16 Jahre nach grausamen Kindermord – Roman Zadorov wird freigesprochen
NAZARETH, 02.04.2023 (NH) – Jahrzehnte nach dem Mord an Tair Rada hat ein israelisches Gericht den verurteilten Mörder Roman Zadorov in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Der lang ersehnte Freispruch erfolgte mit einer Mehrheit von zwei Richtern gegen eine Richterin. Die Richter erklärten, sie gingen davon aus, dass Zadorovs „mutmaßliches Geständnis falsch war und mit den Erkenntnissen des Tatorts nicht übereinstimmt.“ Seit Jahren versuchen Angehörige des Häftlings und Familie Rada, die Unschuld Zadorovs zu beweisen. Der Freispruch führte zu landesweiten Debatten und Kontroversen.
Israels berühmtester Mordfall
Vor 16 Jahren erschütterte ein brutaler Kindermord Israel. Die 13-jährige Tair Rada wurde auf der Schultoilette in der pastoralen Gemeinde Katzrin im Norden des Landes bestialisch ermordet. Der Achtklässlerin wurde mindestens zweimal die Kehle durchgeschnitten, der kleine Körper war mit Stichwunden übersäht, der Kopf mit schweren Schlägen entstellt.
Der Mord, der an Grausamkeit kaum zu übertreffen war, versetze das ganze Land in eine Schockstarre. Die Polizei stand unter immensem Druck, den Mörder der kleinen Tair schnellstmöglich zu stellen. Kurze Zeit später wurde der mutmaßliche Täter Roman Zadorov gefasst. Der Ukrainer arbeitete damals vorübergehend als Bauarbeiter auf dem Schulgelände. Mit wenig Hebräisch-Kenntnissen entlockte die Polizei damals dem hilflosen Häftling ein Geständnis, das er wenige Tage später widerrief. Zadorov wurde trotz unzureichendem Motiv und Indizienbeweisen im Jahr 2010, fast vier Jahre nach seiner Verhaftung, zu lebenslanger Haft verurteilt. Indizien, die auf die Anwesenheit einer anderen verdächtigen Person am Tatort hindeuten, wurden von der Polizei schlichtweg ignoriert. Mit Zadorov hatten sie ihren „Sündenbock“ gefunden. Der Fall Tair Rada wurde zum berühmtesten Mordfall der israelischen Geschichte.
Beteuert seit Jahrzehnten seine Unschuld
Zadorov beteuerte in den letzten 16 Jahren immer wieder seine Unschuld. Nicht nur seine Frau, sondern sogar Ilana Rada, die Mutter des getöteten Mädchens, glaubten dem verurteilten Mörder. Familie Rada führt seitdem eine jahrelange Kampagne. Der öffentliche Druck führte am Ende dazu, dass neue Beweise sichergestellt wurden. Im Jahr 2021 wurde nach zwei erfolglosen Berufungsverfahren die Wiederaufnahme des Falles angekündigt und Zadorov unter Hausarrest gestellt. Vergangene Woche sprach das Bezirksgerichts von Nazareth den Angeklagten in einem dramatischen Gerichtsurteil von dem Mord im Jahr 2006 frei.
Tatsächlich passte das Geständnis des damals 28-jährigen Einwanderers nicht zu dem so gewalttätigen Tatort. Weder Zadorovs Fuß- oder Fingerabdrücke noch seine DNA konnten jemals gesichert werden. Im Gegenteil: Im Jahr 2018 gab das Abu-Kabir-Institut, Israels nationales Zentrum für Rechtsmedizin, bekannt, auf Tairs Körper ein Haar gefunden zu haben, dass nach einer DNA-Analyse nicht Zadorov sondern einer anderen mutmaßlichen Verdächtigen gehöre.
„Zadorov weder ein Sadist noch ein Pädophiler“
Die grausame Szene des Tatorts wird auch von den Richtern in ihrem Freispruch aufgegriffen: „Wie kann es sein, dass es in einer so gewalttätigen Szene wie in unserem Fall, die einen Kampf, ein Handgemenge, Schnitte und das Ablegen der Leiche auf die Toilette beinhaltet, es keine Fingerabdrücke oder andere forensische Befunde gab, die auf den Angeklagten am Tatort hindeuteten?“
Zadorov beeindruckte auch in der letzten Gerichtsverhandlung durch seine Höflichkeit. Die Richter beschreiben ihn als „ruhig, gehorsam und sogar unterwürfig“. Der der heute 45-Jährige zeichnet sich als eine Person aus, die es seinen Mitmenschen recht machen will und keinesfalls als Manipulator, wie es in der Vergangenheit aus Polizeiberichten hervorging. „Die Tatsache, dass gerade am letzten Tag seiner Arbeit an der Schule ein dunkler Trieb aus ihm herausbrach, ist nicht plausibel. Er ist kein Sadist oder Pädophiler und nicht jemand, der zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigt“, so Richter Asher Kola.
Zadorov brach nach seinem dramatischen Freispruch in Tränen aus und dankte seinen Unterstützern: „Die Wahrheit hat gesiegt. Ich bin glücklich. Ich will nach Hause, zu meinen Kindern.“ Auch seine Ehefrau Olga zeigte sich gerührt: „Niemand versteht, was es bedeutet, unschuldig eingesperrt zu sein“. Ilana Rada versprach, nach dem Urteil weiterzukämpfen, bis die Wahrheit ans Licht komme und ihrer kleinen Tair Gerechtigkeit widerfahre. Die Staatsanwaltschaft wird in den kommenden Tagen entscheiden, ob sie Berufung gegen den Freispruch einlegt.
Titelbild: Roman Zadorov (Mitte), seine Frau Olga und weitere Familienmitglieder vor dem Bezirksgericht in Nazareth. Nach 16 Jahren wurde er von der Tat freigesprochen. Foto: Gil Eliyahu/POOL