Ein Tag der Trauer und der Gebete – der Fastentag Tischa BeAv
JERUSALEM 12.08.2024 (LS) – Tischa BeAv ist der neunte Tag des jüdischen Monats Av. Der Trauertag beginnt in diesem Jahr am heutigen Abend des 12. August bei Sonnenuntergang und endet am folgenden Abend. Der 9. Av ist der traurigste Tag des jüdischen Kalenders, an dem Juden fasten und beten. Er ist der Höhepunkt der „Drei Trauerwochen“, einer Zeitspanne, in der das jüdische Volk der Zerstörung des Heiligen Tempels in Jerusalem gedenkt.
Historische Ereignisse
In der jüdischen Geschichte gilt Tischa BeAv als Schicksalstag, an dem einige katastrophale Ereignisse stattfanden:
- Laut jüdischer Überlieferung kehrten die zwölf von Moses geschickten Kundschafter am 9. Av mit vernichtenden Berichten aus dem Gelobten Land zurück. Die Israeliten scheuten sich daraufhin, das Land zu betreten und Gott bestrafte sie damit, 40 weitere Jahre in der Wüste umherwandern zu müssen.
- Beide Heiligen Tempel in Jerusalem wurden an diesem Tag zerstört. Der Erste Tempel wurde 423 v. Chr. von den Babyloniern niedergebrannt und der Zweite Tempel fiel 69 n. Chr. in die Hände der Römer, was eine Zeit des Leidens auslöste, von der sich unser Land nie ganz erholt hat.
- Der Bar-Kochba-Aufstand gegen die Römer im Jahr 133 n. Chr. endete mit einer Niederlage: Die Juden von Betar wurden am 9. Av abgeschlachtet und der Tempelberg wurde ein Jahr später am selben Tag niedergerissen.
- Später in der Geschichte ereigneten sich an diesem Tag weitere Tragödien, darunter die Vertreibung der Juden aus England im Jahr 1290, die Verbannung aller Juden aus Spanien im Jahr 1492 und der Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914. Während des Holocausts begannen am 9. Av im Jahr 1942 die Massendeportationen aus dem Warschauer Ghetto und 1944 die Deportationen in das Vernichtungslager Treblinka.
Traditionen des Tages
Die Trauer an diesem Tag wird vor allem durch Fasten ausgedrückt, aber auch andere Beschränkungen sollen die Stimmung des Tages prägen. Das Fasten beginnt bei Sonnenuntergang am 8. Av und endet bei Einbruch der Dunkelheit in der folgenden Nacht. Während des Trauertages ist es Juden verboten:
- zu essen oder zu trinken
- Lederschuhwerk zu tragen
- Zu baden oder sich zu waschen
- Salben oder Cremes aufzutragen
- eheliche Beziehungen oder irgendeine Form von Intimität zu pflegen
- auf einem normal hohen Stuhl sitzen (bis zur Mitte des Tages)
- die Thora zu studieren (mit Ausnahme der „traurigen“ Teile, die von der Zerstörung der Tempel und anderen Tragödien handeln)
- Geschenke zu schicken oder sich gegenseitig zu grüßen
- Ausflüge, Reisen oder ähnliche vergnügliche Aktivitäten zu unternehmen
- schöne, festliche Kleidung zu tragen
Außerdem wird im Abendgottesdienst das Buch Eicha (Klagelieder) gelesen. Sowohl abends also auch während des Tages werden außerdem bestimmte für diesen Tag konzipierte Trauerlieder rezitiert.
Heutige Signifikanz
Nach Meinung der Weisen war der wahre Grund für die Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer der gegenseitige Hass unter der jüdischen Bevölkerung Israels. Aus historischen Berichten weiß man, dass sich die belagerten Einwohner Jerusalems gegenseitig bekämpften und dadurch erst die Eroberung durch die Römer ermöglichten.
Die katastrophale Situation, in der sich das Volk Israel heute befindet, wird von vielen Beobachtern ebenfalls dem gegenseitigen Hass zugeschrieben, der vor dem 7. Oktober in Israel herrschte. Der Streit um die Justizreform hatte das Land auseinandergerissen und Israels Feinde ermutigt.
Tischa BeAv erinnert Israel erneut daran, wohin innere Streitigkeiten führen können, nämlich zu einem vollständigen Sieg der Feinde und zur Vertreibung des Volkes aus seinem Land.
Titelbild: Durch fasten und beten versucht das jüdische Volk, den göttlichen Zorn zu mindern. Foto: Michael Giladi/Flash90