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Massenproteste gegen die Justizreform – Organisatoren rufen zum Generalstreik auf

JERUSALEM, 12.02.2023 (LS) – Zehntausende Israelis sind am Samstagabend auf die Straße gegangen und haben gegen die Bemühungen der Regierung, den Einfluss des Obersten Gerichtshof zu schwächen und die politische Kontrolle über die Ernennung von Richtern zu übernehmen, protestiert. Die Organisatoren der Proteste erklärten, die Zahl der Protestierenden hätte 200.000 überschritten. Zusätzlich zu den Protesten ist ein Generalstreik am Montag geplant.

Die erste Lesung einiger der umstrittenen Vorschläge ist für Montag angesetzt. Ein Gesetzentwurf muss drei Lesungen durchlaufen, um umgesetzt zu werden, und die Koalition hat angedeutet, dass sie die Gesetzgebung bis April durch die Knesset bringen will.

Hohe Beteiligung

Nach Angaben der Organisatoren versammelten sich am Samstagabend rund 145.000 Menschen in Tel Aviv und weitere 83.000 in anderen Gebieten des Landes, was die bisher höchste Beteiligung an der sechsten Samstagnacht in Folge bedeuten würde. Seitens der Polizei lagen keine Schätzungen vor.

Der Hauptprotest in Tel Aviv begann mit einem Marsch vom Rothschild-Boulevard und einer Versammlung in der Kaplan-Straße. Die Polizei erlaubte den Demonstranten auch, auf der Ayalon-Autobahn zu marschieren. Sie schwenkten israelische Flaggen und trugen Schilder mit der Aufschrift: „Die Zerstörung der Demokratie ist in vollem Gange“.

In Jerusalem versammelten sich Tausende vor der Residenz des Präsidenten und gedachten in einer Schweigeminute der drei Israelis, darunter zwei Kinder, die am Freitagnachmittag bei einem Terroranschlag getötet wurden.

Die Massenkundgebungen finden wöchentlich jeden Samstagabend statt.

Demokratie oder Diktatur

Politiker und Organisationen des rechten politischen Spektrums fordern bereits seit vielen Jahren eine Justizreform. Kritisiert wird vor allem die in den 1990er Jahren eingeführte „Angemessenheitsprüfung“, mit der Richter anfingen zu beurteilen, ob ein Politiker ihrer Meinung nach „vernünftig“ handelte, was mittlerweile dazu geführt hat, dass der Oberste Gerichtshof jedes Gesetz ohne Einschränkung kippen kann.

Die Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle ist jedoch in anderen demokratischen Ländern die Norm. In Großbritannien zum Beispiel, dessen Regierungssystem von Israel mehrheitlich übernommen wurde, hat der Oberste Gerichtshof keine Befugnis, Entscheidungen des Parlaments aufzuheben. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Auswahl der Richter. Amtierende Richter können derzeit mit einem absoluten Vetorecht die Wahl ihre Nachfolger und Kollegen selbst bestimmen. Dies ist in anderen demokratischen Ländern nicht möglich. All diese Mängel sollen nun behoben werden.

Auf der linken Seite der Politik wird hingegen die Angst vor einer Diktatur geschürt. Benjamin Netanjahu will ihrer Meinung nach die absolute Macht im Staat an sich reißen und das muss verhindert werden. Politiker und Medien heizen die Stimmung mit Nazi-Vergleichen und ähnlichen Schlagworten zusätzlich an. So nannte die ehemalige Justizministerin, Tzipi Livni, am Samstagabend den aktuellen Zustand Israels „Faschismus“.

Die Organisatoren der Proteste haben für Montag zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen, der mit den ersten Abstimmungsrunden über das Gesetz zusammenfallen soll, was eine Eskalation der Demonstrationen gegen die umstrittenen Vorschläge darstellen würde.

Am Montagmittag wird es außerdem eine Massenkundgebung vor der Knesset in Jerusalem sowie gleichzeitige Proteste in anderen Städten geben.

Titelbild: Ist Bibi wirklich ein Feind der Demokratie? Foto: Gili Yaari/Flash90

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