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Künftige Regierung macht vielen Israelis Sorgen – Wie religiös soll der Staat sein?

07.12.2022 (TM) – Israel bekommt voraussichtlich die religiöseste Regierung seiner Geschichte. Der designierte Regierungschef Benjamin Netanjahu bildet eine Koalition aus religiös-zionistischen und ultraorthodoxen Parteien. Kritiker warnen vor einem jüdischen „Gottesstaat“, in dem die Strenggläubigen das Sagen haben und Minderheiten wie Muslime und Christen um ihre Rechte bangen müssen. Netanjahu hat dem öffentlich widersprochen. Doch einige Aussagen seiner künftigen Minister sorgen für Irritationen.

Der Abgeordnete Avi Maoz von der extremistischen Anti-LGBT-Partei Noam sorgte heute für Empörung, als er die scheidende Regierung von Yair Lapid mit den hellenistischen Juden verglich, die in der Chanukka-Geschichte die Bösewichte sind. Formen der „liberalen Religion“ seien „Dunkelheit“, die vertrieben werden müsse. Maoz soll in der Koalition von Benjamin Netanjahu Einfluss auf die Lehrpläne in den Schulen nehmen und ein neues Amt für „jüdische Identität“ erhalten. Er kritisierte den Zustand des Schulwesens und behauptete, es werde „vom Ausland, von ausländischen Geldern und Organisationen und von ausländischen Agenden beeinflusst“. Seine politischen Gegner warfen ihm vor, dass er entscheiden wolle, „wer ein guter und wer ein schlechter Jude ist.“

Kontroverse um „Großvater-Vorschrift“

Die Religiösen in der künftigen Regierung haben angekündigt, sie wollten die „Großvater-Vorschrift“ kippen. Bisher hat der Staat Israel all jene Menschen als Juden anerkannt, die mindestens ein jüdisches Großelternteil haben. Die Ultraorthodoxen wollen aber nur noch jene anerkennen, die eine jüdische Mutter haben, gemäß dem Religionsgesetz. Viele Einwanderer nach Israel, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, erhalten die israelische Staatsbürgerschaft aufgrund der „Großvater-Vorschrift“ des Rückkehrgesetzes. Die Forderung der Ultraorthodoxen stieß selbst in Netanjahus Likud-Partei auf Widerstand. Der frühere Minister Yuri Edelstein, der selbst Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion hat, warnte: „Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: In fünf Jahren wird es in Israel kein Rückkehrgesetz mehr geben, da andere aus verschiedenen Gründen weitere Änderungen fordern werden.“

Verurteilter Straftäter als Innenminister?

Die Strenggläubigen wehren sich zudem strikt dagegen, dass am Schabbat Busse oder Bahnen fahren dürfen. Auch stehen viele dem staatlichen Schulsystem kritisch gegenüber. Statt Englisch und Mathematik sollten die Schüler lieber die Thora lernen, hieß es. Für Kopfschütteln bei vielen Israelis sorgt die Tatsache, dass Aryeh Deri erneut Innenminister werden soll. Deri (63) war im Jahr 2000 zu vier Jahren Gefängnis wegen Korruption, Betrugs und Amtsmissbrauchs verurteilt worden. 2021 wurde vor dem Jerusalemer Amtsgericht erneut Anklage wegen Steuervergehen gegen den Vorsitzenden der Schas-Partei erhoben. Um Minister zu werden, braucht Deri eine Gesetzesänderung, die Netanjahus neue Koalition voraussichtlich in die Wege leiten wird.

Künftiger Minister sieht keine Wohnungskrise

Im ganzen Land stöhnen Familien über die kaum noch bezahlbaren Preise für Wohnungen. Der Vorsitzende der Partei „Vereinigtes Thora-Judentum“, Yitzchak Goldknopf, soll neuer Wohnungsbauminister werden. Er erklärte heute, er sehe keine Wohnungskrise im Land. „Die Leute reden immer von einer Wohnungskrise – ich weiß bis jetzt nicht viel über das Wohnungsbauministerium, also weiß ich nicht, ob es wirklich eine Krise gibt“, sagte Goldknopf auf einer von der Nachrichtenseite Walla organisierten Konferenz.

Die liberale Zukunftspartei des bisherigen Premierministers Yair Lapid hat für das kommende Wochenende zu Massendemonstrationen gegen die künftige Regierung aufgerufen.


Bild: Ultraorthodoxe Männer in Bnei Brak – der Einfluss der Strenggläubigen in Israel nimmt stetig zu. Foto: Yossi Aloni/Flash90

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