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Helden ohne Umhang (47) – Shimon Haim Gani: „Eine Generation vergessener Kriegshelden“

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 08.07.2022 (NH) – Seit 56 Jahren steht Shimon Haim Gani in seinem kleinen Laden in der Jerusalemer Innenstadt, nicht weit entfernt von der lukrativen Einkaufsmeile Mamilla. Der 79-Jährige sieht noch keinen Grund, seine wohlverdiente Rente anzutreten. Aber man kann ihm ansehen, dass ihm die Arbeit langsam schwerer fällt. Er wirkt trotz seiner starken Ausstrahlung und seinem schwarzen israelischen Humor gebrechlich. Der Israeli gehört der Generation von Großvätern an, die bei den Kriegen Israels an vorderster Front kämpften. Nach jeder Schlacht und schweren Verlusten gaben sie die Hoffnung auf den Frieden im Land nicht auf. Nach jedem Krieg beteten sie, es möge der Letzte gewesen sein – doch dann kam der Nächste. Shimon ist einer der Kriegshelden, auf deren Geist, Leib und Seele das Land Israels gebaut wurde. Eine Generation vergessener Helden.

Als Frühchen zur Welt gekommen

Shimons Mutter Dina wurde bereits mit zwölf Jahren mit seinem Vater Jeheskel verheiratet. Das Paar lebte damals im Iran, in der jüdisch-kurdischen Gemeinde der Stadt Baneh. Die ersten drei Ehejahre musste Dina jedoch ohne ihren Ehemann verbringen. Jeheskel kämpfte in der Kavallerie an der Seite der Russen gegen das SS-Regime. Die jüdisch-kurdische Gemeinde verstand, was mit ihnen geschehen würde, sollte den SS-Soldaten der Durchbruch im Iran glücken.

Nach langen Jahren kam Jeheskel zurück nach Hause. Shimon erblickte als erstes Kind der beiden im Jahr 1943 das Licht der Welt. Ein genaues Geburtsdatum hat er nicht. Man nimmt an, dass er um die Purim- oder Pessachfeiertage geboren wurde. Dina hatte bereits sechs Frühgeburten hinter sich, keiner der Säuglinge hat überlebt. Das gleiche Schicksal drohte nun auch dem neuen Erdenbürger. Im siebten Schwangerschaftsmonat wurde das kleine menschliche Bündel geboren. Die Dorfbewohner gaben Dinas Frühchen auch dieses Mal keine Überlebenschancen. Das kleine Lebewesen wurde in eine Kiste mit Watte gelegt. Man erwartete, dass er die kommenden Stunden nicht überlebte. Doch das Frühchen zeigte einen ausgeprägten Überlebenswillen. Das Kleine überstand die erste Woche. Im Alter von acht Tagen wurde er beschnitten. Zu heutigen Zeiten ein undenkbarer Akt bei zu früh geborenen Jungen. Das Frühchen bekam den Namen Shimon. Gegen alle Voraussagungen überlebte er die kritischen Wochen und Monate. Nach Shimon wurde die Familie mit sieben weiteren Kindern gesegnet.

Die kurdische Gemeinde

Die jüdischen Kurden waren damals ein Volk in der Region zwischen dem Nordwesten des Iran, dem Nordirak, der südöstlichen Türkei und der nordöstlichen Ecke Syriens. Damals lebten etwa 150.000 kurdische Juden in kleinen Dörfern. Der größte Teil der jüdischen Gemeinde Kurdistans sprach Aramäisch. Die Kurden waren zwar sehr traditionell, aber zeigten sich gegenüber Frauen recht liberal. Anders als ihre muslimischen Nachbarn. Im Alter von 16 Jahren verschwand Jeheskels Schwester. Sie wurde von muslimischen Bewohnern entführt und gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Danach wurde die Teenagerin zwangsverheiratet. Das weitere Schicksal des jungen Mädchens ist unbekannt.

Das Leben im damaligen Persien war zwar hart, doch liebten die Kurden den Schah. Noch heute zieren Bilder des damaligen Regierungsoberhauptes die Wände kurdisch-stämmiger Familien in Israel. Shimon erzählt, dass der Schah seinen jüdischen Bürgern großen Respekt zollte. Die Türen seines Palastes waren für das einfache Volk stets offen. Mehr als einmal habe Jeheskel in den blühenden Gärten des Palastes in Teheran verweilt.

Die kurdischstämmigen Juden lebten in Zelten, die Frauen wuschen ihre Wäsche im nahe gelegenen Fluss, fließend Wasser und Strom gab es nicht. In der Kindererziehung zeigten sich die Dorfbewohner sehr rabiat. Ein schreiendes Kleinkind zu knebeln und an seinen Schlafplatz zu binden war eine weit verbreitete Praxis. Auch der kleine Shimon wurde so lange Zeit zum Schlafen gezwungen. Übel nimmt er es seinen Eltern nicht. Er hat ihnen schon vor langer Zeit die damaligen Ereignisse vergeben. Er erklärt, dass man damals keine andere Erziehung gekannt habe. Für Liebe und Zuneigung war im Überlebenskampf des Alltags kein Platz.

Einwanderung in Israel und Rassismus

Die erste Welle kurdischer Juden, die nach Israel einwanderten, begann 1929. Diese Periode läutete eine neue Ära für die Gemeinschaft ein – die Verwirklichung des Traums, im Land ihrer Vorfahren zu leben. Es war der Beginn einer zionistischen Reise und der Kampf um die Bewahrung ihrer Identität und Kultur im neuen Land. In Israel wurde das Zentrum der kurdischen Gemeinde in Jerusalem gegründet. Die meisten Kurden ließen sich damals im Stadtteil Nachlaot oder außerhalb Jerusalems im Castel von Mevaseret-Zion nieder.

Shimon und seine Familie wanderten erst später, im Jahr 1950, in Israel ein. Die Familie erreichte das Heilige Land mit dem Flugzeug. Ihr gesamtes Hab und Gut sollte mit einem Schiff nach Israel verfrachtet werden. Die persönlichen Gegenstände kamen jedoch nie an. Mittellos wurden die Haim Ganis zunächst in die sogenannten Maabarot verfrachtet. Die Maabarot dienten als eine Art Auffanglager, vergleichbar mit einem Flüchtlingscamp, im Süden Israels. Die Erinnerungen des kleinen Shimon sind grausam. Er kann sich erinnern, wie die gesamte Familie mit Insektenbekämpfungsmittel besprüht wurde. Man war zum damaligen Zeitpunkt der Auffassung, die orientalischen Juden hätten Parasiten und würden exotische Krankheiten ins Land schleppen. Eine derartige Behandlung war damals an der Tagesordnung.

Shimon im Alter von acht Jahren. Der kleine Junge fand in Israel schnell Freunde. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Die Familie lebte in den ersten Jahren in dem ärmlichen Camp. Danach ließ sich der Haim Gani- Clan im Jerusalemer Stadtteil Busrara nieder, der überwiegend von kurdisch-stämmigen Juden bewohnt wurde. Eine Trennung von orientalischen Juden, den sogenannten Mizrachim, und europäischen Juden war damals keine Seltenheit. Die Mizrachim wurden oft als minderbemittelte, ungelehrte Aussätzige behandelt. Das rassistische Verhalten, das dem Siebenjährigen schon in dem Auffanglager entgegenschlug, traf ihn ein weiteres Mal in Jerusalem. Die europäische Elite, die Ashkenazim, wollten eine häusliche Trennung von den Neuankömmlingen aus Persien, Marokko, Jemen und anderen arabischen Ländern. Der Rassismus orientalischen Juden gegenüber war in diesen Jahren legitim.

Schwierige Kindheit

In Jerusalem besuchte Shimon die religiöse Schule „Yesodei HaThora“ (zu deutsch „Die Fundamente der Thora“), die von Rabbi Amram Bloy geleitet wurde. Rabbi Bloy galt als einer der Mitgründer der fanatischen antiisraelischen Strömung „Neturei Karta“: einer orthodoxen Gruppe, die den jüdischen Staat und seine Existenz vehement ablehnt. In den Augen der Anhänger symbolisiert Israel eine Provokation unter allen Völkern, und seine Existenz führt zu Kriegen und Blutvergießen. Oft kooperiert die fanatische Gruppierung mit Antisemiten, Holocaustleugnern und nicht zuletzt auch mit Palästinensern. Shimon denkt mit Grauen an seine Schulzeit zurück. Gewalt und Prügel waren an der Tagesordnung. Als sich das Kind seinem Vater anvertraute, bestrafte auch er den kleinen Jungen. Die Eltern waren der Auffassung, wenn ein Geistlicher das Kind geschlagen hat, so wäre die Rüge verdient.

Im Alter von zwölf Jahren begann Shimon zu arbeiten. In der Abendschule versuchte er die fehlende Schulausbildung nachzuholen. Der Junge verdiente bei Dutzenden Jobs ein wenig Geld, um die Haushaltskasse seiner Familie aufzubessern. Er strich Möbel und versuchte sich im Zeitungs- und Speiseeisverkauf. Der Eisverkauf sollte sich jedoch als wenig rentabel entpuppen. Bis er das Eis an die Kunden verkauft hatte, war die Hälfte der Ware geschmolzen. Kühlboxen gab es damals noch nicht. Shimon trug das Eis in Holzkisten, die fast so schwer waren wie das Kind selbst, von Kreuzung zu Kreuzung. Später erlernte er das Schmiedehandwerk. Shimon liebte die Herstellung von Schmuck und Gegenständen aus Edelmetallen. Bis zu seiner Rekrutierung in das israelische Militär übte Shimon das kreative Metallhandwerk aus.

Armeedienst in der Golani-Kampfeinheit

Im Alter von 18 Jahren trat Shimon in den Armeedienst des Heiligen Landes. Er träumte von einer Karriere in einer Kampfeinheit und meldete sich bei der bekannten Golani-Einheit. Shimon diente im 13. Bataillon des sogenannten „Gdud Gidon“. Der junge Mann wurde aufgrund seiner herausragenden Leistungen und Führungsqualitäten schnell zum Truppführer. Mit seinen fast 80 Jahren vergisst Shimon heute das ein oder anderen Ereignisse in seinem Leben. Fragt man ihn jedoch nach seiner Militär-ID, kommt die Antwort sofort: „462978. Es gibt Zahlen, die vergisst man sein ganzes Leben nicht!“

Shimon in den ersten drei Monaten seines Armeedienstes. In der Golani Kampfeinheit durchlief er eine anstrengende Grundausbildung. Trotz allem liebte er seinen Dienst. Viele tiefe Freundschaften entwickelten sich über die Jahre. Einige davon halten bis heute an.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

1962 nahm Shimon an seiner ersten Militäroperation teil: Die Mission „Snunit“. Syrien beschoss israelische Fischer auf dem See Genezareth mit Raketen. Die Boote, die sich auf israelischem Territorium befanden, gerieten wiederholt in syrisches Feuer. Die Golani-Brigade und die Spezialeinheit Shayetet 13 sollten die Ruhe wiederherstellen. Shimon erzählt, dass die Mission undurchdacht war und die Soldaten unvorbereitet in den Kampf geschickt wurden. Zeit, ihre Waffen und Munition zu überprüfen, hatte man ihnen nicht gegeben. Bei schweren, blutigen Gefechten innerhalb des syrischen Dorfes Nukayeva stockte Shimons Maschinengewehr mehrfach. Bei der Waffe schien ein technisches Problem vorzuliegen. Wie durch ein Wunder wurde Shimon bei den Kämpfen mit seiner defekten Waffe nicht verletzt. Die israelischen Streitkräfte zogen sich mit sieben Toten und einem verschwundenen Soldaten nach bereits zwei Kriegstagen aus der Operation zurück.

Reservedienst: Die ruhigen Tage verbrachte Shimon mit dem Lesen oder mit dem Schreiben von Briefen an seine Familie. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Shimon beendete nach drei Jahren seinen Pflichtdienst, sollte jedoch als Reservist weiterhin in der Armee dienen.

Kriege überschatten das Familienleben

Shimons Vater hatte sofort nach ihrer Ankunft in Jerusalem einen kleinen Laden in der Innenstadt eröffnet. Er verkaufte Obst, Gemüse und Konserven. Im Alter von 21 Jahren, am Ende seines Armeedienstes, begann Shimon bei seinem Vater mitzuarbeiten. Im gleichen Jahr lernte er seine große Liebe Rifka kennen. Shimon erzählt gerne, dass seine Herzensdame die schönste unter allen Mädchen war. Rifka war ebenfalls eine kurdischstämmige Jüdin aus dem damaligen Persien. Eine Heirat unter Stammesgenossen wurde damals befürwortet. Am 10. März 1966 gab sich das Paar das Ja-Wort und wurde bald mit bezaubernden, gesunden Kindern gesegnet.

Turteltauben: Im Jahr 1966 gab sich das junge Paar das Ja-Wort. Zuvor hatte Shimon ganz nach Tradition bei Rifkas Vater um die Hand seiner Herzensdame anhalten müssen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Doch die Kriege Israels sollten das Familienleben überschatten. Shimon kämpfte in zwei der schwersten Kriege Israels. Die israelische Armee wurde zu einer zentralen Säule des jungen Familienlebens.

Der Sechstagekrieg brach über Israel herein. Das erste Kind von Shimon und Rifka war zum damaligen Zeitpunkt gerade ein halbes Jahr alt. Shimon wurde als Reservesoldat eingezogen und an die jordanische Grenze geschickt. Shimon und seine Truppe glänzten durch einen schnellen Sieg über die jordanischen Truppen. Schon kurz danach wurde die Einheit in den Norden zur Unterstützung gegen Syrien angefordert. Auf dem Weg in den Norden durchquerten die Soldaten Jerusalem. Die Gerüchte eines raschen Sieges hatten Jerusalem erreicht und man erwartete die Soldaten zu einem Ehrenmarsch im Stadtinneren. Shimons kleine Schwester Malka stand am Straßenrand und versuchte ihren großen Bruder in dem Panzerkonvoi zu erspähen. Niemand wusste zum damaligen Zeitpunkt über den Verbleib und das Schicksal seiner Liebsten Bescheid. Als sie ihren großen Bruder entdeckte, rannte sie auf die Straße und brach vor Aufregung und Freude zusammen. Shimon stieg aus seinem Panzer und hob sein Schwesterchen vom Boden auf. Ein kurzer Kuss und der Soldat zog weiter in den Norden. Schon am Ausgang zu Jerusalem erlitt der Trupp zwischen Ramot und Mevaseret Zion in dem palästinensischen Dorf Beit Iksa erste Verluste. Shimon verlor drei seiner Soldaten.

Grausamer Yom Kippur-Krieg

Shimon erzählt, dass die Kämpfe des Sechstagekrieges mit dem späteren Yom-Kippur-Krieg nicht zu vergleichen wären. Die Verluste, die Israel in dem darauffolgenden Krieg erlitt, waren grausam.

Der 79-Jährige erinnert sich bis heute an den 6. Oktober 1973. Das Ehepaar befand sich damals mit ihren drei Kindern in der Synagoge. Plötzlich zerschnitt das Heulen der Sirenen die Gebete des heiligen Versöhnungstages. Shimon und Rifka ergriffen ihre Kleinen und rannte nach Hause.

Shimon trommelte als Truppführer alle seine Soldaten zusammen, Rifka stricht Dutzende von Broten. Die Männer hatten den ganzen Tag über gefastet. Verzweifelt versuchte sie, auf die Schnelle so viel Proviant wie möglich bereitzustellen. Shimon erzählt: „Jedes Mal, wenn ein Krieg ausbrach, hatte ich ein kleines Baby daheim.“ Das jüngste der Kinder war damals gerade drei Monate alt.

Keine zwei Stunden später wurden die Soldaten mit Lastwagen am Jerusalemer Schwimmbad eingesammelt und in den Norden zum Kodani-Panzerstützpunkt gefahren. Shimon und seine Einheit kämpfte dort unerbittlich gegen syrische Truppen. Viele israelische Soldaten trugen in den Schlachten noch die Kleider, die sie in der Synagoge an hatten.

Selbst als dreifacher Familienvater wurde Shimon als Offizier in den Reservedienst einberufen: Shimon steht vor einem jordanischen Panzer, den die Soldaten während dem Yom-Kippur-Krieges eingenommen hatten. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Israels Verluste waren extrem hoch. Damals gab es keine Organisation wie Zaka, die sich um die Bergung menschlicher Überreste kümmert. Israel verlor in den Kämpfen des Yom-Kippur Krieges Hunderte Soldaten. Die jüdische Bestattungsorganisation „Hevrat Kadisha“ war mit der Leichenbergung überfordert. Shimon hatte als Truppführer die schwierige Pflicht, die Körper toter Soldaten und Leichenteile nicht auf dem Schlachtfeld zurückzulassen. Zusammen mit seinen Soldaten sammelte der Reservist während Feuerpausen mit bloßen Händen die sterblichen Überreste der Kameraden ein und besprühte sie mit Maden-Bekämpfungsspray. „Hevat Kadisha“ fotografierte die Überreste der getöteten Kämpfer. Kleine Utensilien der Toten wurden in Getränkeflaschen gepackt und mit dem Namen des Gefallenen beschriftet. Die Flaschen sollten später den Angehörigen übergeben werden. Lastwagen für Lastwagen wurde mit toten Soldaten beladen. Ein großer Traktor grub ein tiefes Loch in die Erde und Shimons Trupp legte die Leichenteile in das Grab. Zeit, um die Überreste geordnet zu begraben, gab es nicht. Die Bilder brannten sich tief in die Erinnerungen des Kämpfers ein. Mehr möchte Shimon von den Kämpfen nicht berichten: „Es war sehr, sehr schlimm.“

Kriegstraumata

Rifka erzählt, dass ihr Ehemann es sich niemals anmerken ließ, dass die Kriege tiefe Traumata bei ihm hinterlassen haben. Shimon war immer ein sehr ruhiger und ausgeglichener Ehemann. Nach den Kriegen war der Vater jedoch nicht im Stande, seine Kinder zu umarmen und die Kleinen auf den Arm zu nehmen. Er erklärte ihr damals, seine Hände seien beschmutzt. Seine unschuldigen Kleinen könne er mit diesen Händen nicht berühren. Israel verlor im Yom Kippur-Krieg letztlich mehr als 2.650 Soldaten.

Mehr als einmal blickte Shimon dem Tod ins Gesicht. Er weiß, dass er im Krieg oft hätte sterben können, doch göttliche Gnade schenkte ihm das Leben. Der Krieg durfte zwar nicht Hand an Shimons Leben legen, doch nahm er ihm einen Teil seiner Freude, seiner Seele und seines Geistes. Shimon verlor viele seiner Freunde. Jeder Einsatz hinterließ Wunden. Verletzungen, die langsam vernarben, aber jeder weitere Krieg riss diese Narben wieder auf. Sie existieren bis heute.

Familie zerbricht an Schicksalsschlag

Nach zwei grausamen Kriegen wurde Shimon 1985 aus dem Reservedienst entlassen. Nun konnte er sich auf seinen kleinen Laden in der Innenstadt konzentrieren. Das Geschäft leitete er zusammen mit seinen beiden Brüdern Pasho und dem Nesthäkchen der Familie, Judah. Der Haim Gani-Clan genoss das ruhige Leben, in dessen Zentrum die Familie stand. Jeden Schabbat versammelten sich alle fünf Kinder mit Ehefrauen und Enkeln zu einem großen, üppigen Essen. Es sind Momente, die dem Großvater mit Stolz füllen. Am Tisch saßen alle seiner Schätze, für die er in den Krieg gezogen war.

Shimon in seinem kleinen Geschäft in der Shlomzion-Strasse der Jerusalemer Innenstadt. Seit seinem 21. Lebensjahr arbeitet er in dem Tante-Emma-Lädchen. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Am 22. Februar 2004 sollte das Fundament der Familie jedoch ein weiteres Mal erschüttert werden. Shimon begann einen regulären Arbeitstag in seinem Laden. Sein Bruder Judah hatte kurz zuvor angerufen und Bescheid gegeben, dass er heute etwas später seine Schicht antreten würde. Sein Auto hatte technische Probleme und er wollte ihn gleich am Morgen in der Werkstatt abgeben. Judah hoffte, dass sein Fahrzeug bis zum Nachmittag wieder fahrtüchtig wäre. Er gab das Auto im Jerusalemer Stadtteil Talpiot zur Reparatur ab und entschied sich, mit dem Bus zur Arbeit zu fahren. Judah benutzte die Buslinie 14. Mit ihm bestieg ein weiterer Passagier den Linienbus. Der Rucksack des unscheinbaren Mannes war gefüllt mit Sprengstoff, Nägeln und Schrauben. Die Metallteile sollten das Grauen des geplanten Anschlags maximieren. Der Terrorist wartet einige weitere Stationen ab, bis sich der Bus füllte. Viele Kinder nutzten die Buslinie auf dem Weg zu ihrer Schule. Um 8.30 Uhr, neben dem Jerusalemer Glockenpark, betätigte der Selbstmordattentäter den Auslöser. Mehr als 60 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, darunter elf Schulkinder. Acht Menschen riss der Terrorist mit in den Tod. Unter den Todesopfern war auch Judah.

Nichts sollte wieder so sein wie zuvor. Mutter Dina konnte sich den Rest ihres Lebens nicht mehr von dem Verlust ihres jüngsten Sohnes erholen. Ein schwerer Schock legtee sich auf den Haim Gani- Clan. Jeder verarbeitete den Verlust auf andere Weise. Die Geschwister gingen von diesem Zeitpunkt an getrennte Wege. Die Kraft, näher zusammenzurücken, fand die Familie nicht. Sie zerbrach an dem Schicksalsschlag.

Israels alte Generation – Vergessene Helden

Bis heute redet Shimon nicht viel. Aber seine Kinder und Enkel fühlen sich von ihrem Vater und Opa geliebt. Er genießt es, auf der Couch zu sitzen und den Kleinen beim Spielen zuzusehen. „Um dieses Lächeln sehen zu können“, sagt Shimon und deutet auf einen seiner kleinsten Enkel, „dafür lebe ich heute.“.

Trotz seiner schwierigen Kindheit war Shimon ein liebender Vater und ist heute mit Leib und Seele Opa. Die Liebe seiner Enkel heilt fast alle Wunden. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

Shimon Haim Gani gehört zu einer Generation von Menschen, die den Staat Israel innig lieben. Eine Generation vergessener Kämpfer. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, über die Befreiungskriege des jungen jüdischen Staates zu berichten, erwacht in ihren Augen der mutige, junge Patriot von damals. Ohne das Opfer dieser Generation und Gottes schützende Hand über seinem Volk würde das Land Israel heute nicht existieren. Oft wird alten Mitmenschen nicht mit dem nötigen Respekt begegnet. Der Mensch neigt dazu, schnell zu vergessen. Den unbeschreiblichen Dienst am jüdischen Volk rechnet man den Alten nicht genug an. Wir existieren, weil sie für uns kämpften. Wir sollten lernen, unserem Gegenüber mit mehr Geduld und Verständnis entgegenzutreten. Ein liebes Wort und eine nette Geste heilt die menschliche Seele und hinterlässt mehr Segen, als man sich ausmalen kann.

Für uns sind Shimon und seine Generation Helden. Opas und Väter, die vor nicht allzu langer Zeit in den Krieg zogen, in der Hoffnung, ihren Kindern und Enkeln eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Statt Umhang trugen sie Uniform.

Titelbild: Shimon Haim Gani in der Synagoge beim Shacharit, dem Morgengebet. Der fast 80-Jährige gehört einer Generation vergessener Helden an. Mit freundlicher Erlaubnis von Shimon Haim Gani

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