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Porträt: Das Leben der Iranerin Neda Amin

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 19.09.2017 –
Neda Amin schaut mit großen braunen Augen in die Kamera. Um ihren Hals trägt sie ein Kettchen mit einem Davidstern als Anhänger. Nur 32 Jahre alt hat die Journalistin und Buchautorin aus Teheran ein bewegtes Leben hinter sich. „Ich warf ein paar Kleider in den Koffer, ein Kindheitsalbum, einen Laptop und eine Puppe, und bestieg den Zug auf dem Weg zur Freiheit. Zumindest habe ich das gedacht.“ Das war vor vier Jahren. Nach mehrfachen Verhaftungen, Gefängnisstrafen auf Bewährung und Zensur ihrer Bücher floh sie in die Türkei, das einzige Land, in das Iraner ohne Visum reisen können. Als die Türken herausfanden, dass sie für das persisch-sprachige Nachrichtenportal „Times of Israel“ berichtete, drohten sie ihr mit Deportation in den Iran. Geheimdienstleute erklärten: „Wir mögen die Israelis nicht und auch nicht die Juden.“ Sie gaben ihr 30 Tage, die Türkei zu verlassen.

In Teheran hätten sie Vergewaltigung und der sichere Tod erwartet. Bei einer Pressekonferenz in Jerusalem zitierte sie die iranischen Drohungen: „Erst schneiden wir Dir das rechte Bein ab, dann den linken Arm und dann den Kopf.“

Amin wandte sich an europäische Länder. Der deutsche Konsul rief sie zurück und bat um „Geduld“, da ihr Pass nur noch 2 Monate gültig sei. Für Einreisepapiere verlangt die deutsche Bürokratie jedoch einen Reisepass mit 6 Monaten Gültigkeit. Amin empfand die deutschen bürokratischen Regeln wie ein Todesurteil. Ohne Papiere hätten die Türken ihr den Flug nach Deutschland verweigert.

Die israelische Journalistenvereinigung und die „Times of Israel“ wandten sich an Innenminister Arieh Derri. „Ohne viel nachzudenken“ habe er eine Einreisegenehmigung für Amin unterschrieben. Doch die Türken ließen sie trotz gültiger Papiere das Flugzeug nach Tel Aviv nicht besteigen, weil sie eine „Ausreisegenehmigung der türkischen Polizei“ benötige. „Lächerlich. Sie sagen, ich müsse das Land innerhalb von 30 Tagen verlassen und dann verlangen sie eine Ausreisegenehmigung“, kommentierte Amin. Wenige Tage später begleitete sie ein israelischer Konsularbeamter bis zum Flugzeug, das sie nach Israel brachte.

Bei ihrer Ankunft in Israel umarmte sie der Vorsitzende der Einwanderungsbehörde Jewish Agency, Natan (Anatoly) Sharansky, ein ehemaliger politischer Gefangener in der Sowjetunion. Die Agentur nahm sie unter die Fittiche und wies sie in den Etzion Ulpan in Jerusalem ein, um Hebräisch zu lernen. Derweil berichtete die iranische Nachrichtenagentur, dass Israel die „Spionin Nadia Amin“ unter dem Deckmantel eines Journalisten aufgenommen habe.

Mittlerweile arbeitet sie bei der „Times of Israel“ und hat eine Einzimmerwohnung im Zentrum von Jerusalem gemietet. Mit ihrem Hund Chika, ihrer Gitarre und mit Zigaretten tröstet sie sich. „Ich fühle mich wie ein Vogel, der nicht weiß, ob sein Nest morgen existieren wird“, sagt sie.

Amin hat Anat Meidan von der Zeitung Jedijot Achronot ein ausführliches Interview über ihr Leben gewährt.

Schon Tage nach ihrer Ankunft in Israel hatte Amin ein paar Worte Hebräisch gelernt und singt Lieder von Sarit Hadad. Plötzlich singt sie Arik Einsteins Lied in persischem Akzent: „Du und ich werden die Welt verändern.“ Hebräisch ist ihr nicht fremd. „Von Kindheit an kannte ich israelische Lieder. Meine Mutter hörte iranische Musik und mein Vater hörte westliche Musik. Er war mit Liedern auf Hebräisch verbunden […]. Als Kind lauschte ich ihm. Die Mutter meines Vaters war Jüdin. Sein Vater war Muslim. Weil im Iran die Religion vom Vater bestimmt wird, wuchs er als Muslim auf. Meine Mutter ist Muslima und ich bin als Muslimin registriert. Im Laufe der Jahre hielt mein Vater den Kontakt zum Judentum. Er besaß eine kleine Bibel, erzählte mir von den Propheten und las mir Psalmen vor. Als ich in Israel ankam, hatte ich nicht das Gefühl, fremd zu sein. Israel war immer schon in meinem Bewusstsein. Als sie mich am Samstag zur Westmauer (Klagemauer) brachten, zitterte ich vor Aufregung, wegen mir und wegen meines Vaters.“

Ihr Vater habe ihr leise vom Judentum erzählt. „Draußen sprachen wir nicht viel, weil alle um uns herum muslimisch waren.“

Nada Amin wurde in Teheran zusammen mit ihren Schwestern, heute eine 36-jährige Anwältin und eine 26-jährige Modedesignerin geboren. Ihre Mutter ist Maskenbildnerin. Ihr vor 5 Jahren verstorbener Vater war Textilhändler.

„Meine Eltern waren nicht religiös. Meine Mutter lehrte mich den Islam und mein Vater das Judentum. Wir begingen keine Feiertage und haben keine Zeremonien befolgt. Wir hatten Bahais als Nachbarn. Niemand kam mit ihnen zusammen, außer meiner Familie. Weil ihr Prophet sagte, dass er Muhammads Erbe war, gelten sie als Ketzer und wurden verfolgt. Weil mein Vater und wir als Muslime eingetragen waren, konnten wir nicht sagen, dass wir an einen anderen Gott glaubten.“

 

Neda Amin als junges Mädchen

Foto: Neda Amin als junges Mädchen/Privat

 

 

„Mit 16 wurde ich unabhängig und bat jüdische Freunde, mich in die Synagoge zu bringen. Ich erklärte ihnen, dass ich mich sehr mit meiner jüdischen Großmutter verbunden fühlte. Aber sie weigerten sich, mich in die Synagoge zu bringen, weil sie mich für eine Muslima hielten.“

Amin hat in der Akademie für Musik an der Teheran University ihren BA erworben. „Ich habe die Gitarre gespielt und mich auf Flamenco spezialisiert. Meinen Magister habe in spanischer Sprache und Literatur wegen meiner Liebe zum Flamenco gemacht“, erzählt Amin. „Flamenco ist im Iran nicht beliebt. Wie Rock und Metal gilt Flamenco als obszöne westliche Musik.“

Aber ihr musikalischer Geschmack war nicht der dramatische Teil ihres Lebens. „Es brannte in meiner Seele, zu ändern und zu beeinflussen, was in meinem Land geschah. Ich beschloss, die Presse zu kontaktieren.“ Die iranischen Zeitungen blieben ausgeschlossen, weil sie unter der Kontrolle der Islamischen Republik standen. Kritische Meinungen waren unerwünscht. Anonym schickte sie Artikel an Bürgerrechtsvereinigungen in Norwegen und Deutschland.

Amin schrieb auch Prosa. Ihr erstes Buch „Zu glauben “ ist ein Roman mit Kritik an der Gehirnwäsche des Regimes. „Sie verbieten unabhängiges Denken. Sie vermitteln Vorstellungen, die man denken muss. Ich konnte das nicht ertragen. Mit den Dialogen der beiden Protagonisten habe ich meinen Protest formuliert.“

Das zweite Buch, „Einfache Verbrechen“, ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Sie setzen sich mit Verbrechen auseinander, die im Iran begangen werden und für die niemand verantwortlich gemacht wird.

Das Buch wurde veröffentlicht, nachdem es zensiert wurde und die Verantwortlichen wütend gemacht hatte. „Ich wurde verhört und zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ebenso musste ich umgerechnet 5.000 $ Geldstrafe entrichten.“

Ihr drittes Buch, „Shaslut“, beschäftigt sich mit iranischen Frauen, die nicht selbst entscheiden können, wie ihr Leben aussieht. „Sie stehen unter der Kontrolle ihrer Ehemänner und des Regimes. Um einen Pass zu beantragen, braucht eine Frau die Erlaubnis ihres Mannes. Auch um zum Supermarkt zu gehen, benötigt sie seine Genehmigung. Wenn du einen Mann liebst und die Familie das nicht mag, bist du verloren.“

Sechs Mal wurde Amin von der Sittenpolizei verhaftet, weil ihr Schal nicht alle Haare bedeckte oder die Ärmel ihres Kleides zu kurz waren.

Ich wusste, dass das Buch sehr kritisch war und es gab keine Chance, dass es genehmigt werden würde. Da ich auf Bewährung frei war, hätten sie das Buch benutzen können, mich für ein paar Jahre ins Gefängnis zu stecken.“ Amin handelte schnell, druckte das Buch illegal privat. Sie verteilte es an Freunde und Bibliotheken. Aber nun hatte sie keine Wahl mehr. Sie musste aus Iran fliehen. In der Türkei erhielt sie Asyl.

Die Verbindung zur „Times of Israel“ entstand zufällig. Amin war glücklich, weil sie eine Beziehung zu Israel schon zu Hause erfahren hatte. Sie schrieb über das, was im Iran vor sich ging, Profilgeschichten über iranische Figuren wie Qasim Suleimani, dem Kommandeur der Revolutionsgarden im Ausland oder über Khomeinis Sohn und seinen Verbrechen. Alles ging gut, bis die Türken ein Auge auf sie warfen. „Sie verhörten mich über meine Arbeit und meine Verbindung zu Israel. Ich fragte, ob es nach türkischem Recht ein Verbrechen sei, für israelische Medien zu arbeiten.“ Sie liebten es nicht, weil Israel Muslime tötete. „Anderthalb Jahre kämpfte ich für das Recht zu schreiben und wurde ständig zu Vernehmungen gerufen. Schließlich drohten sie, mich nach Iran zu deportieren.“ Amin glaubte, als Asylantin unter UN-Schutz zu stehen. Aber sie bemerkte bald, dass es eine Vereinbarung zwischen beiden Ländern gab. Aus Angst vor Verhaftung verließ sie ihre Wohnung und versteckte sich im Haus eines Freundes. Sie kontaktierte erfolglos Konsuln der EU Länder. Am Ende hat allein Israel sie gerettet.

Titelfoto: Die Iranerin Neda Amin/Ulrich W. Sahm

 

 

Im August haben wir schon von Neda Amin’s Flucht nach Israel berichtet:

Iranische Journalistin flüchtet nach Israel

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