
Unterirdisches Erbe: Wie mittelalterliche Zuckerkanäle den Blick auf den Nahen Osten verändern
JERUSALEM, 31.10.2025 (BF) – Ein neuer archäologischer Fund im Gan HaShlosha Nationalpark wirft ein überraschend modernes Licht auf das technische Erbe des Heiligen Landes. Forscher der Hebräischen Universität Jerusalem entdeckten ein unterirdisches Tunnelsystem, das in der Mamlukenzeit dem Betrieb von Zuckermühlen diente. Die Entdeckung belegt nicht nur technologische Raffinesse, sondern auch ein bemerkenswertes Gespür für nachhaltige Ressourcennutzung im Mittelalter.
Hydraulik unter der Erde
Fünf parallele Öffnungen im Tuffgestein entlang des Nahal Amal führten das Forschungsteam um Professor Amos Frumkin auf die Spur der verborgenen Infrastruktur. Anders als die typischen offenen Aquädukte jener Zeit verliefen diese Kanäle unterirdisch. Die Ingenieure der islamischen Mamluken-Heere hatten sich den Gegebenheiten der Region angepasst, vor allem dem brackigen Quellwasser, das für die Bewässerung unbrauchbar war. Stattdessen diente es als Antriebskraft, eine kluge Umwidmung knapper Ressourcen.
Durch präzise Datierung mittels Uran-Thorium-Analyse an Stalaktiten im Tunnelinneren konnte das Entstehungsdatum auf das 14. bis 15. Jahrhundert datiert werden. Diese Zeit fällt in die Blütephase der Zuckerproduktion in der Beit-Sche’an-Ebene, einem der wichtigsten Anbaugebiete für Zuckerrohr im östlichen Mittelmeerraum. Die Tunnel versorgten horizontale Wasserräder, die wiederum Mühlsteine zum Zermahlen des Zuckerrohrs antrieben. Der Fund einer Öllampe aus der Zeit der Mamluken in der Nähe der Tunnel liefert ein wichtiges Indiz für die zeitliche Einordnung der Anlage.
Zucker statt Getreide
Dass es sich nicht um klassische Getreidemühlen handelt, belegen die steilen Neigungswinkel der Tunnel, ebenso wie Fließspuren und ihre genaue Position. Alles deute darauf hin, dass hier einst Zucker verarbeitet wurde, erklärt Frumkin. Während der osmanischen Epoche wurden viele dieser Anlagen zu Mehlsystemen umfunktioniert, was zeigt, wie sich wirtschaftliche Strukturen und die Nutzung von Wasserressourcen im Laufe der Jahrhunderte veränderten.
Mamluken als Umwelttechnologen
Besonders bemerkenswert an diesem Fund sind das technologische Niveau, und die Anpassungsfähigkeit der Mamluken. In westlichen Narrativen galt der mittelalterliche Nahe Osten lange als technologisch rückständig. Die neuen Erkenntnisse widerlegen dieses Bild. Statt eines statischen Systems offenbart sich ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Umweltbeobachtung, ingenieurtechnischem Wissen und ökonomischem Denken.
Die Mamluken verstanden es, die Beschaffenheit des Bodens, die chemische Zusammensetzung des Wassers und die Anforderungen der Industrie zusammenzubringen. Was damals entstand, war mehr als nur ein Wassersystem, es zeigte ein frühes Verständnis für nachhaltige Energie im Dienst der regionalen Wirtschaft.
Ein Fenster in die Vergangenheit und die Zukunft
Auch für den modernen Betrachter ist der Fund bedeutsam. „Die Entdeckung verbindet Industriearchäologie mit Hydrologie“, so Frumkin. „Sie zeigt, dass die Menschen schon damals mit Einschränkungen umzugehen wussten, und diese in Chancen verwandelten.“ In Zeiten zunehmender Wasserknappheit und Energiekrisen erinnert dieser Tunnelkomplex daran, dass Innovation oft aus Mangel geboren wird.
Nicht der erste Fund dieser Art
Bereits frühere Funde in Israel zeigten, dass der mittelalterliche Nahe Osten über ausgeklügelte Infrastrukturen verfügte. In Tzippori etwa entdeckten Archäologen ein weitreichendes System aus Zisternen und Leitungen, das auf römische Ursprünge zurückgeht, aber auch in späteren Jahrhunderten genutzt wurde. In Atlit wurde eine Kreuzritter-Zuckerfabrik freigelegt, deren Becken, Pressen und Aquädukte bis heute eindrucksvoll erhalten sind.
Die aktuellen Funde von Gan HaShlosha fügen diesem Mosaik ein weiteres bemerkenswertes Teil hinzu, das nicht nur in die Tiefe führt, sondern auch in die Breite historischer Deutungsmuster.
Titelbild: Prof. Amos Frumkin von der Hebräischen Universität in einem der Tunnel aus der Mameluckenzeit, die im Gan Ha-Shelosha-Nationalpark gefunden wurden. Foto: Azriel Yechezkel/TPS-IL