar hatte sich in der zweiten Klasse der Grundschule kennen- und lieben gelernt. Seit dem 16. Lebensjahr waren die beiden nun 85-Jährigen ein Paar. Devorah und Gad liebten den Strand und das Meer. Sie verpassten in ihrem Leben keine Gelegenheit, gemeinsam am Strand den Sonnenuntergang zu beobachten. Da Gad ein Krebspatient war und seine geliebte Devorah ebenfalls unter wiederkehrenden komplizierten Krankheiten litt, beschlossen ihre beiden Töchter mit Hilfe des Wunsch-Krankenwagens, den beiden einen gemeinsamen Traum zu erfüllen und ein letztes Mal an ihren geliebten Strand zu fahren. Dort sollte das Ehepaar noch einmal einen gemeinsamen Sonnenuntergang erleben. Der Wunsch-Krankenwagen holte das Seniorenpärchen direkt im Pflegeheim ab und fuhr mit den beiden ans Mittelmeer. Am Strand von Herzliya genoss das Paar zusammen mit den engsten Familienangehörigen nicht nur den warmen Sand unter den Füssen: Hand in Hand liefen sie dem Sonnenuntergang entgegen und erneuerten nach 62 Jahren ihr Ehegelübde. Für alle Anwesenden war die Zeremonie ein sehr emotionales und aufregendes Ereignis. Gad fasste das rührende Ereignis zusammen: „Ich möchte nicht zurück ins Altersheim. Trotz all der Schmerzen empfinde ich so große Freude!“

Das Sanitäterteam des Wunsch-Krankenwagens mit Gad und Devorah. Dank des liebevollen Einsatzes der Mediziner konnte der Herzenswunsch der beiden am Strand von Herzliya erfüllt werden. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis des MDA Spokesperson-Büros

Lebenserwartung ein halbes Jahr

Die Patienten, die mit dem besonderen Krankenwagen auf Tour gehen, haben meist eine Lebenserwartung von höchstens sechs Monaten. Sie werden in der Regel von einem der drei Wunsch-Krankenwägen an das Ziel ihres Herzenswunsches gefahren. Dabei ist das individuelle Gefährt mit fortschrittlichen medizinischen Systemen und Technologien ausgestattet. Der „Mishalot“-Krankenwagen verfügt über einen Rollstuhl mit Manövrierfähigkeit, verstellbare  Betten, einen Kühlschrank für Medikamente, eine Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaschine und ein spezielles und außerordentlich aufregendes Highlight: Auf dem Dach des Wagens ist eine moderne Kamera installiert. Das macht es den Patienten möglich, den speziellen Trip aus dem Krankenwagen-Inneren zu genießen.

MDA erfüllt pro Woche ungefähr fünf Wünsche und spiegelt mit ihrem grenzüberschreitenden Projekt die Werte des jüdischen Glaubens wieder. Der Wunsch-Krankenwagen widmet sich der Linderung von körperlichen wie auch seelischen Schmerzen. Oft schenken die gemeinsamen Ausflüge den Familien Hoffnung und Beistand in den schwersten Stunden. Dabei ist es dem medizinischen Personal gleich, ob es sich um ein krankes arabisches Kind handelt oder einen Soldaten der israelischen Streitkräfte. Ziel ist einfach, dem Gegenüber ein wenig Liebe, Seelenfrieden oder Hoffnung zu schenken.

Yotam Cohen auf dem „Shalldag“-Patrouillenboot. Die Soldaten und der Kapitän empfingen den kleinen Jungen herzlich auf ihrem Schiff und überraschten ihn mit vielen besonderen Geschenken. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis des MDA Spokesperson-Büros

Yotam Cohen und die israelische Marine

Der kleine Yotam kämpft gegen den Krebs. Es ist bereits das dritte Mal, dass der kleine tapfere Mann gegen die seltene Krebserkrankung ankämpft. Der größte Traum des 7-Jährigen ist ein Segelausflug auf einem israelischen Marineschiff.

Um dem kleinen Kämpfer zwischen wiederkehrenden Behandlungen ein kleines Lächeln in sein Gesicht zu zaubern und ihn für ein paar Momente die schwierige Krankheit vergessen zu lassen, fuhr er im Wunsch-Krankenwagen in Begleitung der Sanitäter Tomer, Shahar und Yoat zu  israelischen Marinesoldaten im Hafen von Ashdod. Die Soldaten und der Kapitän des Schiffes empfingen den kleinen Yotam herzlich und organisierten einen außergewöhnlichen Tag für den kleinen Kämpfer. Der Kommandant des „Shalldag“-Patrouillenbootes, Kapitän Peleg, zeigte sich besonders aufgeregt über den Besuch des kleinen Marine-Fans: „Wir hoffen, dass Dir die Fahrt und die kleinen Geschenke, die wir Dir mitgebracht haben, gefallen. Du sagst zwar, dass Du stolz auf uns bist, aber du musst wissen, dass du unser ganzer Stolz bist. Du bist unser Held und wir bewundern dich!“. Nach seinem besonderen Besuch auf dem Patrouillenschiff träumt der Grundschüler nun davon, selbst einmal Kapitän der israelischen Marine zu werden – falls er geheilt wird.

Die Sanitäterin Liat Mizrachi mit dem geretteten Vierbeiner. Die Besitzerin der Hündin, Orly Cohen, berichtete später, dass sie die gesamte Krankenwagenbesatzung umarmen und küssen wollte. „Als ich am Unfallort ankam und sah, wie das MDA-Team mit unbeschreiblicher Hingabe das Leben meines Hundes rettete, war ich unglaublich bewegt!“ Foto: Mit freundlicher Erlaubnis des MDA Spokesperson-Büros

Nächstenliebe hört nicht beim Menschen auf

Die Rettungsorganisation Magen David Adom ist bekannt für ihre große Liebe und ihren treuen   Einsatz in ganz Israel. Dabei bleibt kein Patient zurück – auch wenn der vier Füßchen besitzt. Als ein Sanitäterteam der Or Akiva-Station auf einen verwundeten Hund in der Bahnhofsregion in Binyamina stieß, konnte das medizinische Personal den Vierbeiner nicht unbehandelt zurücklassen. Die Einheit bat ihren Vorgesetzten um eine Stunde Pause und nahm sich des Hundes an, der von einem Auto erfasst und bei dem Unfall schwer verletzt worden war. Das Sanitäterteam erhielt die Sondererlaubnis, das Fellknäuel im Krankenwagen zu behandeln und zu versuchen, dem lebensgefährlich verletzten Patienten das Leben zu retten. Eine Nadel wurde in die Brust des Tieres eingeführt, um die gestaute Luft im Brustkasten abzulassen. Der schwierige Zustand des Hundes wurde mit intravenösen Flüssigkeiten und einer Sauerstoffzufuhr verbessert. In der Zwischenzeit wurde der örtliche Tierarzt über die Ankunft des flauschigen Patienten informiert. Mit Sondergenehmigung und Blaulicht wurde der Vierbeiner in die Tierklinik gebracht.

MDA erklärte später, dass die Mission, Leben zu retten, den höchsten Stellenwert hat. Auch wenn es sich dabei nicht immer um Menschen handelt.

Die rot-weißen Engel von MDA kümmern sich hingebungsvoll um ihre kleinen, großen und manchmal auch felligen Patienten. Sie stellen das körperliche und seelische Wohl der Kranken an oberste Stelle. Ihr Einsatz und ihre aktive Nächstenliebe sind kaum in Worte zu fassen. Für uns sind die Sanitäter und medizinischen Rettungsteams der Organisation Magen David Adom Helden. Statt Umhang tragen sie MDA-Uniform.

Titelbild: Die vierjährige Zion träumte davon, den Kinderclown „Yuval Ha’Mebulbal“ zu treffen. Gemeinsam mit dem Team des Wunsch-Krankenwagens wurde der Kindertraum erfüllt. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis des MDA Spokesperson-Büros

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