Ex-Geheimagent: Wir müssen Hamas-Führer Yahya Sinwar töten
von Tommy Mueller
JERUSALEM, 03.05. 2024 – Michael Koubi gilt als der erfolgreichste Verhörspezialist, den der israelische Geheimdienst Shin Beth jemals hatte. Namhafte Magazine aus aller Welt haben Artikel geschrieben über den smarten Israeli mit den auffallend blauen Augen, der sieben arabische Dialekte perfekt beherrscht und die Hamas so gut kennt wie kein anderer. Mittlerweile ist der Vater von vier Kindern 78 Jahre alt, aber noch immer ist er ein gefragter Experte. Er weiß genau, wie Islamisten denken.
Im Interview mit Fokus Jerusalem verweist er auf seine besondere Ausbildung: „Ich habe natürlich den Koran studiert. Dieses Wissen habe ich benutzt, als ich meinen Job als Verhörspezialist begann. Dazu war es nötig, fließend Arabisch zu sprechen und den Koran zu kennen. Ich kannte den Koran besser als die Gefangenen, die ich befragt habe. Und das hat mir geholfen.“
Bewegung falsch eingeschätzt
Koubi hat die Hamas seit ihren Anfängen beobachtet. Er räumt ein, dass Israel die Bewegung zunächst falsch eingeschätzt hat: „Da gab es ein Komitee im Gazastreifen, das im ganzen Gebiet viele Moscheen baute. Dort haben sie gebetet. Sie hatten anfangs mit Terror gar nichts zu tun. Wir haben ihnen viel Geld gegeben. Die israelischen Behörden dachten, es sei besser, religiös zu sein als sich mit Terror zu beschäftigen. Das war damals unsere Überlegung. Leider erfuhr ich 1983 von einem Agenten, dass sie beschlossen haben, mit dem Dschihad zu beginnen. Aber nicht mit dem Dschihad, der im Koran beschrieben wird. Sie nutzten eine sehr schlechte Interpretation des Dschihad. Ihr Anführer, Scheich Jassin sagte, dass sie alle Juden umbringen müssten, in Israel und im gesamten Nahen Osten, um dann einen Islamischen Staat an der Mittelmeerküste zu errichten.“
Der querschnittsgelähmte Scheich Ahmad Jassin wurde zusammen mit 25 Gesinnungsgenossen verhaftet, Michael Koubi befragte ihn unzählige Stunden. Legendär ist, wie der israelische Verhörspezialist Zugang zu dem Islamisten erlangte: Er forderte den Geistlichen zu einem Quiz über den Koran heraus – und gewann.
„Der Konflikt ist religiös“
Der Ex-Geheimagent ist nach den langen Verhören der Hamas-Mitglieder davon überzeugt, dass es bei dem Konflikt nicht um Land oder Rechte für Palästinenser geht. „Die Motivation ist religiöser Natur. Schon vor langer Zeit habe ich den israelischen Führern gesagt: Ihr müsst euch darüber klar sein, dass es hier nicht einfach um Krieg geht. Es ist ein religiöser Krieg. Schon vor 20 Jahren habe ich darauf hingewiesen, dass es ein Religionskrieg ist. Der Hamas ist Palästina oder ein palästinensischer Staat völlig egal. Ihnen geht es um Religion. Sie wollen Juden umbringen und den Staat Israel vernichten. Das ist, was sie wollen, das ist ihr hauptsächliches Ziel“, unterstreicht Koubi.
Yahya Sinwar ist der aktuell meistgesuchte Terrorist. Der 61-Jährige ist der ranghöchste Hamas-Führer in Gaza. Er gilt als strategischer Planer der Angriffe des 7. Oktober, ein brutaler Mörder, der Israel abgrundtief hasst. Palästinenser, die er verdächtigte, mit Israel zusammenzuarbeiten, brachte er persönlich um, auf grausamste Weise. In Flugblättern, die Israel im Dezember 2023 abwarf, wurde ein Kopfgeld von 400.000 Dollar für Informationen über seinen Aufenthaltsort ausgesetzt. Michael Koubi kennt Sinwar so gut wie kein anderer Israeli.
Sinwar will als Märtyrer sterben
„Ich habe Sinwar mindestens 150 Stunden lang verhört, vielleicht waren es auch 180 Stunden. Ich kenne ihn besser als sein Vater und seine Mutter. Ich kenne ihn ganz genau. Nach meiner Einschätzung wird er niemals nach Ägypten fliehen. Er wird lieber als Märtyrer sterben. Er denkt von sich selbst, er ist ein Held des Islam und ein Held in Gaza, und er ist der Held der Hamas. Er könnte ein Märtyrer sein, das bewegt ihn. Er will aber erst mal überleben, weil er denkt, dass die Welt Israel zwingen wird, sich zurückzuziehen – hinter die Grenze, wie es bis zum 6. Oktober der Fall war. Dann könnte er weiterhin der Anführer der Hamas sein.“
Israels Militär ist Sinwar auf den Fersen. Aber für die Armee ist es schwierig, den Terrorkopf auszuschalten, der sich vermutlich in einem Tunnel in Rafah versteckt hält. Michael Koubi: „Wir haben viele Informationen über ihn. Aber wir können all diese Informationen nicht nutzen, weil er stets von mindestens 25 Geiseln umgeben ist. Die sind sein menschlicher Schutzschild. Er möchte, dass sie bis zum Ende des Krieges bei ihm bleiben. Das ist der Grund, warum er kein Interesse an einem Abkommen hat. Er lacht da nur darüber, er spielt sein Spiel mit den Israelis und mit der ganzen Welt.“
Sinwar saß viele Jahre in israelischen Gefängnissen. Er litt an einem Hirntumor. Israelische Ärzte operierten ihn und retteten so sein Leben. Er kam auf freien Fuß, als Israel 1027 palästinensische Häftlinge im Austausch für den entführten Soldaten Gilad Schalit frei ließ. Michael Kobi hält diesen Austausch für einen Fehler, den Israel nicht wiederholen sollte. Was Yahya Sinwar angeht, sieht er nur eine Möglichkeit: Israel muss ihn töten.
Bild: Der frühere Geheimagent Michael Koubi kennt Hamas-Chef Sinwar so gut wie kein anderer Israeli. Foto: Tommy Mueller / Fokus Jerusalem