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Helden ohne Umhang (32) – Ben Ozeri: „Rettet die Hunde Hebrons“

von Nadine Haim Gani

JERUSALEM, 11.02.2022 – Hunde, Katzen und Nutztiere haben es in den palästinensischen Autonomiegebieten nicht leicht. Ein Tierleben ist hier nicht viel wert. Ob aus Langeweile oder wegen fehlender frühkindlicher Sensibilisierung – grausame Misshandlungen sind hier an der Tagesordnung. Oft geraten die Tiere in die falschen Hände. Sie werden geschlagen, verbrannt oder verstümmelt. Doch für die Vierbeiner gibt es Hoffnung: Ben Ozeri setzt sich seit sechs Jahren für die vergessenen kalten Schnäuzchen ein. Er rettet verletzte Tiere, päppelt sie fürsorglich auf und vermittelt sie an liebevolle Familien. Er ist der Hunde-Retter für Hebron.

Ben wurde 1997 in Tel Aviv geboren. Der Junge wuchs mit seinen beiden Geschwistern in einer unfreundlichen Nachbarschaft auf. Immer wieder sah der 6-jährige Junge, wie seine Freunde die streunenden Katzen der Nachbarschaft mit Steinen bewarfen. Ben gibt zu, aus Gruppenzwang hin und wieder auch zu den Steinen gegriffen zu haben. Fokus Jerusalem erzählt er, dass er im Geheimen glücklich war, die Kätzchen verfehlt zu haben. Die innige Liebe zu den Tieren erwachte in dem aufgeweckten Jungen erst später. Mit seiner Einberufung zum israelischen Militär sollte sich seine Einstellung drastisch ändern.

Ben im Dienst der Grenztruppen

Ben befand sich in einem sogenannten Bootcamp in der Nähe von Hebron, der dreimonatigen Grundausbildung der israelischen Armee. Als Teil der Kampf-Ausbildung werden eine Woche lang Kriegsszenarien auf offenem Feld simuliert, um die jungen Soldaten abzuhärten. Während einer solchen Militärübung stieß Ben auf einen verletzten Esel. Das vernachlässigte Tier war an ein verlassenes Gebäude gekettet. Sein Kopf war so schwer verletzt, dass er erblindet war. Der depressive Vierbeiner hörte nicht auf, mit seinem Kopf gegen die Wand zu stoßen. Ben war von dem Leid des Tieres schockiert und zutiefst ergriffen.

Eine weitere geglückte Rettung: Die Soldaten waren auf eine Gruppe von kleinen Welpen getroffen und riefen Ozeri zu ihrer Rettung. Ben kümmert sich um passende Familien für die Vierbeiner und schützt die wehrlosen Hundebabys vor Gewaltdelikten.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri

Blutjunge Soldaten, die gerade ihre Militärzeit begonnen haben, fürchten meist ihre Vorgesetzten und Kommandanten. Während der Grundausbildung müssen die jungen Männer selbst für eine kurze Toiletten-Auszeit die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten einholen. Die Kämpfer gehen keinen einzigen Schritt, ohne den entsprechenden Befehl dafür erhalten zu haben. Aber Ben konnte den Esel nicht einfach angekettet zurücklassen. Er bat seinen Vorgesetzten um Erlaubnis, das Tier von seinen schweren Ketten zu lösen. Die Bitte des jungen Kämpfers wurde ohne Begründung abgelehnt. Ben wusste, dass ein Handeln gegen diesen Befehl einen militärischen Strafprozess nach sich ziehen könnte. Der Tierretter erzählt in einem Interview, dass sein reines Gewissen immer über dem Gesetz stand und sich daran auch nichts ändern wird. Vor den Augen aller seiner Kumpanen und Kommandeure band der junge Kämpfer den Esel los. Ben wurde wegen Gehorsamsverweigerung vor Gericht gestellt. Als Strafe durfte er den Armeestützpunkt für die nächsten Tage nicht verlassen. Doch das war es dem jungen Mann wert.

Das traurige Ereignis und wiederkehrende Fälle von Gewaltexzessen insbesondere an Hunden im Raum Hebron legten das Fundament für die Gründung seiner eigenen Rettungsorganisation.

Ben hatte zu diesem Zeitpunkt nicht nur gegen seine engstirnigen Kommandeure, sondern auch gegen die brutale Gewalt palästinensischer Bewohner gegenüber wehrloser Vierbeiner zu kämpfen. Noch während seines Armeedienstes gründete Ben die Facebook-Seite „Rettet die Hunde Hebrons“. Bald war er in den verschiedensten Militäreinheiten bekannt und immer mehr Soldaten kontaktierten den Grenzpolizisten mit schwerwiegenden Fällen. Ständig kollidierten seine Rettungseinsätze mit den Befehlen seiner Kommandeure. Doch wie immer stellte Ben das Wohl der Tiere über die Auflagen der Armee. Mit dem Ende seines Dienstes war Ben sein eigener Herr. In rasender Geschwindigkeit entwickelte er sich zu einem der bekanntesten Tierretter Israels.

Bens Hundearmee

Heute lebt der 25-Jährige mit 13 Hunden in einer kleinen Einzimmerwohnung in Tel Aviv. Um seinen Zöglingen etwas mehr Platz zu schenken, konstruierte Ben für sich ein Klappbett. Nachts schläft er darin gemeinsam mit seinen „Kindern“, wie er seine Vierbeiner liebevoll nennt. Tagsüber steht es an der Wand. So hat sein Rudel die Möglichkeit, in der kleinen Wohnung zu toben.

Bens Hundefamilie. Oftmals bedarf es langer körperlicher wie auch seelischer Rehabilitation. In besonders schwerwiegenden Fällen greift Ben auf die Hilfe professioneller Hundetrainer zurück. Sie helfen den Vierbeinern, die schweren Traumata zu verarbeiten.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri

Eine seiner Hündinnen ist Pereh. Die süße Hundedame ist die Einzige aus ihrem Wurf, die von Ben gerettet werden konnte. Die winzigen Welpen wurden in der Umgebung von Hebron in ein Erdloch geworfen und gesteinigt. Pereh versteckte sich zwischen ihren Geschwistern und den Felsbrocken und überlebte. Doch der Welpe ist schwer traumatisiert. Bis heute ist das Hundemädchen Fremden gegenüber sehr ängstlich und zurückhaltend. Doch ihrem Ziehpapa Ben vertraut sie blind.

Ben hat es sich zum Lebensziel gesetzt, jedem Hund ein liebevolles Zuhause zu schenken. Dabei finanziert Ben seine Rettungsaktionen allein. Staatliche Hilfe bekommt der mutige 25-Jährige für seine schwierige Arbeit nicht. Mit Tik Tok- und Instagramvideos dokumentiert Ben einen Teil seiner Einsätze. Oft braucht er beide Hände bei seinem Einsatz und kann nicht jede Aktion filmen.

Im Laufe der Zeit hörten immer mehr Soldaten, die in den sogenannten „besetzten Gebieten“ stationiert waren, von den waghalsigen Aktionen des jungen Tierretters. Endlich gab es eine Person, die vor dem Leid der Tiere nicht ihre Augen verschloss. Seine Mission verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Wenn vernachlässigte Hunde in Armeestützpunkten auftauchen, Soldaten bei ihrer Patrouille auf verletzte Vierbeiner stoßen oder bei einer Razzia notleidende Tiere entdeckt werden, wird Ben zur Einsatzstelle gerufen. Inzwischen beanspruchen selbst große Tierschutzorganisationen die Dienste des jungen Mannes, wenn es um Rettungsaktionen auf palästinensischem Terrain geht. Die Aktivisten der verschiedenen Organisationen bezeichnen die Dörfer, in denen Ben aktiv ist, als satanische Zone. Die traurigen Fakten sind allen bekannt.

Robin Hood der Vierbeiner

Oft hat Ben schlaflose Nächte, wenn er mit seinem Auto in abgelegenen Gebieten auf einen verletzten Hund wartet oder zu einem dringenden Notfall gerufen wird. Am nächsten Tag ausgeschlafen an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, ist manchmal ein anstrengender Spagat. Beschwerden hört man von dem Robin Hood für Vierbeiner jedoch nicht.

Ein weiterer Notfall auf einem Armeestützpunkt: Ein schwacher, abgemagerter und verletzter Hund ist den stationierten Soldaten zugelaufen. In vielen Stützpunkten wird den Soldaten untersagt, sich um die Streuner zu kümmern. Ben wird gerufen und kümmert sich umgehend um die Versorgung des Tieres. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri

Mittlerweile hat die Organisation „Rettet die Hunde von Hebron“ jedoch eine breite Armee von Freiwilligen, die aktiv bei Rettungen mitarbeiten. 120 Tierfreunde helfen Ben bei Einsätzen, stellen sich als Pflegefamilien für gerettete Schützlinge zu Verfügung und fahren verletzte Tiere zu Tierkliniken und privaten Tierärzten. Dabei kümmert sich die Organisation nicht nur um die Hunde von Hebron. Notrufe erhält das Team auch aus Ramallah, Nablus und palästinensischen Dörfern.

Erfreulicherweise arbeitet Ben inzwischen mit jüdischen Siedlern und Palästinensern gleichermaßen zusammen. Mit der Zeit wurde er mit seinen riskanten Unternehmungen auch innerhalb dieser beiden Bevölkerungsschichten bekannt. Immer wieder bitten Palästinenser Ben um Hilfe. Die Familien kümmern sich solange um das Tier, bis er eintrifft. Die freundliche Zusammenarbeit mit den palästinensischen Dorfbewohnern ist ein kleiner Lichtblick für ein friedliches Zusammenleben beider Parteien.

Rettet die Hunde von Hebron“

Manchmal sind die Schicksale der einzelnen Tiere herzzerreißend und schockieren selbst die professionellsten Tierärzte. Von Verbrennungen bis hin zu Steinigungen hat Ben schon alles erlebt. Dabei versucht er einen klaren Kopf zu bewahren und aufkommende Gefühle zu unterdrücken. „Ansonsten würden die Emotionen einer professionellen Arbeit im Weg stehen“, erklärt er.

Tatsächlich ist die Misshandlung von Tieren ein massives Problem der palästinensischen Gesellschaft. Die Gründe reichen von psychologischen Störungen, sadistischen Neigungen und Vergeltung bis hin zur Opferrollen-Bewältigung. Oft sind häusliche Gewalt und Tierquälerei eng miteinander verbunden. Ben erklärt Fokus Jerusalem das grausame Phänomen auf palästinensischer Seite mit zwei Hauptaspekten. Zum einen führt eine mangelnde schulische Ausbildung und fehlende Aufklärungsarbeit zu einer gewissen Tierphobie. Frühkindliche Sensibilisierung bezüglich kuscheliger Vierbeiner könnte eine Lösung sein. Zum anderen fehlt es an abschreckenden staatlichen Strafen für Tierquäler. Ben erzählt von einem traurigen Ereignis: Ein Hundebesitzer knotete seinen Vierbeiner an sein Auto und zog das wehrlose Tier so lange hinter sich her, bis es verendet war. Der Täter wurde mit 140 Sozialstunden für seine abscheuliche Tat bestraft. Eine Abschreckung bezüglich Tierquälerei existiert weder in der palästinensischen Autonomiebehörde noch in Israel.

Mit einem großen tierliebenden Herz kümmert sich der Retter auch um die kleinsten Fellknäuel.
Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri

Bens Hauptbeschäftigung ist ein hartnäckiger Krieg gegen die Zeit, um die verletzten und bedürftigen Hunde rechtzeitig zu finden und ihnen medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Oft bedarf es nicht nur einer körperlichen, sondern auch einer langen seelischen Rehabilitation. Mit viel Zuneigung und Liebe werden die Tiere umsorgt. Hauptziel der Organisation ist es, ein warmes und liebevolles Zuhause für die Vierbeiner zu finden. Bis heute hat Ben Hunderte von Hunden, Katzen, Nutztieren und selbst Fledermäuse gerettet.

Ganz nach dem Armeemotto: „Keiner wird auf dem Schlachtfeld zurückgelassen!“, setzt Ben den Slogan auch für seine Vierbeiner um. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri


„Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes, deine Urteile sind tief wie das Meer. Herr, du hilfst Menschen und Tieren“ (Psalm 36,7) – Und manchmal hat er dafür auch seine persönlichen, menschlichen Helfer. Für uns ist Ben ein Held. Statt Umhang hält er eine Hundeleine.

Titelbild: Ben mit einem Teil seiner Zöglinge. Sie finden bei ihrem Retter die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Foto: Mit freundlicher Erlaubnis von Ben Ozeri 

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