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Helden ohne Umhang (48) – Moshe Nussbaum: „Spitzenreporter und Kämpfer“

JERUSALEM, 22.07.2022 – Seit mehr als 34 Jahren arbeitet Moshe Nussbaum als einer der angesehensten Reporter Israels. Er beschützte sein Land im Jom-Kippur-Krieg und wurde als Offizier im Reservedienst in der ersten Intifada schwer verletzt. Heute geht sein persönlicher Kampf weiter. Diesmal jedoch nicht gegen palästinensische Terroristen, sondern gegen die unheilbare Krankheit ALS. Eine Geschichte über Mut, Tapferkeit, Anerkennung und den Bruch von Stereotypen.

Kindheit und Armeedienst

Moshe Nussbaum wurde am 11. Oktober 1953 in Israel geboren. Seine Kindheit verbrachte er in der Küstenstadt Netanya. Nach seinem erfolgreichen Schulabschluss trat er im Jahr 1971 in den Dienst der israelischen Armee. Er beschloss, im 202. Bataillon der bekannten Fallschirmjäger-Brigade zu dienen. Moshe stach durch herausragende Leistungen hervor und begann kurze Zeit später einen Offizierskurs innerhalb der Einheit. Am 6. Oktober 1973 brach der Jom-Kippur-Krieg über den jungen jüdischen Staat herein.

Moshe musste seinen Offizierskurs abbrechen und wechselte zu einer Panzerkompanie. Moshe diente bis zum Ende seines Militärdienstes als Stabsfeldwebel im Kampfbataillon. Nach seiner Armeezeit beschloss Moshe, an der Hebräischen Universität in Jerusalem Politikwissenschaften und das Fach der „Internationalen Beziehungen“ zu studieren. Ein Master in Kommunikation folgte.

Erste Intifada

Moshes Journalismus-Karriere begann als Radioreporter für Polizeiangelegenheiten bei der öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalt „Kol Israel“, zu deutsch „Stimme Israels“. Kurze Zeit später nahm Moshe im Jahr 1986 an der beliebten Fernsehsendung „Ein Blick in die Vergangenheit“ im ersten israelischen Kanal teil und erreichte schnell nationale Berühmtheit.

Israelische Polizisten mit Waffen und Schilden fliehen vor einem Feuer, das während der Ersten Intifada in den Straßen von Hebron wütete. Die Intifada war ein palästinensischer Massenaufstand gegen die israelische Herrschaft in den palästinensischen Gebieten. 02. Juli 1997. Foto: Nati Shohat / Flash90

Moshe diente trotz seiner steilen Karriere im Fernsehen weiterhin als Reservist in der israelischen Armee. Während der ersten Intifada (Palästinenseraufstand), die am 9. Dezember 1987 ausbrach, war Moshe als Offizier im Reservedienst im hochexplosiven Sektor um Ramallah stationiert. Er war mit weiteren Soldaten mit einem Militärjeep im sogenannten Dolev-Abschnitt auf Streife, als radikale Palästinenser einen Molotowcocktail auf den Armeewagen warfen. Im Gegensatz zur zweiten Intifada, die durchgehend von Selbstmordattentaten geprägt wurde, griffen während der ersten Intifada die palästinensischen Bewohner in Judäa und Samaria, Ramallah und dem Gazastreifen vorwiegend zu Steinen und anderen improvisierten Waffen. Daher ist die Erste Intifada in Israel auch unter dem Namen „Steinerner Krieg“ bekannt.

Anschlag bei Ramallah

Moshe und seine Soldaten wurden von dem Angriff überrascht. Eine laute Explosion, der Jeep ging in Flammen auf. Der gesamte rechte Arm des Offiziers brannte. Moshe sprang aus dem Wagen und suchte nach einem Stück Erde, um das Feuer an seinem Körper zu ersticken. Die Mission erwies sich als äußerst schwierig, da die Seitenstreifen der Fahrbahn extrem schmal waren. Moshe entdeckte einige Meter weit entfernt einen freien Platz neben der Straße. Er rannte zu dem sandigen Abschnitt und rollte sich auf dem Boden hin und her in dem verzweifelten Versuch, die Flammen zu löschen.

Die verletzten Soldaten waren nicht im Stande, Hilfe anzufordern, da sich das Funkgerät in dem brennenden Fahrzeug befand. Sie befürchteten, der Jeep könne explodieren, sollten sie sich dem Wagen nähern. Um dennoch das Augenmerk anderer Militäreinheiten auf die schwer verletzte Truppe zu ziehen, feuerten die Soldaten mit ihren Waffen unaufhörlich in die Luft. Mit Erfolg. Nach 25 langen Minuten wurde eine weitere Armeestreife zum Unfallort geschickt. Die Einheit konnte über Funk medizinische Hilfe anfordern und die verletzten Soldaten in Sicherheit bringen. Moshe wurde bei dem Attentat schwer verletzt. Er erlitt Verbrennungen am ganzen Körper und musste wochenlang im Hadassa-Krankenhaus in Jerusalem behandelt werden.

Moshe litt nach der Terrorattacke lange Jahre unter posttraumatischen Störungen. Er war nicht im Stande, Fleisch zu riechen oder gar einen Grill anzuwerfen. Alles erinnerte ihn an die grausamen Momente, die er in dem brennenden Armeewagen erlebte. Die Ereignisse hatten Besitz von Moshes Geist und Seele ergriffen. Nur zwei Jahre später sollte Moshe und seine Familie in ein weiteres terroristisches Ereignis verwickelt werden.

Terroranschlag am Ozean

Es war am 30. Mai 1990, die erste Intifada war noch immer in vollem Gange. Familie Nussbaum genoss bei angenehmen sommerlichen Temperaturen den weißen Sandstrand von Nitzanim, nördlich der Küstenstadt Aschkelon. Sie versuchten, die schwierigen Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate zurückzulassen und am Meer ein wenig Ruhe zu finden. Israel zelebrierte gerade die Schavuot-Feiertage und viele Familien mit Kindern strömten an die Strände. Die Nussbaums ahnten noch nicht, dass sie bald in einen Seeangriff schwer bewaffneter palästinensischer Terroristen verwickelt werden sollten.

Eines der Terroristen-Schnellboote. Das Schiff wurde am 30. Mai 1990 am Strand von Nitzanim an Land zurückgelassen. Geplant war die Ermordung aller Badegäste und die Übernahme eines Strandhotels Foto: Clandestine Immigration and Naval Museum, Haifa

Die israelische Armee gab dem versuchten massiven Anschlag später den Namen „Avkat Drachim“, was auf Deutsch so viel wie „Straßenstaub“ bedeutet. Die geplante Terrorattacke wurde von Abu Jihad, dem Kommandeur des militärisch-terroristischen Flügels der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“, kurz PLO, persönlich sorgfältigst geplant. Abu Jihad hatte bereits mehrere Anschläge auf die „zionistischen Besatzer“ über das Meer verübt. Bei einer Attacke auf das Savoy Hotel im Jahr 1975 erreichten acht Terroristen die Küste von Tel Aviv und verbarrikadierten sich in dem kleinen Strandhotel. Elf Israelis wurden bei dem Terroranschlag getötet. Drei Jahre später, im Jahr 1978, gingen Terroristen am Strand von Ma’agan Michael an Land und brachten einen Bus auf der Küstenstraße in ihre Gewalt. Der blutige Angriff kostete 35 Israelis das Leben. Weitere 70 wurden schwer verletzt.

Das israelische Militär befand sich nach den blutigen See-Angriffen in höchster Alarmbereitschaft. Warnungen deuteten darauf hin, dass die Küste Tel Avivs zum Ziel der Terrororganisation werden könnte.

Operation Straßenstaub

Der israelische Geheimdienst sammelte über Wochen Informationen zu dem geplanten Blutbad. Das Militär war sich im Bilde darüber, dass ein Terroranschlag am Meer geplant war, doch standen sie vor einer komplexen und komplizierten Angelegenheit. Die israelische Marine rief die höchst mögliche Alarmstufe aus. Fast alle Kampfschiffe der Marine patrouillierten in der Nacht zum 30. Mai 1990 vor den Küsten.

Ein Mutterschiff der PLO lagerte zeitgleich in libyschen Gewässern. 160 Kilometer vor der israelischen Küste ließ das Mutterschiff sechs Schnellboote ins Wasser. Die Zodiac-Kommandoboote machten sich auf den Weg zum Strand von Tel Aviv. Das Ziel der Terrororganisation war eine Wiederholung der Ereignisse von 1975 – die Tötung der dortigen Badegäste und die Übernahme eines der Strandhotels.

Doch die Terroristen hatten einen langen Weg auf stürmischer See vor sich. Schnell erkannten sie, dass der Treibstoff nicht für alle sechs Boote reichen würde. Sie beschlossen, die Attacke mit nur vier Schnellbooten durchzuführen. Ein weiterer Zodiac zeigte plötzlich technische Fehlfunktionen, was den Terroristen letztendlich drei intakte Kommandoboote übrig ließ. Die Terroristen wurden von der israelischen Patrouille auf See überrascht. Eines der PLO-Boote, das mit fünf Kämpfern bestückt war, drehte nach Norden ab, ein weiteres mit 11 Terroristen nach Süden. Das dritte Schiff mit nur einem palästinensischen Seefahrer flüchtete nach Ägypten. 

Das erste Terrorboot wurde von der israelischen Marine und der Luftwaffe vor der Küste von Gaash gestellt. Den fünf Palästinensern ging der Treibstoff aus und sie kapitulierten kampflos.

Ein weiteres Objekt wurde auf dem Marine-Radar in der Gegend von Aschkelon entdeckt. Die Aufklärungsoffiziere der Luftwaffe bestätigten kurz darauf das Schnellboot vor der Küste Israels. Bei tieferem Flug konnten die Piloten 11 Personen in Tarnkleidung erkennen. Es war sofort klar, dass es sich nicht um Touristen, sondern ein Terrorkommando handelte. Es war gegen 8.30 Uhr: Der Strand von Nitzanim war voll mit fröhlichen Badegästen. Die Piloten des Aufklärungsflugzeuges forderten Verstärkung an und versuchten mit dem Flugzeug das Schnellboot zu attackieren. Ein Patrouillenschiff der Marine, genannt „Dabur“, erreichte das Kommandoboot und nahm die Terroristen unter Beschuss. Doch das kleine Boot war wendiger und schneller und wich dem Feuer problemlos aus. Das Schnellboot ging nur 100 Meter von den Badegästen entfernt an Land.

Moshe dokumentiert den Anschlag 

Familie Nussbaum wurde auf die Schüsse und Feuersalven aufmerksam. Sie erkannten das kleine Boot auf dem Meer, das unter Beschuss genommen wurde. Moshe war sofort klar, dass es sich um eine ungewöhnliche Situation handelte, und er brachte seine Familie zurück ins Auto. Er packte ein Tonbandgerät und sein sperriges Mobiltelefon und rannte zurück an den Strand.

Moshe hörte, wie die Rettungsschwimmer über Lautsprecher die Badegäste aufforderten, den Strand zu verlassen. Unter den Besuchern brach Panik aus. Moshe dokumentierte die Schüsse und rief die Militärkorrespondentin seines Radiosenders Kol Israel an. Er suchte in einem Graben Schutz und dokumentierte das ununterbrochene Feuer. Kurze Zeit später erreichten starke Polizeikräfte und Hubschrauber den Strand. Die Terroristen hielten sich bereits 20 Minuten in den Büschen des Strandes versteckt. Vier von ihnen wurden durch israelisches Feuer getötet, sieben Weitere wurden lebend gefangen genommen. Moshe berichtete als einziger israelischer Journalist über den genauen Verlauf.

Die Menge der beschlagnahmten Waffen, Raketen, Raketenwerfer, Gewehre, Gasmasken und kugelsicheren Westen deuteten darauf hin, dass der Anschlag einer der tragischsten Seeangriffe werden sollte, den Israel je gesehen hatte. Foto: Clandestine Immigration and Naval Museum, Haifa 

In einem Interview im Jahr 2017, 30 Jahre nachdem die erste Intifada das jüdische Land überrollt hatte, zeigte sich Moshe bestürzt. Drei Jahrzehnte waren seit den Ereignissen vergangen, doch hatte sich die Sicherheitslage in Israel nicht verändert. „Wir berichten immer noch über die gleichen Anschläge und Attentate – nichts hat sich verändert“, beklagte er.

Steile Journalistenkarriere

Mit der Gründung des Nachrichtenkanals „Channel 2“ im Jahr 1993 verließ Moshe seine Arbeit als Radioreporter bei Kol Israel und begann seinen Dienst als Fernseh-Reporter für Polizeiangelegenheiten. Der angesehene und erfahrene Reporter kommentierte Kriege, Terroranschläge und Militäroperationen, dokumentierte Einsätze der Sicherheitskräfte und erörterte politische Sachlagen.

Während seiner 34-jährigen Journalistenkarriere deckte Moshe eine lange Liste der wichtigsten kriminellen Ereignisse Israels auf. Dazu nahm er auch an strafrechtlichen Ermittlungen gegen hochkarätige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teil, darunter der ehemalige Premierminister Ehud Olmert und der israelische Präsident Moshe Katzav. Der mutige Reporter scheute keine sogenannten gefährlichen Gebiete. Oft wurde er von Steinewerfern und anderen Radikalen angegriffen. Von seiner journalistischen Verantwortung konnte ihn in verschiedenen Fällen nicht einmal der Generalstaatsanwalt abbringen. Die menschlichen Prinzipien und seine solidarischen Grundsätze, an welchen Moshe festhielt, sind beeindruckend.

An Muskeldystrophie erkarnkt

Auch in Israel nahm die Gewalt innerhalb der Zivilbevölkerung vehement zu. Mehrfach wurde Moshe mit schweren Drohungen konfrontiert. Oft müssen Nachrichtenreporter sich mit Morddrohungen ihres Publikums auseinandersetzen. Die Gründe sind meist banal. Oft teilen die Angreifer nicht die politische Meinung des Reporters oder sehen die Berichterstattung als „Fake News“ an. Doch Moshe hielt an seinen politischen Standpunkten fest, trotz aller Schwierigkeiten. Zum Schweigen brachte den ehrgeizigen Journalisten nichts. Nicht einmal die langsam fortschreitende Muskelschwund-Krankheit ASL vertrieb Moshe vom Bildschirm.

Die israelischen Zuschauer und Moshes Kollegen verfolgen die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Die Sprache des Journalisten war beeinträchtigt. Er sprach leise und deutlich langsamer als früher. Der rhetorisch so starke 69-Jährige schien nach den passenden Worten suchen zu müssen.

Daraufhin gab der Journalist bekannt, dass er an ALS, einer unheilbaren Muskeldystrophie, erkrankt ist. Die Erkrankung des motorischen Nervensystems führt zu einer fortschreitenden Lähmung der Muskulatur. Folglich haben ALS-Patienten Schwierigkeiten zu schlucken, zu sprechen und zu atmen. Fast immer führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zum Tod. Seelische Spannungen, Druck, Lebensängste sowie traumatische Ereignisse sind schwerwiegende Komponenten und begünstigen den Ausbruch von ALS. Dennoch gab Moshe seinen geliebten Job vor der Kamera nicht auf. Er kündigte zwar seine Absicht an, seine Auftritte zu reduzieren, aber ganz möchte Moshe seinem geliebten Job nicht den Rücken kehren – sehr zur Freude seines unterstützenden Publikums und seiner Kollegen. Noch immer werden Menschen mit körperlichen Einschränkungen von der Gesellschaft als nicht vorzeigbar wahrgenommen. Das gilt besonders für das Fernsehen und die Medienwelt.

Der israelische Journalist Moshe Nussbaum bei einer Konferenz der Israeli Television News Company im Jerusalem International Convention Center (ICC) am 3. September 2018. Foto von Yonatan Sindel / Flash90

Daher dankte Moshe dem Management seines Senders dafür, dass er trotz seines Gesundheitszustands weiterhin in den Studios des israelischen Fernsehens sitzen durfte: „Dass ich in den letzten Monaten trotz meiner langsamen und ungewöhnlichen Aussprache weiter senden darf, ist eine besonders mutige Entscheidung und unterstützt außergewöhnliche Werte. Sie verdient jegliches Lob. Ich hebe meinen Hut vor den Entscheidungsträgern. Vielen Dank an alle“, so Moshe in einer kurzen Pressemitteilung.

Liebevoller Opa

Moshe ist mit seiner großen Liebe Nava verheiratet und gemeinsam hat das Paar drei Kinder. Familie Nussbaum lebt in Givat Zeev, einer städtischen Siedlung fünf Kilometer nordwestlich von Jerusalem. 

Vor zwei Jahren wurde Moshe im Schatten der Coronakrise zum ersten Mal Opa. Die damaligen Auflagen ließen es jedoch nicht zu, dass die frisch gebackenen Großeltern den winzigen Familienzuwachs besuchen konnten. In einer Liveübertragung wurde Moshes Sohn Roi zugeschaltet, der dem sichtlich gerührten Großvater sein kleines Enkeltöchterchen vorstellte. Die Tränen konnte der stolze Opa kaum zurückhalten. Er gab so einen kleinen Einblick in die sensible Persönlichkeit hinter dem wagemutigen Polizeireporter. 

Moshe Nussbaum ist wohl der bekannteste, fleißigste und ehrgeizigste Journalist Israels. Seit über 34-Jahren berichtet er von Tatorten und ist seit Jahrzehnten einer der gefragtesten Feldkorrespondenten. Mit seiner Erkrankung zeigt Moshe jetzt eine andere Seite der Nachrichtenreportage zur Primetime des israelischen Fernsehens. Er zeigt sie so natürlich und menschlich wie kaum ein anderer vor ihm. Moshe macht einer nach Perfektion strebenden Medienwelt deutlich, dass auch Platz für Menschen mit körperlichen Einschränkungen und Schwierigkeiten ist. Mit seinem eigenen Überlebenskampf kämpft er für die Akzeptanz der Vielfalt aller Menschen in allen Gesellschaftsgruppen. Für uns ist Moshe ein Held. Statt Umhang trägt er ein Mikrofon.

Titelbild: Moshe Nussbaum ist einer der beliebtesten und gefragtesten Polizeireporter Israels. Foto: Yonatan Sindel / Flash90

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