Personalmangel bei der Polizei: Israel bekommt landesweites Chaos und Gewalt nicht in den Griff
JERUSALEM, 07.06.2023 (NH) – Die Polizei Israels befindet sich im Ausnahmezustand. Sie verliert immer mehr Personal. Neben Polizeibeamten, die ihren wohlverdienten Ruhestand antreten, kämpfen die Ordnungshüter seit zwei Jahren gegen eine Kündigungswelle. Mehr als 1000 Polizisten gaben ihren Dienst im vergangenen Jahr freiwillig auf. Mit der wachsenden Bevölkerung steigt auch die Kriminalität auf den Straßen Israels. Mittlerweile gibt es vier bis fünf Mordopfer pro Tag – Tendenz steigend. Vor allem die Gewalt in der arabischen Gesellschaft hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Doch es scheint, dass die israelische Polizei mit der Situation nicht schritthalten kann.
Militäroperation führte zu Gewalteskalation
Nachdem zum Jerusalem-Tag im Jahr 2021 die Terrororganisation Hamas weite Teile des Landes unter Raketenbeschuss genommen hatte, begann Israel eine groß angelegte Militäroperation in Gaza. Während der elftägigen Offensive wurden 4.360 Projektile auf den jüdischen Staat gefeuert. Doch nicht nur der Himmel über Israel brannte. Ein noch nie dagewesener Gewaltausbruch zwischen Arabern und Juden durchzog das Land. Langjährige Freunde und Nachbarn wurden zu verhassten Feinden, Lynchmorde in sogenannten gemischten Städten versetzten das Land in Angst und Schrecken.
Die israelische Polizei stand dem Geschehen oft machtlos gegenüber. Jetzt warnt Israels Polizeichef Kobi Shabtai, dass die Polizei nicht genug Kräfte habe, um Gewaltexzesse wie bei der besagten Armeeoffensive zu bewältigen. Shabtai sieht die Lage als „katastrophal“ an und erklärt, dass inzwischen jede Polizeistation im Land unter Personalmangel leidet. Bereits im vergangenen Jahr fand er erschreckende Worte, um die gefährliche Lage zu beschreiben: „Wir nähern uns einer Situation, bei der wir nicht nur lange Minuten benötigen, um bei einem Notfall wie Mord oder Vergewaltigung einzutreffen, sondern möglicherweise überhaupt nicht in der Lage sein werden, am Tatort aufzutauchen.“ Der Polizeichef sieht in der schlechten Bezahlung der Beamten den Hauptgrund des Personalproblems.
Schlechtes Gehalt und leere Versprechungen
Neben Terroranschlägen und steigender Kriminalität kämpft Israels Polizei mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, wie zum Beispiel bei den wöchentlichen Massendemonstrationen. Der Grundlohn der Polizisten steht in keinem Verhältnis zum Arbeitspensum der Sicherheitskräfte. Doch die schlechten Gehälter sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Israels Ordnungshüter klagen über extrem lange Schichten, nicht bezahlte Überstunden und fehlende Anerkennung für hervorragende Leistungen. Die Überlastung der Beamten führt oft zu Schikane von Offizieren und Kommandanten. Im Schatten des miserablen Polizeisystems trennte sich die israelische Polizei im Jahr 2022 daher von mehr als 2.000 Beamten: 750 gingen in den Ruhestand, 1.050 von ihnen kündigten, weitere 220 wurden entlassen.
Vergangenen April versprach Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, dass unter seiner Aufsicht schändliche Polizeigehälter Geschichte wären. Zwar wurden dem umstrittenen Minister neun Milliarden Schekel, umgerechnet 2,3 Milliarden Euro, für seine neue Nationalgarde versprochen, doch floss kein einziger Schekel in die Kassen der Polizei. Israels Polizisten leiden weiter und mit ihnen auch die Bevölkerung des Landes.
Titelbild: Geringe Gehälter und extrem lange Arbeitszeiten führen zu einer anhaltenden Kündigungswelle bei der israelischen Polizei. Foto: Noam Moskowitz /Flash90