
Massenprotest für die Justizreform: „Wir lassen uns unseren Wahlsieg nicht stehlen“
von Tommy Mueller, Leiter Fokus Jerusalem
JERUSALEM, 28.04.2023 – Hunderttausende haben am Donnerstagabend vor dem israelischen Parlament und dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem die rasche Umsetzung der Justizreform gefordert. Die Demonstranten wollten ein deutliches Zeichen setzen, dass sie hinter der konservativ-religiösen Regierung von Benjamin Netanjahu stehen. Einige trugen Schilder mit der Aufschrift „64“ – ein Hinweis darauf, dass die Regierungskoalition bei der jüngsten Wahl 64 Sitze errungen hatte, die Opposition aber nur 56. Es könne nicht sein, dass die Minderheit nun mit ihren wöchentlichen Massenprotesten versuche, Druck auszuüben und Netanjahu den Wahlsieg zu stehlen. „Wir sind die Mehrheit und keine Bürger zweiter Klasse“, riefen die Demonstranten. Die Linken seien nicht die einzigen Demokraten im Land. Die Protestierer übten heftige Kritik am Obersten Gerichtshof. Dort überstimme eine elitäre, linksorientierte Gruppe von Richtern regelmäßig die Regierung, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein. Einige Demonstranten trugen orangefarbene Sträflingskleidung, Handschellen und Ketten: „Wir sind Gefangene des Obersten Gerichtshofes“, machten sie deutlich.
Organisatoren: 600.000 Teilnehmer
Die Polizei sprach zunächst von 200.000, später von 300.000 Teilnehmern. Die Veranstalter der Großdemonstration gehen von 500.000 bis 600.000 aus – deutlich mehr als bei den jüngsten Protesten der Regierungsgegner.

Die Demonstranten in Jerusalem kamen mit über 1000 Bussen aus dem ganzen Land und vertraten die unterschiedlichsten Gruppierungen. Eine Gruppe aus Eilat am Roten Meer protestierte neben Veteranen der Golani-Militäreinheit. Bevor mehrere Redner das Wort ergriffen, beteten die Demonstranten und segneten sich gegenseitig.

Justizminister Yariv Levin, Finanzminister Bezalel Smotrich, Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, Nobelpreisträger Professor Israel Aumann und weitere Redner ergriffen das Wort und machten den Demonstranten Mut.

„Keine Bürger zweiter Klasse“
Der Knesset-Abgeordnete Avichay Buaron (Likud-Partei), ein Initiator der Kundgebung, erklärte gegenüber den Medien: „ Wenn es keine Reform gibt, bedeutet das, dass unsere Stimmen in der Wahlkabine nichts wert sind. Wir sind die Mehrheit an den Wahlurnen, aber wir können das Land nicht wirklich regieren. Diese Realität muss sich ändern. Auch das nationalistische Lager darf mitreden, wenn es um die Belange des Landes geht. Wir sind es leid, Bürger zweiter Klasse zu sein.
Wir haben es satt, dass jede Entscheidung, die die Regierung trifft und die den Soldaten oder den Siedlern oder den Bewohnern von Süd-Tel Aviv zugute kommt, vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklärt wird. Wir werden die Proteste nicht einstellen, sondern sie noch verstärken!“

Titelbild: Ein Fahnenmeer vor der Rednertribüne – die bislang schweigende Mehrheit der Israelis hat deutlich gemacht, was sie will. Foto: Gilad Yosian / Fokus Jerusalem